Kosmopolit oder Kinn der Nation

Sportplatz Zum Karriereende von Michael Schumacher

Vom Unterhaltungsstandpunkt aus betrachtet war Michael Schumacher eine Katastrophe! Die Bild-Schlagzeile über ihn, "Schön, schnell und haarscharf am Tod vorbei", könnte nur dann noch weniger zutreffen, wenn darin zusätzlich Worte wie "großer Entertainer" fallen würden.

In einer Sportart, in der streng genommen außer Gasgeben, Lenken und Abbremsen nicht viel passiert, stand der Kerpener, den sie "das Kinn" nannten, noch nach den Rennen langweilig auf Siegerpodesten herum und hielt mehr oder minder scheußliche Pokale hoch. Selbst die von ihm verursachten Skandale waren ermüdend - denn meist handelte es sich entweder um regelwidrige Veränderungen an seinen Autos, wie bei Benetton, als sein Gefährt eine zu dünne Unterbodenplatte aufwies - oder um Versuche, seine Konkurrenz von der Strecke zu rammen. Wie zum Beispiel 1994, als Schumi sich durch gezieltes Ausschalten von Damon Hill den Titel holte, oder 1997, als er gleiches mit Jacques Villeneuv versuchte, ihn die Rennkommissare aber disqualifizierten.

Noch öder als diese gewohnten Rammereien waren die darauf folgenden, endlosen Interviews, in denen Schumacher sich einsichtslos als Unschuldslamm gerierte - das können mittlerweile ertappte Dopingsünder gleich welcher Sportart weitaus besser und ihre Geschichten von Zahnpastatuben und Hodenpflastern sind außerdem sehr viel lustiger.

Auch abseits der Rennpiste war Michael Schumacher dröge. Verfügte sein Bruder, der in Fachkreisen "das KLEINE Arschloch" genannt wird, mit Ehefrau Cora immerhin über eine Person an seiner Seite, der augenscheinlich nichts zu blöde ist, was eine Story hergeben könnte, lebt "Schumi I" in schnöder Eintracht mit seiner Corinna und den Kindern. Und das ist schön so und sollte Schumacher noch lange vergönnt sein. Bitte Schumi, bleib dabei. Und versuche kein Comeback.

Elke Wittich


Wer unbedingt will, kann sich ja über den doofen Schumi amüsieren. Das ist hier zu Lande üblich und geht zumeist so: Der kann gerade mal Brems- und Gaspedal auseinander halten, hat ein viel zu großes Kinn, trägt im Dienst alberne Klamotten, guckt bei Interviews immer sehr gequält - und um den härtesten Vorwurf, den deutsche Bildungsbürger erheben können, gleich zu Beginn dieses Textes vorzutragen - Abitur hatter ooch nich!

Liest man ausländische Presse, wundert man sich, wie gänzlich anders unser Schumi dort wahrgenommen wird: "Eine der größten Legenden des Automobilsports", lobt die spanische El Pais, der englische Guardian diagnostiziert "angeborene Genialität", der Independent hält den siebenfachen Formel-1-Weltmeister für ein "einmaliges Genie", und italienische Blätter will man hier gar nicht erst zitieren.

Nur auf den ersten Blick hat Schumacher seit seinem Debüt in der Formel-1 im Jahr 1991 mit seinen sieben Weltmeisterschaften und seinem mitunter ruppigen und gefährlichen Fahrstil den deutschen Anspruch auf weltweite Dominanz abgebildet. In Wirklichkeit ist Schumacher, der in der Formel-1 nie für einen deutschen Rennstall fuhr, ein von der bornierten Enge der Nation emanzipierter Weltbürger, der trotz starker Motoren, exzellent besetzter Technikercrews und extrem ausgefeilter Computersteuerung in seinem Cockpit in letzter Instanz allein für sich und seine sportliche Leistung verantwortlich war. Er ist schon lange nicht mehr der tumbe Kerpener, der wo Gas geben tut. Vielleicht war er das ja noch nie. Spätestens jetzt, zum Ende seiner Karriere, muss man ihn als mondänen Kosmopoliten, der souverän über sich, seine Zeit und auch über das Ende seiner Karriere entscheidet, respektieren.

Zumindest das, wahrscheinlich noch mehr, unterscheidet Michael Schumacher von früheren deutschen Motorsporttalenten, die es allen zeigen wollten und sollten. Wolfgang Graf Berghe von Trips, Rolf Stommelen, Manfred Winkelhock und Stefan Bellof sind tot, Schumi lebt. Auch das ist der Unterschied.

Matthias Krauß



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