Kuba gibt es gratis

Bühne Christiane Pohle inszeniert am Hamburger Thalia Theater eine "Marx-Saga". Der Abend predigt keine Renaissance des Marxismus, bringt aber dessen Thesen zu Gehör

Nicht alles ändert sich, wenn ein neuer Intendant antritt. Zu erleben ist das derzeit im Hamburger Thalia-Theater: Mit der neuen Leitung kamen neue Schauspieler und Regisseure, die nun einen neuen Spielplan aus dem Boden stampfen müssen. Doch hinter den Kulissen wirken ebenso altgediente Kräfte wie draußen vor der Tür: Dort steht auch in der Ära Joachim Lux derselbe Bettler, der schon seit Jahren dem erwartungsvollen Publikum einen „schönen Abend“ wünscht.

20 Jahre nach dem Mauerfall scheint es angebracht, daran zu erinnern, dass mit der deutschen Teilung auch die ideologische Teilung der Welt zu Ende ging. Wie nachhaltig der Sieg des Kapitalismus war, zeigt sich derzeit daran, dass er selbst aus seiner größten Krise Kapital schlägt. So gesehen gab es doppelt Anlass, Die Marx-Saga von Juan Goytisolo auf den Spielplan zu setzen. Und weil es sich dabei um die Bearbeitung eines Romans handelt, konnte das Thalia am letzten Samstag sogar eine Uraufführung bieten. Die Inszenierung von Christiane Pohle beginnt auf einer leeren Bühne (Annette Kurz), im Hintergrund verkauft ein Bänkelsänger (Jürg Kienberger) Souvenirs des Sozialismus zum Schnäppchenpreis. Kuba gibt es gratis. Über der Szene schwebt die Anzeigetafel eines Flughafens. Out of order verkündet sie knapp: außer Betrieb.

Das Buch von Goytisolo malt sich aus, wie Karl Marx mitsamt Familie ins Leben zurückkehrt und sein Denken an der heutigen Wirklichkeit messen (lassen) muss. Die erste Begegnung ist durch den Fernseher vermittelt, in dem über die Flucht Tausender Albaner auf einem Frachter berichtet wird. Der Begründer des „kritisch-utopischen Sozialismus“ (Josef Ostendorf) muss sich derweil für eine Talkshow befragen lassen, dessen Moderator (Bruno Cathomas) an Antworten kein Interesse hat. Lieber nimmt er einen Klingelbeutel und geht das Publikum aggressiv um eine milde Gabe an.

Das Gegen- und Durcheinander von Szenen und Personen hat ein System, das sich – spät, aber immerhin – nach der ersten von zwei Stunden offenbart, wenn der namenlose Autor (Tilo Werner) von seinem Lektor (Cathomas) aufgefordert wird, einen Text zu liefern, der den Vorschuss legitimiert. „Gefühle, Leidenschaft, Dialoge, Tatsachen“ klagt der Lektor mit Nachdruck ein – just jene Merkmale, aus denen die Unterhaltungsbranche ihre Glaubwürdigkeit bezieht. Die Inszenierung macht die Probe aufs Exempel: Sie schickt Familie Marx in historischen Kostümen auf die Bühne und dämmt das Licht. Das sieht wie 19. Jahrhundert zwar aus, doch Jenny Marx (Oda Thormeyer) versichert glaubhaft, dass sie nie so gekleidet war und so nie geredet hat.

In solchen Szenen deutet sich die Klugheit des Abends an, der sich über gängige (pseudo)künstlerische Erzählweisen nicht erhebt, sondern sie aufgreift und so ihren ideologischen Kern freilegt. Um nicht selbst in diese Falle zu tappen, predigt die Inszenierung zwar keine Renaissance des Marxismus, dessen wichtigsten Thesen bringt es gleichwohl zu Gehör. Und ohne Hintersinn ist es wohl nicht, dass am Ende auf der Anzeigentafel under construction steht: im Bau. Ob die Regisseurin deshalb so viele laute Buhs bekam? Der Bettler zieht aus den langen Gesichtern, die ihm entgegenkommen, derweil seinen eigenen Schluss: „Da sehe ich aber schwarz“, kommentiert er die Aussicht auf eine milde Gabe. Manchmal wirkt das Theater eben doch direkt.

Nach dem Roman von Juan Goytisolo, Regie Christiane Pohle. Thalia-Theater Hamburg. Nächste Aufführungen: 9., 24., 25. November 2009

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