Er war 1980 in Polen einer der wichtigsten Gewerkschaftsführer und prominentesten Vertreter der Solidarnosc-Linken. Berühmtheit erlangte Józef Pinior, als er wenige Tage vor der Ausrufung des Kriegsrechts Ende 1981 das Vermögen der Breslauer Solidarnosc von der Bank abhob und so vor einer Beschlagnahme rettete. Heute ist Pinior Mitglied des Europaparlaments, in dem er als Parteiloser die Partei Sozialdemokratie Polens (SDPL) vertritt.
FREITAG: Nach dem triumphalen Wahlsieg der Kaczynski-Zwillinge im Herbst warnte die polnische Linke davor, dass die von Lech Kaczynski angekündigte IV. Republik in ein autoritäres Regime mündet. Nun fordern einige Linkspolitiker einen Schulterschluss mit der Kaczynski-Partei. Begründung: Die sei zwar erzkonservativ, hätte aber ein soziales Gewissen.
JOZEF PINIOR: Das ist doch idiotisch. Die Brüder Kaczynski können nie ein Partner für die Linke sein. Sie haben die soziale Karte nur genutzt, um die Macht an sich zu reißen. Es mag schon sein, dass sie in einzelnen sozialen Fragen etwas Gutes tun werden. Aber das allein bedeutet doch nicht, dass sie linke Politik machen. Auch islamische Fundamentalisten haben soziale Forderungen, sind aber nicht links. Für katholische Fundamentalisten wie die Brüder Kaczynski gilt dasselbe. Die Linke in Polen sollte sich daher besser gemeinsam mit den Liberalen einer drohenden Aushöhlung demokratischer Rechte erwehren, anstatt auf die Recht-und-Gerechtigkeits-Partei (PiS) der Kaczynskis zu schielen.
Andrzej Lepper von der Bauernpartei "Samoobrona" bezeichnet sich neuerdings auch als links. Kommt er als Bündnispartner in Frage?
Lepper ist weder rechts noch links, sondern der klassische Populist. Ich habe diese Hysterie um seine Person nie verstanden - der ist kein Beelzebub, aber auch kein Erlöser. Immerhin verstieg er sich meines Wissens noch nie zu antisemitischen Ausfällen. Er ist wohl national, doch niemals chauvinistisch oder offen fremdenfeindlich wie Radio Maryja. Lepper ist eher einer, der gern den Robin Hood gibt. Daher sehe ich in seiner Partei durchaus linkes Potenzial. Nicht zufällig sind zwei der Samoobrona-Abgeordneten im Europaparlament Mitglieder der Sozialistischen Fraktion - das sagt doch auch etwas.
Die Kaczynskis berufen sich ebenso auf das Erbe der Solidarnosc wie Sie, ein bekennender Linker.
Um das zu verstehen, muss man die Vorgeschichte bemühen. Was nach 1989 mit der Solidarnosc passierte, war eine Tragödie. Die wiederum lässt sich nur verstehen, wenn an die Einführung des Kriegsrechts durch General Jaruzelski Ende 1981 erinnert wird. Am 13. Dezember 1981 wurde die Arbeiterbewegung Solidarnosc zerstört. Nicht als Symbol, doch als Organisation - sie existierte nur noch als Verband im Untergrund. Als sie dann 1989 mit an die Macht kam, war sie darauf absolut unvorbereitet. Der Wechsel der meisten Solidarnosc-Führer auf die rechte Seite hat dann die Gewerkschaft - als Arbeiterbewegung - endgültig marginalisiert.
Mussten die historischen Solidarnosc-Führer überhaupt nach rechts wechseln? Waren die nicht von Anfang an dort zuhause?
Absolut nicht. Die Solidarnosc von 1980, das waren revoltierende Arbeiter und Intellektuelle, das war keine ideologisch festgelegte Bewegung. Als das Kriegsrecht verhängt wurde, hieß es, das sei zur Verteidigung des Sozialismus notwendig. Und in den Köpfen der Arbeiter entstand der Eindruck, der Sozialismus, das ist das Kriegsrecht, das sind Schüsse auf streikende Arbeiter. Daher glaubten viele mit der Zeit, der Kampf um Arbeiterrechte müsse rechts und antisozialistisch zu sein. So hat die politische Situation ehemals linke Solidarnosc-Leute nach rechts getrieben.
Ist es nicht seltsam, dass in Polen heute die Postkommunisten von der Allianz der Demokratischen Linken (SLD) die einzige nennenswerte Größe links von der Mitte sind?
Es ist eine Tatsache. Es hilft nichts, lange zu überlegen, ob man das so haben möchte oder nicht. Ich hätte eine solche Entwicklung Anfang der neunziger Jahre auch nicht für möglich gehalten. Ich habe damals gesagt: Niemals werden die Postkommunisten die Führung der polnischen Linken übernehmen können - sie sind viel zu diskreditiert, doch es kam anders. Der entscheidende Grund dafür war, dass man im gesamten Solidarnosc-Lager - auch bei der Solidarnosc-Linken - nach 1989 nur noch damit beschäftigt war, den Kapitalismus aufzubauen. Die Postkommunisten hatten so als Linke fast ein Monopol. Nach den Wahlen jetzt im Herbst hat sich die Lage allerdings geändert. Die SLD ist zwar noch immer stärkste linke Partei, aber nicht mehr so eindeutig. Mit der Abspaltung von Marek Borowski, der die Sozialdemokratie Polens (SDPL) gegründet hat, ist etwas Bewegung in die Szene gekommen. Was der polnischen Linken nach wie vor fehlt, das ist jemand, der mit Entschiedenheit ihre Führung übernimmt wie Brandt in Deutschland oder Clinton in den USA.
Clinton als Vorbild für die polnische Linke?
Man muss sich dazu die Situation vor Augen halten. Die national-konservative Partei der Brüder Kaczynski beherrscht das rechte Lager. Von ihr ist viel Böses zu befürchten - man braucht sich nur anzuschauen, wie die Kaczynski-Leute dort, wo sie können, gegen Minderheiten, gegen Schwule und Lesben vorgehen. Deshalb brauchen wir ein möglichst starkes Gegengewicht: eine Allianz aus Linken und Liberalen, die für die Bürgerrechte, die Rechte der Minderheiten, also für klassisch liberale Werte kämpft ...
... und was ist mit klassisch linken Werten?
Es sollte nicht so sein, dass die Linke ihre Ziele aufgibt und in einer liberalen Strömung aufgeht. Sollte es die polnische Linke schaffen, den Protest gegen eine autoritäre IV. Republik der Brüder Kaczynski zu einen, kann sie viel gewinnen. Wenn sie das gesamte aufklärerisch liberale Lager um sich sammelt, bringt ihr das einen ungeheueren Vertrauensvorschuss, den sie später nutzen kann.
Einst haben Sie mit der Solidarnosc für Arbeiterselbstverwaltung gekämpft. Heute sind Sie EU-Parlamentarier und ein glühender Europa-Verehrer. Dass die EU vielen Linken als ein reines Wirtschaftsprojekt gilt, stört Sie nicht?
Der Vorwurf trifft mich nicht, weil er nicht stimmt. Die EU ist nicht primär ein Wirtschafts-, sondern ein politisches Projekt. Wir dürfen nicht vergessen: Wir leben in einem Europa, das noch vor 60 Jahren Schauplatz eines Völkermordes war. Wer das nicht versteht und die EU nur als Vehikel von Kapitalinteressen sieht, der hat aus den vergangenen hundert Jahren nichts gelernt. Natürlich heißt dieses Projekt auch: Gemeinsamer Markt, doch nicht in einer neoliberalen, sondern einer sozialstaatlich geprägten Form.
Aber die Debatte um eine Europäische Verfassung zeigt doch, dass die EU den neoliberalen Weg als einzig zulässigen festschreiben will.
Der Verfassungsentwurf ist vor dem Hintergrund bestimmter politischer Realien entstanden, vor allem des Weltmarktes. Wir können uns nicht abschotten vor internationaler Konkurrenz und Europa zu einer riesigen Schweiz machen.
Das Gespräch führte Piotr Dobrowolski
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