Kopfschütteln West

Kommentar Metallstreik Ost

Die Deutsche Demokratische Republik bricht zusammen. Nicht 1989, sondern erst jetzt. Und stellen wir uns weiter vor, dass in Bonn nicht Schröder und Fischer, sondern Stoiber und Westerwelle regieren. Und der Innenminister, der den Einheitsvertrag verhandelt, hieße Friedrich Merz. Sein Pendant wäre womöglich Angela Merkel, aber lassen wir das beiseite - der östliche Partner wäre heute noch weniger von Belang als damals Günter Krause.

Welches Design würde sie wohl bekommen, die befreite Zone? Lohnersatzleistungen nur noch natural? Ärztliche Versorgung nur noch gegen Cash? Zahnersatz nur noch aus EKO-Stahl? Renten nur noch als Überlebenshilfe? Vielleicht würde man soweit nicht gehen, aber Gewerkschaften, Kündigungsschutz und Streiks hätten auf jeden Fall keinen Platz in der Sonderwirtschaftszone Ost.

Historische Ereignisse kommen immer zu früh oder zu spät. Und wenn sie dann da sind, hat man einfach nicht den Mut, das unabdingbar Notwendige auch durchzusetzen, wird sich nun mancher im Westen mit Blick auf den Osten sagen. Uns war doch eigentlich schon 1990 klar, dass unser System über alle Maßen großzügig und auf Dauer nicht finanzierbar ist. Im nationalen Gefühlstaumel, gegen jede Vernunft, haben wir es dann auch noch auf den Osten übertragen. Hunderte von Milliarden sind inzwischen nach drüben geflossen, die Ossis leben wie die Made im Speck, haben sechsspurige Autobahnen und Telefonnetze wie nirgends sonst auf der Welt.

Und jetzt? Mitten im Abschwung, in einer Ära globaler Unsicherheit und zunehmender Veränderungsbereitschaft im Westen verlangen ausgerechnet Metall-Gewerkschafter im Osten eine drastische Arbeitszeitverkürzung. Die Zeit sei reif, sagen sie. Zwei Jahrzehnte nach dem Einstieg ihrer westdeutschen Kollegen in den Kampf um die 35-Sunden-Woche, bald 13 Jahre nach der deutschen Einheit gehe es nun um gleiches Recht für gleiche Arbeit. Haben sie immer noch nicht begriffen, dass in der Markwirtschaft keine Rechte verliehen werden, sondern nach den Gesetzen von Angebot und Nachfrage Leistungen zu erbringen sind. Ist ihnen nicht klar, dass sie mit ihren Aktionen ein Signal geben, das von den bislang vernünftigen Mitarbeitern in anderen Branchen vollkommen falsch verstanden werden könnte? Erkennen sie nicht, dass sie den gesamten Erneuerungsprozess in Deutschland stören und die Zukunft des Ostens gefährden?

Auf solche absurden Fragen wäre ein Sieg im Arbeitskampf eine passende Antwort. Profitieren würden zwar nur die Metaller hochproduktiver Inseln der ostdeutschen Industrie. Trotzdem: Nichts passt im Moment besser in die Landschaft als ein kleines Zeichen des Mutes und der Selbstbehauptung in einem Meer kollektiver Verblendung.

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