Wenn Krisenpolitik die Krise systematisch verschlimmert und Auswege blockiert, haben wir das, was im Ökonomen-Jargon „Krise des Krisen-Managements“ heißt. Doch wird der Begriff Krisen-Management nur denen gefallen, die das Understatement lieben. Fiasko passt besser. Der Terminus ist vor allem Angela Merkel und Schwarz-Gelb zu verdanken.
Vor Ausbruch der Eurokrise lagen Länder wie Irland, Spanien oder Portugal unter der magischen Marke von 60 Prozent Staatsschulden, gemessen am jeweiligen Bruttoinlandsprodukt (BIP). Griechenland, Italien und Belgien gehörten mit Verbindlichkeiten jenseits der 100-Prozent-Quote zu den Ausnahmen. Die Staatsschulden schnellten erst ab 2008 in die Höhe, als Milliarden Euro schlingernde Banken vor dem Bankrott bewahrten. Ausgaben, die keine öffentlichen Investitionen, sondern Verluste für die Steuerzahler waren. Heute sind wegen der auch deshalb gestiegenen Schulden Spar- statt Konjunkturprogramme angesagt. Letztere hatten beim großen Einbruch 2009 das Ärgste verhindert, besonders in Deutschland (Stichwort: Abwrackprämie, verlängertes Kurzarbeitergeld). Heute ist diese Munition verschossen, die Haushalte sind klamm, der Euro fällt im Kurs.
Die Gemeinschaftswährung war stets ein gewagtes Projekt, um die ökonomische Einheit Europas voranzubringen. Im Lehrbuch stand es anders. Das wussten alle Ökonomen, aber welche Währungsunion wurde je nach Lehrsätzen gebaut? Der Euro wurde stattdessen mit einem Vertragsrahmen versehen, der fiskalische Disziplin ohne die dafür nötige europäische Staatlichkeit verordnete. Es gab die Stabilitätskriterien des Maastricht-Vertrages von 1992, der eine gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpolitik ersetzen sollte. Damit verordnete Grenzen für die Neuverschuldung wurde unweigerlich gebrochen, zunächst nicht von den Südländern, sondern von EU-Kernstaaten wie Deutschland und Frankreich. Schließlich wurde mit dem 2007 unterzeichneten Vertrag von Lissabon die EU als supranationaler Wettbewerbsstaat definiert. Die Mitgliedsländer sollten auf Gedeih und Verderb miteinander konkurrieren, nicht nur auf dem Weltmarkt, ebenso im europäischen Wirtschaftsraum. Als die Finanzkrise nicht mehr aufzuhalten war, flogen der EU beide Konstruktionen – die von Maastricht wie die von Lissabon – um die Ohren. Und die Schäden wurden dem Euro angelastet.
Mit Kusshand
Kann nun die bisherige EU-Krisenpolitik noch die Kurve kriegen? Etwa dank François Hollande? Man muss dem französischen Präsidenten zugutehalten: Mut hat er. Ohne sich einer Mehrheit in der Nationalversammlung und der künftigen Regierung sicher zu sein, nimmt er eine Linkskurve und verlangt ein Bekenntnis zu Konjunkturhilfen und Eurobonds. Angela Merkel kontert auf dem jüngsten EU-Gipfel mit der Formel „Wachstum ohne Schulden“, womit ein Wachstum durch „Strukturreformen“ nach dem Muster der Agenda 2010 gemeint ist. Dem kann die SPD offenbar nicht widerstehen, auch wenn ihr Vorsitzender Sigmar Gabriel und Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin einen Schuldentilgungsfonds ins Gespräch bringen, der statt einer gemeinschaftlichen Finanzierung von Eurobonds auf vergemeinschafteten Schuldabbau setzt. Im Kern geht es darum, Schulden der Euro-Länder, die jenseits der Marge von 60 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung liegen, innerhalb von 20 bis 25 Jahren auf der Basis einer gemeinsamen Haftung abzubauen. Für jedes Land würde ein konkreter Euro-Betrag an Verbindlichkeiten festgelegt, die in diesen Kapitalstock ausgelagert werden. Hochschuldner wie Deutschland (2,1 Billionen Euro Gesamtschulden) und Italien (1,9 Billionen) hätten viel unterzubringen. In einem zweiten Schritt könnte dann ein solcher Fonds gemeinsame Anleihen ausgeben, für die alle beteiligten Länder haften. Diese Bonds würden auf dem Kapitalmarkt wegen der kollektiven Sicherheiten gewiss nicht zu Höchstzinsen gehandelt, so dass die Krisenländer bessere Konditionen für die Refinanzierung ihrer Schulden hätten. Wer will, kann das eine verkappte Spielart von Eurobonds nennen. Vorgeschlagen wurde ein solches Vorgehen übrigens zuerst von Sachverständigenrat der Bundesregierung, ohne dass die Kanzlerin dem bisher viel abgewinnen konnte.
Die Eurozone braucht jetzt viel mehr als Austerität ohne Ende. Gefragt sind neue Formen der Gemeinschaftsfinanzierung, um den Währungsraum zu erhalten. Nichts wäre dafür besser geeignet als Eurobonds. Großanleger wie China, Versicherungen und Pensionsfonds würden sie mit Kusshand nehmen. Die Skala der Befürworter reicht von der französischen bis zur US-Regierung, vom IWF bis zur Weltbank, von der OECD bis zu einer Mehrheit im Europäischen Parlament. Doch die Merkel-Regierung will sie nicht, weil Bundesanleihen Konkurrenz bekämen. Ein wenig würden auch die Zinsen für deutsche Staatspapiere steigen, der schöne Rendite-Vorteil wäre dahin.
Nur muss die Folgen bedenken, wer sich aus nationalem Egoismus verweigert. Auf Dauer wird eine starke Gemeinschaftswährung auf Gemeinschaftsanleihen angewiesen sein. Ohne US-Treasury-Bonds gäbe es keine Weltwährung Dollar. Obwohl die meisten US-Bundesstaaten schwer überschuldet sind, erwartet niemand den ökonomischen Kollaps der USA. Das wäre – bezogen auf die EU – bei Eurobonds genauso.
Michael Krätke schrieb zuletzt über ein Griechenland ohne Euro
Kommentare 6
Wer verkauft denn so einen Blödsinn, dass Eurobonds demokratisch wären???? Das macht ja die Bank zum göttlichen Wächter Europas ;)
Die, auf dem Glauben an bunt bedrucktes Papier beruhende, Religion driftet auf ihr Armageddon zu. Ob die Blinden Passagiere die Rettungsboote finden?
Auch das mit der Aufschrift Eurobonds hat nicht zu stopfende Löcher.
Dieser Glaube kann keine (Schulden) Berge versetzen. Es ist der Versuch des Schuldenberges Glauben zu stiften.
Solange wir Merkel haben und nur Deutschland Nutzniesser der EU sein soll, wird sich nichts ändern!
Die Frau will doch der deutschen Industrie keine Gewinne wegnehmen oder ihnen die Möglich auf Null Zinsen streichen. Da soll lieber der Rest Europas kaputtgehen - hauptsache Deutschland steht gut da. Aber wer steht gut da? Nicht der Bürger, sondern das grosse Kapital - den Banken haben die Bürger u.a. Milliarden in den Ar... gesteckt. Da bleibt für den Wohlstand des Bürgers nichts mehr über!
Mich befremdet die Behandlung des Themas durch Experten wie Politik.
Kaum jemand stellt die Frage, weshalb sich der Staat, der über die Art und Weise von Zahlungsmitteln, Steuern und Verteilung von Wohlstand entscheidet, dem Diktat einer zinsorientierten Geldwirtschaft unterwirft, die die Gesellschaft zu permanentem Wachstum zwingt, weil der geforderte Zins nicht existierender Wert ist.
Dann ist es recht befremdlich, dass sich der Staat auf dem Umweg über Privatbanken, die sich wiederum von der Zentralbank das Geld borgen, mit Finanzmitteln versorgt. vielmehr könnte der Staat doch direkt zinsfrei Geld über die Zentralbank emittieren, das er in den Wirtschaftskreislauf gibt und schließlich über die verschiedenen Steuerungsmechanismen, die ihm zur Verfügung stehen, wieder aus dem Kreislauf entziehen kann, um z.B. die viel beschworene Inflation zu verhindern usw. usf.
Um es kürzer zu machen: Alle Experten diskutieren das Thema Euro-Krise, Staatsschulden, Bankenkrise unter Voraussetzungen, die selbst aber Fehlkonstruktionen sind.
Welcher Gott hat dieser Welt das Zentralbanksystem verordnet? Und wozu ist Zins und ZinsesZins hilfreich? Warum werden diese Fragen nicht gestellt?
@Sisyphos Boucher
...Ihre gesuchte Antwort lautet: weil das Zinssystem nicht das primäre Problem ist.
ERKLÄRUNG:
Beim Zins handelt es sich innerhalb der Marktwirtschaft um den spezifischen Mehrwert für die Tauschware "Geld". Das bildet kaufmännisch die Grundlage für das Geschäftsmodell der Banken, so wie jedes andere Unternehmen ja auch "Gewinn" erzielen muss und dazu eine Handelsspanne oder Marge benötigt. Deshalb wird das von bürgerlichen Ökonomen auch in der Regel nicht beanstandet. Der Zins erfüllt außerdem diverse regulative Funktionen am Geldmarkt, stellt eine "Risikoprämie" da usw. Es gibt zahlreiche Erklärungen.
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Damit will ich das lediglich benannt (und keinesfalls gerechtfertigt haben) um aufzuzeigen, dass es sich dabei um unzureichende Fragen handelt.
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Ebenso benennen kann man in diesem Zusammenhang dann auch den Zineszinseffekt. Man muss diesen Effekt aber auch richtig einordnen. Dass die Kredite und deren Zinsen kaum noch zu bedienen sind liegt daran, dass zu wenig Mehrwert und Gewinn in der Wirtschaft produziert wird.
Das primäre Kernproblem ist also der Mangel an Mehrwert.
ERKLÄRUNG dazu:
Kaum ein Unternehmen hat dauerhaft in seiner Branche eine konstante Mehrwertrate (vereinfacht: Mehrwert/eingesetztes Kapital). Das müssten aber alle Unternehmen haben, um eine exponentiell steigende Verwertung ihres eingesetzten Kapitals zu erreichen. Dann könnte man auch alle Kredite bedienen und die Zinsen würden sinken. Analog wäre es beim Staat Dank wachsender Steueraufkommen. Unter den Konkurrenzbedingungen des Marktes schwindet der Mehrwert langfristig jedoch. Somit steigen auch auch die Steuereinnahmen nicht ausreichend. Das ist sowohl theoretisch begründet als auch empirisch belegt vgl. auch: www.exit-online.org/textanz1.php?tabelle=autoren=3=382=text1.php
Das liegt also an den ökonomischen Ablaufgesetzen des Kapitalismus. Exponentielle Steigerungen lassen sich nicht dauerhaft durchhalten. Irgendwann kollabiert das.
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Was kann man daraus schlussfolgern?
1.Das Zinsproblem ist ein sekundäres, abgeleitetes Folgeproblem des kapitalistischen Wirtschaftens mit dem abstrakten Wert, der sich unter anderem im Geld ausdrückt.
2. den kapitalistischen Eliten bleibt trotz aller Kritik nicht wirklich etwas anderes übrig.
3. der Pkt. 2. zeigt sich auch an folgendem: selbst eine Monetative ist keine ernsthafte Lösung, da die Menschen, die dort arbeiten, ja auch bezahlt werden müssten. Dieses Geld müsste bei zinsfreiem Geld dann über andere Wege (Steuern) aufgebracht werden, wenn es nicht direkt aus dem Bankgeschäft stammt. Damit wird das Problem aber nicht gelöst, sondern nur verlagert...also eine typisch systemimmanete Scheinlösung. Das hindert deren Vertreter nicht daran, von so einer Monetative zu träumen - siehe: www.monetative.org/?page_id=61
4. "Zinsfreies Geld", "Geldschöpfung aus staatlicher Hand" und eine "Monetative" funktionieren in den Köpfen derer nur deshalb bzw. erscheinen als wünschenswert und politisch anzustreben, weil sie die Ursache der Krise in die Finanzwelt verlegen. Dabei wird schlichtweg ignoriert, dass durch die reine Zirkulation weder Wert geschaffen noch vernichtet werden kann. Das sagt man nur ("es wurden Milliarden vernichtet" usw.). Das sind lediglich buchhalterisches Wertabschreibungen.
5. Es handelt sich vielmehr um den äußeren Ausdruck und Oberflächenerscheinungen beim Zinsproblem, dem strukturelle Widersprüche zugrunde liegen, auf denen die Wertproduktion der Marktwirtschaft aufbaut und an denen das System letztlich scheitert.
Warum - dazu ein LESETIPP:
www.amazon.de/Geld-ohne-Wert-Transformation-politischen/dp/3895023434/ref=sr_1_1?s=books=UTF8=1338754214=1-1
Ich hoffe dass hilft Ihnen weiter.
@Tiefendenker
Vielen Dank für die kurze, dennoch ausführliche, weil schon mal aufschlussreiche Erläuterung des Problemansatzes (aus Sicht eines Volkswirts?).
Auch wenn ich mich wohl erst einmal intensiver mit dem Thema auseinandersetzen muss, glaube ich, dass man durchaus mal ernsthaft die Strukturen (Finanzwirtschaft, Warenproduktion, Warenaustausch usw. usf.) versuchen sollte, außerhalb des Koordinatensystems zu denken, in dem wir uns befinden.
Das Thema lohnt, weiterverfolgt zu werden.