Kriegsliberalismus

EUROPA Politische Integration durch militärische Intervention?

Unser Jahrhundert endet also, wie es begonnen hat: mit dem Krieg auf dem Balkan. Und Professor Herfried Münkler ist zuzustimmen, da er schreibt: »So penetrant von moralischen Verpflichtungen die Rede ist, müssen noch andere Motive im Spiele sein.« So benennt er »wohlverstandene deutsche geo-politische Eigeninteressen«, die sich offenbar mit denen der NATO-Hauptmacht decken; spricht er doch zugleich von einer »Gemeinsamkeit westlicher Werte und Ziele«, die wiederum in den Zeiten des Kalten Krieges auch darin bestanden hätten, »das Land (Jugoslawien) als blockfreie Macht ökonomisch zu stabilisieren und so die Sowjetunion von den jugoslawischen Mittelmeerhäfen fernzuhalten«.

Hier werden mit einiger Offenheit selbst geostrategische NATO-Vormachtziele durch einen ausgewiesenen, qualifizierten Kriegsbefürworter angesprochen, der wohl kaum verhehlen wird, in welchem Maße derartige Ziele auch gegenüber dem postsowjetischen, doch atomar gerüsteten und kommunistisch mitbestimmten Rußland weiterverfolgt werden. Bemängelt der Historiker doch »die Verschwiegenheit« der Schröder/Fischer-Kabinettspolitik im jugoslawischen Kriegsfall, respektive deren schlicht populär-moralische Verlautbarungstiraden, worin er weder Klugheit noch Weitsicht entdecken kann. Vielmehr einen fragwürdigen Umgang mit »mentalen Grundbefindlichkeiten der deutschen Öffentlichkeit«.

Es ist dieses alte hegemoniale Lied, an das heute kein aufgewecker Mensch mehr glauben möchte. Zugleich aber ein unsterblicher, klassischer Gassenhauer, wie man aus berufenem, tonangebendem Munde immer wieder hört, sobald es darum geht, »wohlverstandene politische Eigeninteressen« zu überspielen. Münkler sieht das wiedervereinigte Deutschland in einer »privilegierten europäischen Mittellage« und daraus sogar ein deutsches Sonderinteresse an der Integration des Kontinents.

Integration europäischer Randstaaten notfalls auch durch militärische Intervention, wie wir inzwischen alle wissen, und zwar - wie Münkler für unser Land mit Nachdruck in Anspruch nimmt - »gleichgültig, ob mit oder ohne UNO-Mandat«; jedenfalls sofern damit eine gewaltsame ethnische Vertreibung zu verhindern sei.

Die Formel »Politische Integration durch militärische Intervention«, wohlgemerkt ohne UNO-Mandat, bedeutet tatsächlich einen neuen Kriebsliberalismus mit grausamen, verheerenden Folgen für Feind und Freund (...). Es ist diese zerstörerische Luftbrücke, von der NATO unter Ausschaltung der UNO über den Balkan geschlagen, die real einen Sonderweg in eine erschreckende Zukunft aufzeigt, die wohl kaum im »wohlverstandenen deutschen Eigeninteresse« liegen kann. Im Gegenteil, handelt es sich dabei um einen strategisch höchst riskanten Sonderweg, den über Europa hinaus namentlich die britisch-türkischen Verbündeten der USA selbst innerhalb der NATO gehen, nämlich den Irrweg der Ignoranz gegenüber geltendem internationalen Recht, der sich hier und dort sogar kreuzt mit massenhaften Menschenrechtsverletzungen im eigenen Land. Sich von solchen kriegerischen Extratouren des harten NATO-Kerns zu befreien, zu emanzipieren, wäre fraglos die historisch angemessenste Aufgabe einer deutschen Bundesregierung.

Welche Lehren aber zieht die Außenpolitik der nach Berlin zurückverlegten deutschen Regierung aus ihrem Balkan-Kriegsdesaster? Wird sie sich strikt an UNO-Mandate halten, falls demnächst im Kaukasus geschossen wird, entlang der zentralasiatischen neuen Staaten südlich von Rußland, nach Lesart eines Brzezinski ein »globaler Balkan unseres nationalen Interesses«, oder abermals jener harten NATO-Linie out of area, out of UNO nachfolgen? Minister Fischers bisherige Kriegskonsequenz, es gäbe fortan »keine Begrenzung deutscher Verantwortung« mehr, dürfte die US-Geostrategen wohl kaum in ihren Allmachtphantasien gestört haben.

Bisherige Beiträge in der Reihe "Deutscher Sonderderweg":

Ausgabe 31: Bündnistreue als letztes Argument
Ausgabe 30: Bündnistreue als Staatsräson


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