Kuckuck?

Tierwelt Vögel haben es schwer in einer vom Menschen geprägten Welt. Immer mehr Arten kämpfen ums Überleben. Einige profitieren allerdings auch
Ausgabe 40/2019
Kuckuck?

Illustration: Christian Bobsien für der Freitag

Herbstzeit ist Vogelzug-Zeit. Man kann auf den Stromleitungen große Gruppen von Schwalben beobachten, die sich für ihre Reise nach Afrika sammeln, nachts wird man auch in lauten Städten durch Schwärme von Gänsen und Kranichen, die aus Skandinavien Richtung Süden ziehen, wach. Und selbst die Daheimbleiber, die Standvögel, kommen dem Menschen im Herbst deutlich näher und fordern da, wo sie es gewohnt sind, dass man die Balkone oder Vorgärten mit Meisenknödeln behängt. Alle Vögel also da?

Eine jüngst von der Zeitschrift Science veröffentlichte Studie zeichnet ein anderes Bild: In Nordamerika gibt es heute rund drei Milliarden Vögel weniger als noch 1970. Regelmäßige Beobachtungen aus Europa bestätigen auch hier ähnliche Entwicklungen: Weil sie ihren Lebensraum und ihre Nahrungsgrundlage verlieren, verschwinden die Vögel.

Jedes Jahr sterben in Deutschland zwischen 10.000 und 100.000 Vögel durch Kollisionen mit Windrädern, 100 bis 115 Millionen Vögel verenden – laut Schätzung der Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten (LAG VSW) – jährlich an Glasscheiben. Dazu kommen laut dem Komitee gegen den Vogelmord mehr als eine Million legal gejagter Wildvögel.

In Europa sind es gar 80 Millionen jährlich. Auch die illegale Jagd auf Wildvögel hat Gewicht: Vor allen Dingen Zugvögel, deren Reise sowieso schon beschwerlich ist, landen nicht selten im Kochtopf oder ausgestopft im Wohnzimmer eines Wilderers. Gerade in südeuropäischen Ländern ist die illegale Jagd auf Zugvögel ein Riesenproblem: Experten gehen von mindestens 30 Millionen illegal getöteter Vögel aus.

Allein in Europa. Jährlich. Obwohl die Menge von Jagd- und Glasschlagopfern so hoch ist, steht unter Ökologen fest, dass der seit Jahren bemerkte Rückgang einheimischer Brutvogelarten, so wie es auch die aktuelle Studie aus Nordamerika sagt, vor allen Dingen dem Verlust der Lebensgrundlage dieser Arten zuzuschreiben ist.

In Deutschland werden mittlerweile auf einem Fünftel der Ackerflächen Pflanzen für die Energiegewinnung angebaut, zwei Drittel davon sind Maisäcker, Tendenz steigend. Dafür wurden in vielen Bereichen ertragsarme, aber im Ursprung ökologisch wertvolle Feuchtgebiete trockengelegt, Gifte wie Glyphosat ausgebracht, um Ertragsverluste durch Schädlinge oder aufwachsende Wildkräuter zu verhindern. Solche modernen Äcker sind ökologisch tot, waren aber vor nicht allzu langer Zeit bedeutende Brutgebiete von Kiebitz, Feldlerche und all den anderen. Die kleinteiligen Getreidefelder vergangener Zeiten mit blühendem Ackerrain und windschützenden Gebüschstrukturen waren durch die Fülle an Pflanzen, die durch ihren Nektar Insekten anlockten, Nahrungsgrundlage für unzählige andere Vogelarten.

Selbst im heimischen Umfeld machen wir es den Spatzen nicht leicht: Schottergärten statt Wildblumenwiese, Mauern statt Hainbuchenhecken. Vögel im urbanen Umfeld finden immer weniger Nahrung und immer weniger Brutplätze. Dann kommt noch der Klimawandel. Immer mehr Trockenperioden, gepaart mit Extremwetterereignissen wie Starkregen oder übermäßiger Hitze, bringen ein bereits durch den Menschen gestörtes System noch mehr durcheinander. Alle einheimischen Vogelarten leiden unter diesen Veränderungen. Manche von ihnen sind besonders stark betroffen, aber es gibt auch Arten, die vom Klima- und Strukturwandel profitieren. Weil es so selten von Lichtblicken zu berichten gibt, sollen die Klima-„Gewinner“ hier nicht außer Acht gelassen werden – solange es sie noch gibt.

Gewinner

Mönchsgrasmücke

Illustration: Christian Bobsien für der Freitag

Mittelstreckenzieher

Ziel Südspanien / Nordafrika. Die Reise in die Winterquartiere ist anstrengend und oft tödlich. Die Vögel sind darauf festgelegt, eine Ausnahme ist die Mönchsgrasmücke: Süddeutsche Tiere ziehen nicht mehr über die Alpen, sondern nördlich an ihnen entlang, bis Südengland – Vorteil: genug Futter durch die fütterungswütigen Briten und 600 Kilometer weniger Flug

Eisvogel

Illustration: Christian Bobsien für der Freitag

Standvogel

Gar nicht seinem Namen entsprechend mag der blaue Fischjäger kein Eis. Er braucht offene Gewässer, um auch im Winter Fisch zu jagen. Die milden Winter der letzten Jahre haben sich positiv auf die Population ausgewirkt. Überlebenswichtig sind für Eisvögel natürliche (und bedrohte) Steiluferbereiche, wo sie ihre Bruthöhlen bauen können

Kranich

Illustration: Christian Bobsien für der Freitag

Mittelstreckenzieher

Kraniche brauchen Pausen und Stärkung während ihrer Reise gen Frankreich und Südspanien (in die Eichenwälder der Extremadura). Ernterückstände bilden die Hauptnahrung während der Rastpausen und Mais wird bevorzugt. Daher kann man in einigen Regionen Norddeutschlands immer mehr Kraniche beobachten, die dort rasten oder überwintern

Grünspecht

Illustration: Christian Bobsien für der Freitag

Standvogel

Der Grünspecht ernährt sich ausschließlich von einer Insektengruppe und müsste eigentlich zu den Verlierern gehören. Dennoch kann man bei ihm – als einer der wenigen einheimischen Arten – seit einigen Jahren Bestandssteigerungen feststellen. Warum? Er frisst Ameisen! Und davon gibt es ausreichend, vor allem im urbanen Umfeld

Verlierer

Kuckuck

Illustration: Christian Bobsien für der Freitag

Langstreckenzieher

Der Kuckuck legt seine Eier ausschließlich in ein Nest der Vogelart, in der er selber aufgezogen wurde. Er kommt sehr spät aus Zentralafrika, südlich des Äquators, ins Brutgebiet zurück (Mai). Durch die deutlich gestiegenen Temperaturen in den Frühlingsmonaten fangen verschiedene Vogelarten nun aber deutlich früher an zu brüten

Weißstorch

Illustration: Christian Bobsien für der Freitag

Langstreckenzieher

In den Brut- wie Überwinterungsgebieten gefährden häufiger auftretende Dürreperioden den Bestand, da Weißstörche bevorzugt in feuchten Landschaften ihre Nahrung (u. a. Frösche) suchen. In manchen Regionen haben die in den letzten Jahren im Frühsommer vermehrt aufgetretenen Starkregen alle Storchbruten ausgelöscht

Feldlerche

Illustration: Christian Bobsien für der Freitag

Standvogel bis Kurzstreckenzieher

Sie ist der „Vogel des Jahres“ 2019, als häufigster Bodenbrüter ist die Feldlerche von der Praxis unserer modernen Landwirtschaft unmittelbar betroffen. Seit den 1970er Jahren sind bis zu 90 Prozent der Feldlerchen verschwunden. Als Bodenbrüter brauchen sie Weide- oder Grünlandflächen, die während der Brutzeit nicht gemäht werden – und insektenreiche Gebiete

Nachtigall

Illustration: Christian Bobsien für der Freitag

Langstreckenzieher

Die Nachtigall zieht es ins tropische Afrika, nördlich des Äquators. Sie lebt heimlich und versteckt, braucht gebüschreiche Strukturen mit Falllaub auf dem Untergrund. Das wird im urbanen Umfeld oft entfernt. Auch sonst bevorzugte Lebensräume wie unterholzreiche Au- oder Mischwälder werden weiter zugunsten profitabler Nadelholz-Monokulturen abgeholzt

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