Ein freudiger Augenblick war es für Ahmet Güneştekin, als seine Plastik Kostantiniyye kürzlich bei einer abendlichen Feierstunde in Istanbul enthüllt wurde. Zwar hat der international erfolgreiche Künstler schon viele Vernissagen erlebt, und auch diese Plastik war während der Biennale 2013 in Venedig gezeigt worden, bevor ein türkischer Sammler sie kaufte und nun vor seinem Einkaufszentrum in Istanbul aufstellen ließ. „Es war aber das erste Mal, dass eines meiner Werke in meiner Heimat außerhalb von Galerien öffentlich ausgestellt wurde“, erzählt der Künstler. „Ich habe mich so gefreut, dass meine Landsleute meine Kunst zu sehen bekommen.“
Doch die Begegnung verlief nicht so, wie Güneştekin sich das erhofft hatte. Binnen Stunden nach der Enthüllung wurde die Skulptur von einem wütenden Mob angegriffen, das Einkaufszentrum mit Beschwerden und Drohungen überhäuft. Das Ordnungsamt verhüllte das Kunstwerk schließlich mit einer schwarzen Plane, und noch in der Nacht musste Güneştekin die Plastik unter Polizeischutz wieder abbauen. Kostantiniyye wurde damit zu einem weiteren Opfer in einem Kulturkampf um die ideologische Hegemonie über die türkische Gesellschaft, der derzeit auf vielen Schlachtfeldern ausgetragen wird – und nirgends erbitterter als in Istanbul (siehe auch der Freitag 2/17).
Erst im November hatte es auf der Kunstmesse Contemporary Istanbul einen ähnlichen Zwischenfall gegeben: Nationalistische Demonstranten stürmten damals die Ausstellung und forderten, eine Skulptur des Künstlers Ali Elmaci müsse entfernt werden, weil diese das Portrait eines osmanischen Sultans auf dem Badeanzug einer Frauenfigur zeigte. Veranstalter und Künstler mussten sich beugen, als die Demonstranten darauf hinwiesen, dass die Polizei sich auf ihre Seite stellen würde.
Tausend Beschwerden
Ironischerweise ist es die weltoffene und tolerante Geschichte der Stadt, die Ahmet Güneştekin mit seiner Skulptur Kostantiniyye würdigt. Die fünf Meter hohe Plastik ist mit bunten Buchstaben und Symbolen aus bemaltem Metall besetzt, verarbeitet sind darin die vielen historischen Namen der sechs Jahrtausende alten Stadt: Byzanz, Ostrom, Konstantinopel, Neurom, Istanbul. All diese Schriftzüge setzen sich mit den Silhouetten der berühmten Kirchen, Synagogen und Moscheen von Istanbul zusammen zu dreizehn riesigen Lettern, die das Wort Kostantiniyye buchstabieren – den Namen, den die Stadt im Osmanischen Reich trug.
Eine arabisierte Fassung des griechischen Namens Konstantinopel war das, und sie stand 600 Jahre lang auf allen Dokumenten und Münzen der Osmanen. Doch das ist zu kompliziert für türkische Nationalisten, die sich zwar stolz auf das osmanische Erbe berufen, aber nicht viel mehr davon wissen, als dass der osmanische Sultan Fatih die Stadt im Jahr 1453 eroberte. Den osmanischen Namen ihrer Stadt kannten die wütenden Demonstranten jedenfalls nicht, die nach der Enthüllung vor dem Einkaufszentrum zusammenliefen und gegen den vermeintlich griechischen Schriftzug protestierten. „Wir haben das Byzantinische Reich 1453 besiegt, was soll das denn? Ihr wollt wohl Byzanz wieder aufleben lassen!“, rief ein Demonstrant. „Unser Vorfahre Sultan Fatih hat euch 1453 fertiggemacht – wenn ihr noch mal verhauen werden wollt, dann besorgen wir das gerne“, schrie ein anderer.
Die Lage eskalierte binnen weniger Stunden gefährlich, vor allem nachdem ein islamistischer Fernsehjournalist mit einem Tweet tausende Anhänger mobilisiert hatte. „Wir sind mit über unfassbar vielen Beschwerden überhäuft worden, auf jeden Fall über tausend“, berichtet der Direktor des Einkaufszentrums. „ ‚Hier ist Istanbul und nicht Byzanz‘, hieß es da – und noch viel unschönere Sachen. Schließlich sind die Stadtverwaltung und das Ordnungsamt aufgetaucht.“ Doch das Ordnungsamt kam nicht etwa, um die Menge zu zerstreuen, sondern um die Skulptur mit einer schwarzen Plane abzudecken: Sie stelle ein öffentliches Ärgernis dar, erklärten die Beamten dem überraschten Künstler.
Den Demonstranten war das indes nicht genug. „Sie drohten: Entweder kommt die Plastik weg, oder wir brennen das Einkaufszentrum nieder“, erzählt Güneştekin. „Die Polizei ist nicht gegen diese Drohungen eingeschritten, und der Direktor des Einkaufszentrums bekam Angst um die 4.000 Angestellten, die dort arbeiten.“ Deshalb lenkte Güneştekin schließlich ein und erklärte sich bereit, das Kunstwerk abzubauen. Die Skulptur ist nun in Kisten verpackt und eingelagert – sie wird das Tageslicht in der Türkei wohl nicht mehr erblicken.
Ahmet Güneştekin ist verbittert. „Die Ignoranz dieser Leute!“, klagt der Künstler. „Sie nennen sich die Enkel von Sultan Fatih dem Eroberer, und dabei war es doch Fatih, der die Stadt Kostantiniyye nannte!“ Das wissen sogar die Salafisten von der Terrormiliz Islamischer Staat, deren türkisches Magazin ebenfalls Kostantiniyye heißt – eine Kampfansage an die moderne türkische Republik, deren Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk die Stadt in den 1930er Jahren umbenannte in Istanbul. Im Islam gebe es zudem eine Überlieferung des Propheten Mohammed, in der dieser die Stadt ebenfalls Kostantiniyye nennt, sagt Güneştekin: „Die kennen ihren eigenen Glauben nicht!“
Null Solidarität
Für Ahmet Güneştekin ist das auch deshalb schwer fassbar, weil seine Kunst sich kenntnisreich mit der Kulturgeschichte der Türkei auseinandersetzt. Auf die assyrischen, kurdischen, armenischen und griechischen Wurzeln der anatolischen Kultur bezieht sich der Maler und Bildhauer in seinen großformatigen Werken; christliche, jüdische, moslemische und jesidische Motive ziehen sich durch seine Kunst. International genießt der kurdische Künstler aus dem Südosten der Türkei dafür große Anerkennung, er ist bei namhaften Galerien in den USA und in einem halben Dutzend europäischer Länder unter Vertrag – seine jüngste Ausstellung hat am 11. Januar bei Marlborough in New York eröffnet.
In der Türkei erfährt der 50-Jährige dagegen keine Solidarität. Vergeblich hat er sich an das Kulturministerium gewandt, berichtet er: „Der Staat müsste doch einschreiten und die Sicherheit der Plastik garantieren“ – sowohl um die Freiheit der Kunst zu schützen als auch das Privateigentum, denn die Skulptur steht schließlich auf privatem Grund. Doch das Ministerium schritt ebenso wenig gegen die Bilderstürmer ein, wie es die Polizei getan hatte.
Auch die türkische Kunstwelt ließ den Künstler im Regen stehen. An alle Kunst- und Kulturverbände im Land habe er appelliert, doch keiner sei ihm öffentlich zu Hilfe gekommen, klagt Güneştekin. Unter der Hand drückten einige zwar ihr Bedauern aus. Die Istanbuler Stiftung für Kunst und Kultur (IKSV) etwa, eine der führenden Institutionen der türkischen Kunstwelt, schickte ihm ein Beileidsschreiben. „Ich habe ihnen geantwortet, statt Beileids hätte ich gerne eine öffentliche Verurteilung dieses Angriffs“, erzählt der Künstler. „Darauf kam die Antwort: ‚Wenn wir jede Zensur der Kunst in der Türkei verurteilen sollten, dann kämen wir nicht mehr nach.‘ “ Die IKSV wollte sich auf Anfrage nicht zu dem Fall äußern.
Kein einziger Verein oder Verband in der Türkei hat öffentlich gegen die Entfernung der Skulptur protestiert. Es herrsche eine wahnsinnige Angst im Land, sagt Güneştekin, aber auch viel Duckmäuserei und Mitläufertum – das sei ihm durch den Briefwechsel mit der Kulturstiftung klar geworden. „Jeder hält sich bedeckt und wartet ab, was der Staat sagt.“ Angewidert sei er von dieser „faschistischen Gesinnung“, die seine letzte Hoffnung in die Türkei zerstört habe, sagt der Künstler. „Ich fühle mich so alleine und einsam, dass ich keinen Sinn mehr darin sehe, in der Türkei zu bleiben.“ Zumindest vorläufig ist Ahmet Güneştekin vergangene Woche nun erst einmal in die USA gereist, um seine Ausstellung zu eröffnen.
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