Kriegs-Bühne

Vor dem Irakkrieg Das "Neue Rom" gibt es nur im Theater

Das Märzheft der Blätter für deutsche und internationale Politik erscheint zur rechten Zeit mit Informationen und Argumenten, die für alle Gegner der amerikanischen Kriegsvorbereitung nützlich sind. Aktuell am wichtigsten ist der Beitrag der Professoren John J. Mearsheimer, Chicago, und Stephen M. Walt, Harvard. Sie weisen nach, dass die Behauptung, Saddam Hussein sei eine unberechenbare Gefahr und eine Zeitbombe, zu deren Entschärfung die dramatischsten Mittel gerade recht sind, weiter nichts als ein Märchen ist. Mehr noch: Es ist ein Kunststück, gerade diesen Mann so zu verzeichnen, den man doch 30 Jahre an der Macht beobachten konnte. Gewiss hat er zwei Kriege geführt, bildet darin aber nicht etwa eine Ausnahme im Nahen Osten. "Beide Male griff er an, weil der Irak verwundbar war" und sich in einem "strategischen Dilemma" befand, das er "mit einem begrenzten militärischen Sieg zu korrigieren" hoffte. Er ist nicht der Typ, der "nicht auf Abschreckung reagiert" - das heißt: Selbst wenn er die USA bedrohen könnte, wäre es unnötig, dieser Gefahr mit einem Krieg zu begegnen.

Vom Iran, dem ersten Kriegsgegner, musste sich umgekehrt Saddam bedroht fühlen. Er hatte sich immer um gute Beziehungen zum Nachbarland bemüht. Es war ihm gelungen, den Schah von der Aufwiegelung der Kurden abzubringen, wenn auch nur um den Preis, dass er die Hälfte der Wasserstraße des Schatt el Arab abtrat. Nach der iranischen Revolution wollte er die guten Beziehungen fortsetzen. Er versuchte nicht, die revolutionäre Krise auszunutzen, und forderte den Wasserweg nicht zurück. Der neue iranische Führer hetzte aber wieder die Kurden und auch die Schiiten auf. Weil er die Revolution exportieren wollte, nahm er sich zunächst den Irak vor. Er provozierte Grenzzwischenfälle. Auf ranghohe irakische Offiziere wurden Mörder angesetzt. Deshalb begann Saddam einen Krieg mit begrenzten Zielen; Saudi-Arabien, Frankreich, die USA und andere unterstützten ihn.

Auch seinen zweiten Krieg begann er "weder blindwütig aggressiv noch besonders leichtsinnig". Sein Land war durch den achtjährigen Irankrieg, der auch im Interesse Kuwaits geführt worden war, wirtschaftlich sehr geschwächt. Kuwait verweigerte aber nicht nur jegliche Hilfe, sondern überschritt auch noch "die von der OPEC festgeschriebenen Förderquoten, wodurch die Weltölpreise fielen und sich die irakischen Öleinnahmen verringerten". Bevor Saddam sich zum Krieg entschloss, erkundigte er sich nach der Haltung der USA, deren Vertreter ihm erklärten, sie interessierten sich nicht für innerarabische Konflikte und hätten mit Kuwait kein Militärbündnis. Als die USA dann doch eingriffen, bewies Saddam, dass er nicht so dumm ist, Massenvernichtungswaffen gegen ein Land einzusetzen, das ebenfalls welche hat. Condoleeza Rice schrieb denn auch im Februar 2000 - ein Jahr, bevor sie George W. Bushs Sicherheitsberaterin wurde - in Foreign Affairs, gegen Saddam könne die "klassische Abschreckungserklärung" brauchbar sein. Warum soll das jetzt nicht mehr gelten?

Der Beitrag des französischen Politologen und Historikers Emmanuel Todd, dessen Buch Weltmacht USA. Ein Nachruf in diesen Tagen auf Deutsch erscheint, ist über den Tag hinaus bedeutsam. In der Kurzfassung in den Blättern arbeitet er heraus, dass es zur Zeit "keine globale Bedrohung" gibt, "die ein besonderes Engagement der Vereinigten Staaten zum Schutz der Freiheit erfordert". Amerika selbst ist die Bedrohung. Es kann die immer komplexer werdende Welt nicht mehr kontrollieren. So wurden Japan und Europa eigenständige Wirtschaftsmächte; zudem hat Russland nukleare Vergeltungskapazität behalten. Das sind nach Todds Auffassung "die wahren Mächte der Erde", besonders wenn sie sich einander annähern - und eben das geschieht infolge des "seltsamen Aktionismus" der USA. Deren Potenzial wird vom Potenzial der "wahren Mächte" um das Zweieinhalbfache übertroffen. Vor diesem Hintergrund hält Todd die amerikanische Kriegswut für Theater: Auf der "Bühne des theatralischen Militarismus" wirft man "Bomben auf unbedeutende Armeen", um die wahren Konkurrenten einzuschüchtern. Todds Buch möchte man eine breite, auch kritische Diskussion wünschen: Er sieht anscheinend nicht, wie gefährlich für den Frieden der ganzen Welt auch ein Theater-Caesar sein kann.

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Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur „Politik“ (Freier Mitarbeiter)

Michael Jäger studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. für poststrukturalistische Philosophie an der Universität Innsbruck inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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