Kosten für Arbeit gering halten

Kommentar EU-Beschäftigungspolitik

1998 stellte der Europäische Rat erstmals "Beschäftigungspolitische Leitlinien" vor. Europaweite Vollbeschäftigung lautete das auferlegte Ziel, das nach Maßgabe der Dachorganisation von den jeweiligen EU-Mitgliedstaaten durch sogenannte "Aktionspläne" umgesetzt werden sollte. Das Ziel war hochgegriffen, klar. Dennoch suggerierte es ein soziales Anliegen von Seiten der EU, durch überstaatliche Kontrollmechanismen die Situation auf dem europäischen Arbeitsmarkt zu verbessern und der hohen Erwerbslosenquote entgegenzutreten. Schein oder ehrliches Ansinnen?
Wie so oft sitzt auch hier der Haken im Detail. Denn vor allem unter der portugiesischen Ratspräsidentschaft etablierte sich die Rede vom "Rohstoff Arbeit" in den Leitlinien, den es "besser zu verwerten" gelte. Das klingt nicht nach sozial intendierter Politik, sondern eher nach dem Zurechtbiegen von Arbeitskräften nach industriellen Interessenlagen. Nicht verwunderlich daher, dass die EU-Kommission bereits seit 1994 zusammen mit den Finanzministerien und Zentralbanken der jeweiligen Länder an "Großen Wirtschaftspolitischen Leitlinien" arbeitete, denen die Beschäftigungspolitik vollständig untergeordnet wurde. Eine wirtschaftliche Orientierung der EU am Vorbild der USA galt als erstrebenswert, wonach Investitionsbedingungen profitabler zu machen und die Kosten für den Faktor Arbeit möglichst niedrig zu halten sind. Ganz in diesem Sinn gab 1996 deshalb die EU-Kommission das Ziel aus, die Lohnkosten für gering qualifizierte Tätigkeiten um dreißig Prozent zu senken und die Leistungen für Erwerbslose und Bezieher von Sozialleistungen zu beschneiden. Von sozialer Arbeitsmarktpolitik auf europäischer Ebene also keine Spur, vielmehr eine Tendenz der Degradierung von Arbeitnehmern zum billigen Werkzeug, das im Interesse wirtschaftlicher Konkurrenzfähigkeit abgeschliffen werden kann.
Einen hoffnungsvollen Gegenpol zu diesem Trend der EU-Beschäftigungspolitik bilden seit geraumer Zeit die Gewerkschaftsverbände der jeweiligen Länder, die den Rahmen ihres Wirkens nicht mehr nur auf die nationale Ebene beschränken. Kontakte mit Verbänden im Ausland wurden geknüpft; zum EU-Regierungsgipfel in Amsterdam 1997 gar die Großdemonstration "Europäische Märsche gegen Erwerbslosigkeit" organisiert. Angesichts des offensichtlich geringen Willens der EU für einen sozial gerechten Arbeitsmarkt einzutreten, ist die Vernetzung des europäischen Protestes notwendig. Die kürzlich fast parallel abgelaufenen Generalstreiks in Italien und Griechenland können da nur einen Anfang bilden. Damit Europa nicht zum Billiglohngebiet ausgehöhlt wird, müssen allerdings landesweite Arbeitsniederlegungen, wie vergangene Woche in Spanien während des EU-Regierungsgipfels in Sevilla, nicht nur mit den Stimmen aller europäischer Gewerkschaftsverbände ablaufen, sondern auch deutlich machen, dass Kündigungsschutz und Arbeitslosenunterstützung gemeinsame Ziele sind.

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