Die Bundeswehr soll Libyen nun doch für sich entdecken und als Expeditionsziel schätzen lernen – die Bundesregierung hat es bereits getan. Ihre merkwürdige Flucht nach vorn trägt groteske Züge, bei denen es peinlicher kaum zugehen kann. Plötzlich werden der NATO Bodentruppen für „humanitäre“ Schneisen auf libyschem Territorium förmlich aufgedrängt. Was offenbar damit zu tun hat, dass sich ein Waffenstillstand zwischen den Konfliktparteien andeutet, auch wenn die Afrikanische Union als Emissär zunächst gescheitert ist. Die Kompromisslosigkeit des Übergangsrates in Benghazi ändert nichts daran, dass die Luftschläge der NATO einen kritischen oder toten Punkt erreichen, und die Bürgerkriegsparteien über ein Patt der Kräfte nicht hinauskommen. Die Waffen ruhen zu lassen, wäre Gebot der Stunde und Vernunft, wenn die Situation der Zivilbevölkerung in den Kampfgebieten prekärer wird. Dies dürfte eher früher als später eine „humanitäre Intervention“ auslösen, die als militärisches Geleit für Versorgungskorridore daher kommt.
Und genau dabei wollen Merkel und Westerwelle nicht länger abseits stehen und der Bundeswehr einen weiteren Auslandseinsatz verschaffen. Bodenoffensiven, Bodentruppen, ein Krieg am Boden, ein Vormarsch gegen Gaddafis Armee – dieses schroffe Vokabular aus den ersten Tagen der Operation Odyssey Dawn konnte nur abschrecken. Lebensmitteltransporte eskortieren, demilitarisierte Zonen überwachen, die Lage stabilisieren – das verklärt, das täuscht, das lädt dazu ein, mit einem forschen Ja aufzuwarten, wie es die Berliner Exekutive und ihr grüner wie SPD-Begleitchor nicht länger unterdrücken wollen. Als ob es vor neun Jahren in Afghanistan nicht genauso begonnen hätte – mit einer Stabilisierungsmission, die um Gotteswillen kein Kampfeinsatz und schon gar kein Krieg sein sollte.
Wen interessiert es noch, dass die Bomben der NATO in Libyen den Bürgerkrieg angeheizt und die Not der Menschen mit verschuldet haben? Man ist unterwegs im Laufrad der Gewalt, interveniert und schafft Bedingungen, um die Intervention vorantreiben zu können. Für Deutschland bietet diese Zwangsläufigkeit eine Chance zur Wiedergutmachung im eigenen Lager. Der Sinneswandel ist alles andere als eine Gesinnungswende. Schließlich hat die Regierung die Luftschläge nie missbilligt. Im Gegenteil. Immer deutlicher kristallisiert sich heraus, wie der innerlibysche Konflikt einer westlichen Staatenkoalition einen Vorwand bietet, in Nordafrika militärisch Fuß zu fassen. Die Erosion des Gaddafi-Regimes, aber auch der Rebellenmacht laden förmlich dazu ein, das zu vollenden, was am 19. März mit den ersten Luftangriffen begann. Ob eine solche Operation nun „humanitäre Mission“ oder „humanitäre Intervention“ genannt wird, erscheint zweitrangig. Entscheidend ist allein, die NATO könnte afrikanischen Boden betreten und mit einem Kontinent anders umgehen, als das vor der Libyen-Krise der Fall war. Es lohnt sich, den üblichen Floskeln zu vertrauen und von Demokratie, Menschenrechten und humanitärer Hilfe zu reden, um westlicher Dominanz Vorschub zu leisten. Die NATO kann Libyen nicht befrieden und will doch vollbringen, was den USA im Irak misslang. Auch in diesem Fall ist absehbar, dass das Ergebnis ein neokoloniales Protektorat sein wird.
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