Krisen-Triptychon

Linksbündig Berlin rüstet zur Rettung

Verfall und Aufbruch sind in Berlin gleich benachbart. Das zeigt sich im Überblick genauso wie im Detail, rund um den Bebelplatz etwa: Wo im nächsten Jahr das Historische Museum im Zeughaus saniert und um das gewundene Treppenhaus des Architekten I.M. Pei erweitert wieder eröffnet wird, und wo kaum hundert Meter entfernt der Regen schon wieder hässliche Kalkausblühungen auf dem glatt rasierten Antlitz Friedrich II. aufgeschwemmt hat - kaum zwei Jahre, nachdem das restaurierte Reiterstandbild auf den Boulevard Unter den Linden zurückgekehrt ist. Das gleiche Bild auf der Straßenseite gegenüber: Wo schon an der Hausnummer 1, gegenüber vom Zeughaus, die neue Bertelsmann-Repräsentanz residential entsteht, sind nebenan TÜV und Baupolizei eingezogen. Nicht nur der Stuck bröckelt in dem hohen Rokoko-Saal der Staatsoper, die Bühnenanlage selbst ist so marode, dass Berlin tagtäglich auf die vollständige Sperrung des Hauses wartet.

Die typische und offenbar auch die Zeitläufte überdauernde Melange von Agonie und neuem Leben mag der Hauptstadt noch einigen Charme geben. Auch bei den Opern war das bis vor ein paar Jahren so. Heute kann davon keine Rede mehr sein: die belkantische Dreifaltigkeit ist einem Triptychon der Krise gewichen. Der linke Flügel zeigt die Deutsche Oper, der rechte die Komische und der Altar eben die Staatsoper Unter den Linden. Hier in der Mitte war auch in besseren Zeiten der Platz des Hauses von Daniel Barenboim, der inzwischen öfter zu Gastspielen reist als in der nur provisorisch bespielbaren Lindenoper zu dirigieren. Die Sanierung würde in etwa genauso viel kosten, wie das Land insgesamt im Jahr für seine drei Opern ausgibt - rund 120 Millionen Euro, angesichts der derzeitigen Finanzlage Berlins utopisch. Dennoch hat Intendant Peter Mussbach, der eben sein Amt angetreten hat, von der Runderneuerung seinen Verbleib abhängig gemacht. Er klebe nicht an seinem Intendanzbüro, ließ er wissen.

An den anderen Häusern haben die Intendanten schon längst Klarheit, dass ihre Zeit abgelaufen ist. Albert Kosts Vertrag an der Komischen Oper wird über das Jahr 2004 hinaus nicht mehr verlängert. Der Grund: Trotz von der Kritik gefeierter Inszenierungen fehlt das Publikum. Die Auslastung lag im vergangenen Jahr gerade mal bei 63 Prozent. Auch der Deutschen Oper in Charlottenburg laufen die Zuschauer weg. Das erste Jahr des als Avantgardisten gepriesenen Udo Zimmermann geriet zum Desaster, Neuinszenierungen waren mit Regelmäßigkeit Flops. Zimmermann muss im nächsten Jahr gehen.

Kaum ein Gegenstand wurde im vergangenen Jahrzehnt so anhaltend diskutiert wie die Berliner Opernfrage. Das liegt einmal am Gegenstand selbst - das klassische Musiktheater ist bislang ein bildungsbürgerliches Refugium geblieben. Der andere Grund ist das Geld. Der Opernetat macht ein Viertel des Berliner Kulturhaushalts aus. Nur verhältnismäßig kleine Einsparungen hier erleichtern einen Berliner Kultursenator um viele andere Sorgen.

Derzeit blickt jeder in Berlin nach Paris. Dort ist die Opernlandschaft unter einem Dach zusammengefasst, der Staat beteiligt worden und im Übrigen die Konkurrenz der zwei Häuser gegenseitig befruchtend. Das französische Modell stand auch Pate für die aktuellen Vorschläge "besorgter Opernfreunde": Richard von Weizsäcker, Ex-Bundespräsident, Antje Vollmer, Bundestagsvizepräsidentin, und Ulrich Eckhardt, ehemals Leiter der Berliner Festspiele. Alle drei plädieren - jeweils unterschiedlich - für eine Verkleinerung der Ensembles bis zur Schließung einzelner Orchester und die Trennung von Personal und Spielstätte.

Thomas Flierl hält sich in der Diskussion bislang bedeckt. Überhaupt gilt der Kultursenator als die personifizierte Indifferenz. Priorität aber hat in seinem Haus jedoch derzeit der Begriff Planungssicherheit, wie das Beispiel Unimedizin zeigt. Auch die drei Berliner Hochschulkliniken sollen künftig unter einem Dach zusammenarbeiten, ohne dass ein Haus geschlossen werden muss

"Quatsch keene Opern", sagt der Berliner. In der Hauptstadt wird aber noch viel gequatscht werden müssen, bis die Opernfrage gelöst ist. Für Tempo sorgt Finanzsenator Thilo Sarrazin. Der hat ausgerechnet, dass er allein zum Ausgleich der Zinsbelastung im Kulturbereich sieben Opern schließen müsste und dann enttäuscht festgestellt: "Wir haben aber nur drei."

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Geschrieben von

Jörn Kabisch

Stellvertretender Chefredakteur des Freitag von 2008 - 2012 und Kolumnist bis 2022, seitdem Wirt im Gasthaus zum Schwan in Castell

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