Kreativer Kakao

Satire Die Corona-Pandemie hat der Literatur gezeigt, wo sie sparen kann. Doch da geht noch einiges! Ein Vorschlag
Ausgabe 41/2021
Sparen kann man bei Literatur auch anderweitig, man muss nicht gleich das Verlagsprogramm schrumpfen
Sparen kann man bei Literatur auch anderweitig, man muss nicht gleich das Verlagsprogramm schrumpfen

Foto: Schöning/IMAGO

Unter der Bedingung einer schwächer werdenden Pandemie ist die herannahende Frankfurter Buchmesse immerhin wieder auf die physische Anwesenheit des Betriebspersonals ausgerichtet; auch abseits von ihr blühen die Präsenzveranstaltungen wieder auf, fast wie vor der Krise. Das führt uns Autor*innen unter anderem auch dies eine vor Augen:

So viel geringer der ökologische Effekt unserer Arbeit im Vergleich mit dem Autoreifengroßhandel oder der Sojafutterproduktion auch ist, macht unsere Reisetätigkeit doch den relativ größten Posten der Bilanz aus, nebst dem Ressourcenverbrauch an den jeweiligen Kultstätten.

Fragt sich also, welche Reisen wirklich sein müssen. Für den Bedarf der örtlichen Lesung in der Stadtbuchhandlung muss die Dichterin zum Beispiel nicht quer durch den Sprachraum angekarrt werden; und wenn, sagen wir, ich dann doch schon mal auf Lesereise irgendwo bin, muss nicht gleichzeitig noch ein anderer Autor in die gleiche Gegend fahren. Die ganzen soziokulturellen Zusammenhänge des Kulturgenusses, von denen so Leute wie Bourdieu schreiben, die laufen doch auch unabhängig davon, wer im Speziellen vorne sitzt und deklamiert.

Aus dem Sparansatz resultieren drei Sphären, die eine bereits laufende Ausdifferenzierung weiter vorantreiben würden:

1. Re-regionalisierte Literaturen samt Feuilletons und Theaterwelten mit ein paar am jeweiligen Ort weltberühmten Autor*innen, alle praktischerweise im 100-Kilometer-Radius um das jeweilige Ballungszentrum wohnhaft, so wie ganz früher, als die ästhetischen Diskurse noch nach Landschaften differenziert waren, so vielfältig wie die Dialekte und Biersorten. Da kann in einer „fränkischen Literatur“ gerade die Selbstreferenzialität Mode sein, in Brandenburg die Poetik der Fläche, und die Steirer lesen Anthropozängedichte. Das bliebe übersichtlich, und Modi kritischer Kunst würden als Regionalspezialität verdaubar, vergleichbar dem Kölsch oder dem Kürbiskernöl.

2. Die paar weiterhin nötigen gesamtdeutschsprachlichen Intellektuellen in einer solchen klimatechnisch optimierten Literaturlandschaft: ein Feld, organisierbar in Umfang und Output wie eine der geschilderten Dialektregionen, aber halt um den Zungenschlag des besinnlich Staatstragenden herum organisiert statt um den Wiener Schmäh oder die Berliner Schnauze; und mit entsprechend größerem eingeplanten CO2-Budget. Für das Aufrücken regionaler Protagonist*innen in diesen Parnass müsste anonym evaluiert werden, um völlige Gleichstellung der Geschlechter und Herkünfte zu garantieren. McKinsey hat dafür sicher was im Angebot.

3. Diejenige Literatur und dasjenige Publikum, die sich ins Internet verkrümeln, wie in den letzten zwei Jahren im Blindflug eingeübt. Das Netz als neuartiger Sozialraum beschleunigt ja die Entwicklung prinzipiell unvorhersagbarer neuer Formate und das Verschwinden ihrer Träger aus den traditionellen Öffentlichkeiten.

Lesung, aber niemand liest

Besonders verheißungsvoll scheint es, das inzwischen sattsam bekannte Online-Lese-Event erstmals in ganzer Konsequenz zu Ende zu denken: Es ist bereits besucht von avatarisiertem Publikum, wo sich die Besucherin dann bloß noch einloggen muss, um hinterher dabei gewesen zu sein, wenn der vorproduzierte Content eines Verfassers, einer Verfasserin gestreamt worden sein wird. Real lässt sich nun – Obacht! – das Browserfenster stumm schalten, und das Ziel der vollautomatisierten Literaturveranstaltung wird denkbar, strukturell der tibetanischen Gebetsmühle gleich:

Niemand liest niemandem etwas vor, und trotzdem ist Lesung. Die Reichweite der literarischen Produkte – als Anzahl der eingeschalteten Rechner gedacht – wird präziser planbar als je bisher. Die Effizienz der PR, der Literatur, ja, in letzter Konsequenz der Schreibtätigkeit selbst steigert sich ins Unermessliche.

Die realen Zuseher*innen und Content Creators, sie können sich inzwischen einen Kakao machen oder auch denselbigen durch diesen ziehen

Stefan Schmitzer, geboren 1979 in Graz, ist vor allem als Lyriker bekannt

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