Die Sorgen und Nöte sind groß und berechtigt. Wie hoch kann ich die Heizung noch drehen? Werde ich mich verschulden müssen oder vielleicht sogar frieren? Getrieben von explodierenden Energiekosten und gesellschaftlichen Verstimmungen reagiert die Politik mit Maßnahmenpaketen, bei denen man schnell den Überblick verliert: „Doppel-Wumms“, Einmalzahlungen, Entlastungspakete, Gas- und Strompreisbremsen, Soforthilfen ... Vor allem eines haben die geschnürten Maßnahmenpakete gemeinsam: Man fährt auf Sicht. Denn die Energiekosten werden wohl langfristig hoch bleiben. Die staatliche Abhilfe aber ist endlich und zeitlich befristet.
Aber selbst wenn die staatliche Subventionierung der Gaspreise fortgeführt werden würde: Aus ökologisch
;kologischer Perspektive wäre das fatal. Denn der Gebäudewärmesektor macht in Deutschland knapp ein Drittel des Endenergieverbrauchs aus, Wärme insgesamt mehr als die Hälfte. Nur ein geringer Teil davon wird über erneuerbare Energiequellen erschlossen, in Privathaushalten ist die Heizung noch immer die mit Abstand größte CO2-Schleuder. Dabei gäbe es bei der Wärmeproduktion die Chance, soziale und ökologische Probleme zusammen zu lösen. Statt Milliarden für die teure und kurzfristig wirkende Subventionierung auszugeben oder Milliarden für die ökologisch verheerende Flüssiggasinfrastruktur zu verschwenden, wäre jetzt die Gelegenheit, die Ärmel hochzukrempeln und in die Hände zu spucken: Für eine ökosoziale Wärmewende.Die Umstellung des Gebäudesektors auf Ökowärme wäre möglich, aber nur durch einen groß angelegten und geplanten Kraftakt. Immerhin geht es hier um Treibhausgasneutralität für knapp 20 Millionen Wohngebäude. Dafür wären mehrere Elemente notwendig: Geothermie, Wärmepumpen – große wie kleine –, Sonnenkollektoren und Wärmenetze. Die Geothermie – also die Nutzung von Erdwärme – könnte in Deutschland bis zu 40 Prozent des Wärmebedarfs abdecken. Am meisten Potenzial dafür besteht in Nord- und Süddeutschland, der Rhein-Ruhr-Region und dem Oberrheingraben. Das vermeintlich billige russische Gas und vergleichsweise hohe Strompreise sorgten bisher dafür, dass der Geothermie nicht mehr Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Ähnliches galt für Wärmepumpen, die ebenfalls auf Strom angewiesen sind.Wichtig dabei ist es, sich nicht nur auf kleine Wärmepumpen für Einfamilienhäuser zu konzentrieren, sondern auch Großwärmepumpen und städtische (Fern-)Wärmenetze in den Blick zu nehmen. Trotz gewisser Verluste beim Transport haben diese Netze eine höhere Effizienz als kleine und oft schlecht gewartete Gasthermen. Abwärme aus der Industrie könnte ebenfalls einer sinnvollen Nutzung zugeführt werden. Spätestens bei letzteren Maßnahmen ist klar, dass wir nicht über jeweils einzelne Haushalte reden müssen, sondern über eine gesamtgesellschaftliche Transformation.Jenseits des ProfitsWenn wir schnellstmöglich – binnen eines Jahrzehnts – über eine Million zusätzliche Fernwärmeanschlüsse anstreben, zwischen zwölf und 16 Millionen Wärmepumpen und ergänzend geschätzte 30 Millionen Quadratmeter Solarthermie installieren wollen, können wir auf den Markt nicht zählen. Es müssten umgehend Werke in Dimensionen von Autofabriken entstehen: Gigafactorys für Wärmepumpen.Dafür bräuchte es nicht nur Anschubfinanzierungen und Abnahmegarantien. Zu den Voraussetzungen solcher Großprojekte gehören auch stark verkürzte Genehmigungsverfahren, Rohstoffe, Vorprodukte und Fachkräfte. Hier herrscht Mangel: Zwar nicht global, aber dort, wo sie gebraucht werden. Das zeigt das Beispiel der Halbleiter: Was heute an Halbleitern in Autos und besonders Elektroautos verbaut wird – für Steuerung, Infotainment und das Schalten von Strömen – müsste zwingend für die Wärmewende vorgehalten werden. Also für die Produktion von Wärmepumpen, Wechselrichtern für Solarenergie und dergleichen mehr. Das aber muss geplant und beschlossen werden: Etwa die Umstellung von Fabriken für Benzinpumpen auf Pumpen für Kühlmittel. Technisch wäre die Umrüstung möglich. Aber auch hier gilt: Der Markt wird es nicht richten.Für die dringend benötigte Sanierung von Gebäuden gilt das Gleiche. Ungefähr 13 Prozent der Gebäude in Deutschland sind jetzt schon in einem vertretbaren Zustand. Ein weiteres Prozent wird pro Jahr saniert. Das Tempo ist lächerlich, notwendig wäre die Sanierung von zehn Prozent der Bestandsgebäude pro Jahr. Das geht nur mit industriellen statt handwerklichen Konzepten: also industrielle Vorfertigung von Fassaden- und Dachelementen.Auch der Fachkräftemangel ist lösbar, wenn man ihn gesamtgesellschaftlich in den Blick nimmt. Aus ökologischer Perspektive müssen gewisse Produktionszweige ohnehin um- oder zurückgebaut werden. Die vom Strukturwandel Betroffenen könnten dann durch Fort- und Weiterbildung für die Transformation gewonnen werden. Beschäftigungsgarantien und vernünftige Rahmenbedingungen bei Löhnen und Arbeitszeiten würden dafür sorgen, die Menschen dauerhaft an neue Schlüsseltechnologien zu binden.Placeholder infobox-1Und die Gewerkschaften?Spätestens hier wären die Gewerkschaften gefragt. Nach wie vor sind viele Gewerkschaften aber vor allem darauf bedacht, mit ihren Branchentarifverträgen die Privilegien von jeweils einzelnen Beschäftigungsgruppen abzusichern. Schlimmstenfalls verteidigen sie dabei Arbeitsplätze in Industrien, die aus ökologischer Sicht nicht länger bestehen sollten. Am deutlichsten wurde dies beim Kohlekompromiss, wo die Gewerkschaften als Bremsklotz und nicht als Motor fungierten. Würden die Gewerkschaften den Kampf um Partikularinteressen zurückstellen und stattdessen von den gesamtgesellschaftlichen Interessen der Lohnabhängigen ausgehen, ergäben sich ganz neue Möglichkeiten.Die derzeitige Krisensituation verlangt geradezu danach, über die branchenspezifische monetäre Inflationsbekämpfung hinauszugehen und andere Formen des Lebens, des Arbeitens und Wohnens zu erstreiten. Zum Beispiel: eine erneuerte gesellschaftliche Infrastruktur zu schaffen, die jenseits kapitalistischer Verwertungsinteressen abgesichert ist. Oder dafür zu sorgen, dass die Reichen für die Krise und ihre Lösung bezahlen. Bei der Wärmeversorgung gilt es, ein Recht auf eine günstige Basisversorgung zu erkämpfen, jenseits derer dann stark steigende Energietarife greifen würden. Am meisten Energie einsparen könnten nämlich die oberen zehn Prozent der Haushalte, die so viel Energie verbrauchen wie die unteren 40 Prozent.Eine verbesserte gesellschaftliche Infrastruktur wäre im ureigensten Sinne des gewerkschaftlichen Gedankens, da sie die gemeinsamen Interessen der abhängig Beschäftigten – etwa nach Wärme – in den Mittelpunkt rückt. Mit der Marktmacht der großen Energiekonzerne ist eine solche Perspektive natürlich nicht zu vereinbaren. Denn eine gesellschaftliche Infrastruktur jenseits des Profitzwangs braucht kollektive Planungs- und Aneignungsprozesse, die lokale Formen der Umsetzung und Selbstverwaltung mit zentraler Koordinierung verbindet. Die Überwindung des Profitzwangs ist auch deshalb zentral, weil der Rebound-Effekt, der in den bestehenden gesellschaftlichen Strukturen eingeschrieben ist, sonst jeglichen ökologischen Fortschritt sofort wieder auffrisst. Effizienzsteigerungen sind sinnlos, wenn sie durch Mengenwachstum zunichtegemacht werden. Gegen den kapitalistischen Imperativ des „Immer größer“ und „Immer mehr“ kommen die besten Wärmepumpen und -netze nicht an. Die marktbasierte Wärmeversorgung versagt, also braucht es Alternativen. Es gibt eine Welt zu gewinnen.Placeholder authorbio-1