Kriegspräsident im Anmarsch

Nigeria Ex-General Muhammadu Buhari bietet sich bei der Wahl im Februar als Alternative zu Staatschef Goodluck Jonathan an
Ausgabe 05/2015
Wahlwerbung für Goodluck Jonathan
Wahlwerbung für Goodluck Jonathan

Pius Utomi Ekpei/AFP/Getty Images

Der Nordosten steht im Krieg. Die islamistischen Kämpfer von Boko Haram gehen mehr denn je dazu über, Kinder als Selbstmordattentäter zu missbrauchen, unter ihnen ein zehnjähriges Mädchen. Dazu werden ganze Dörfer und Städte geschleift. Die Islamisten sollen längst ein Territorium von mehr als 30.000 Quadratkilometern kontrollieren. In diesem sogenannten „Kalifat“ leben annähernd 1,7 Millionen Menschen – anderthalb Millionen sind vor solchem Schicksal geflohen und nun heimatlos. Knapp einen Monat vor den Präsidentschaftswahlen drohen Extremisten in Afrikas bevölkerungsreichstem Land die Oberhand zu gewinnen. Was tut die Regierung in solch prekärer Situation?

2013 erklärte Präsident Goodluck Jonathan Boko Haram den Krieg und mobilisierte die Armee. Doch sah sich die Terrormiliz nicht nur in der Lage, die damalige Offensive zurückzuschlagen – sie konnte sich dadurch bestärkt fühlen, den Regierungstruppen ihre offenkundige Unterlegenheit vor Augen zu führen. Soldaten, die Städte gegen Boko Haram verteidigen sollten, flohen vor der Front und ließen die Bevölkerung im Stich. Dabei schien es nicht daran zu liegen, dass die Soldaten feige waren. Viele Einheiten erwiesen sich als so schlecht ausgerüstet wie ausgebildet, um es mit den schwer bewaffneten Kombattanten des Dschihad aufzunehmen. Der Gouverneur des von Boko Haram am schlimmsten heimgesuchten Bundesstaates Boro musste öffentlich eingestehen, dass die Islamisten weitaus bessere Waffen hätten als die Armee.

Meeting mit Tanz

Für den armseligen Zustand der Streitkräfte gibt es einen schlichten Grund: Korruption. Das Militär verwaltet einen Jahresetat von umgerechnet über fünf Milliarden Euro, doch immer wieder sickert durch, dass ein Großteil davon nicht für Ausbildung und Equipment verwendet wird, sondern in den Taschen hoher Offiziere verschwindet. Soldaten, die dagegen aufbegehrten, wurden von einem Militärgericht wegen „Meuterei“ zum Tode verurteilt.

Als Oberbefehlshaber müsste Präsident Jonathan einschreiten, doch geht er dem Konflikt mit seinen Generälen aus dem Weg, steckt stattdessen den Kopf in den Sand und sucht die Schuld für den Vormarsch Boko Harams überall – außer bei sich selbst. Als im Vorjahr die Verschleppung der Mädchen von Chibok bekannt wurde, blieb Jonathan zwei Wochen unsichtbar und meinte später, die „vermeintliche Entführung“ sei ein Komplott politischer Gegner, um ihn zu diskreditieren.

In anderen Fällen schien er bemüht, die Massaker von Boko Haram als unvermeidliches lokales Phänomen eines globalen Dschihad einzuordnen, und signalisierte in Tonfall wie Körpersprache, dass Hunderte von Morden Woche für Woche etwas seien, woran sich Nigerias Bevölkerung einfach gewöhnen müsse. Nachdem in der Hauptstadt Abuja ein Bombenanschlag mehr als hundert Menschen in den Tod riss, sah man Jonathan am nächsten Tag auf einem Parteimeeting tanzen.

Nicht käuflich

Immer mehr nigerianische Bürger wenden sich inzwischen dem wichtigsten Oppositionskandidaten für das Präsidentenamt zu: Muhammadu Buhari, ein 72-jähriger Ex-General, der das Land schon von 1983 bis 1985, seinerzeit als Militärherrscher, mit eiserner Hand regierte. Er gilt nun als Hoffnungsträger im Kampf gegen Boko Haram. Unter normalen Umständen hätte der konservative Muslim Buhari im christlich geprägten Süden Nigerias wenig Chancen, zumal er nicht besonders charismatisch, redegewandt oder in politischen Details bewandert wirkt und schon dreimal erfolglos als Präsidentenbewerber angetreten ist. Da nun seit einem Jahr der Terror der Dschihadisten und die Korruption der Regierung in Nigeria die Schlagzeilen beherrschen, hat Buhari zwei starke Argumente auf seiner Seite: Er gilt als führungsstark und nicht käuflich. Unter der Prominenz des Landes ist er der einzige, dem keine Veruntreuung öffentlicher Gelder nachgesagt wird.

Ein Präsident mit eigener militärischer Geschichte, der den korrupten Obristen Paroli bieten könnte, würde den Soldaten im Kampf gegen Boko Haram moralischen Auftrieb geben. Gewiss verfügt auch Buhari über keine Zauberformel, um die Terrormiliz verschwinden zu lassen. Aber in dieser existentiellen Krise könnte Nigeria einen Kriegspräsidenten gebrauchen, der Kraft wie Ruhe ausstrahlt und eine gangbare Strategie gegen die Unsicherheit im Land vorlegt. Viel Zeit bleibt nicht.

Remi Adekoya ist selbst Nigerianer und schreibt für mehrere Blätter in Osteuropa

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