Künstliches Fleisch aus dem Labor: Ist das ökologisch sinnvoll?
Ernährung Immer mehr Start-ups entwickeln künstliches Fleisch aus tierischen Zellprodukten. In der Schweiz setzt die Migros-Kette voll auf In-vitro-Meat. Ein Pro und Contra
Foto: JOEY MCLEISTER/Star Tribune/Getty Images, Collage: Emile Barret aus dem Buch The Sausage of the Future von Carolien Niebling
Pro: Kunstfleisch wäre Gewinn für Klima, Tiere und unsere Gesundheit
Wenn es um den Klimawandel geht, ist unsere Ernährung der Elefant im Raum. Um die VerbraucherInnen möglichst wenig zur Änderung ihrer Lebensweisen anzuhalten, soll der Planet durch Elektromotoren und einen raschen Ausbau der erneuerbaren Energien gerettet werden. Dabei rangiert die Landwirtschaft inklusive Bodenauslaugung, Regenwaldabholzung, Düngemitteleinsatz, Methanausstoß etc. weltweit längst auf den vorderen Plätzen der schädlichsten Treibhausgasemittenten. Am massivsten macht sich der Fleischkonsum bemerkbar, der trotz aller Freiheitsansprüche der Grill-Fraktion dringend gesenkt werden müsste.
Nur wie? Durch ein breites Umdenken auf allen Ebenen, also von der
benen, also von der Gastronomie bis hin zu den Lehrplänen? Oder werden die pflanzlichen Ersatzprodukte irgendwann alle so überzeugen, dass sie freiwillig umsteigen? Dass sich die Weltbevölkerung zumindest zum Vegetarismus bekennt, dürfte in nächster Zeit wahrscheinlich nicht zu erwarten sein. Eine Wende könnte hingegen die Marktreife von In-vitro-Fleisch herbeiführen. Doch wie so oft eilt die ethische Debatte dem Fortschritt hinterher, weswegen noch immer große Vorbehalte in der Öffentlichkeit vorherrschen.Was soll denn gegen das Kunstfleisch sprechen? Zumeist hört man das Argument, es stünde für eine Entfremdung von der Natur. Außer Acht gelassen wird dabei, dass diese schon immer eine Konstruktion war. Nur ein Beispiel: Die Behauptung, der Mensch sei ursprünglich und von seinem Wesen her ein Karnivore, steht signifikant im Widerspruch zu neueren Studien. So deuten ihnen zufolge unser Gebiss, unsere Darmlänge sowie erste Nachweise von pflanzlichen Resten in Skeletten früher Menschen eher auf eine pflanzliche Ernährung hin. Kritisch dürfte man – by the way – fragen, ob denn das jetzige Fleisch, angereichert mit Wachstumshormonen und Antibiotika, so viel natürlicher ist? Was Natur ist, hängt offenbar stets vom Standpunkt der BetrachterInnen ab.Ein weiterer Einwand kommt von Teilen des ökologischen Lagers, das eigentlich ein veritables Interesse an Kulturfleisch haben müsste. Hier hofft man noch auf die breite Umstellung zur Bio-Agrarwirtschaft. Doch selbst wenn wir ganz aus der konventionellen Erzeugung ausstiegen, würden wir kaum die Klimaziele erreichen.Nach wie vor wäre etwa der Wasserverbrauch für ein Kilo Rindfleisch (15.000 Liter) enorm und gingen rund zwei Drittel des Getreides in die Verfütterung statt in den direkten Konsum. Im Gegensatz dazu hinterlässt das Clean Meat einen weitaus geringeren ökologischen Fußabdruck – allein schon wegen des Wegfalls bei Landverbrauch und langen Transportwegen. Abgesehen von der Leidreduktion für die in der industriellen Mast ausgebeuteten Tiere könnte Reagenzglasfleisch zudem die Verbreitung von Zoonosen einschränken. Viele Probleme ließen sich also lösen, und zwar in dem Moment, in dem die Produktionskosten niedriger ausfallen als jene in der klassischen Landwirtschaft. Da damit zahlreichen VerbraucherInnen der Umstieg erleichtert werden dürfte, brächte dies einen Gewinn für Klima, Tiere und unsere Gesundheit.Die neue Technologie gezielt voranzutreiben, sollte für die Politik daher ein Gebot der Stunde sein. Schon seit geraumer Zeit fließen allein im Silicon Valley ähnliche Summen in das Kunstfleisch wie in den KI-Bereich. Das sollte uns ein Weckruf sein. Wenn wir nicht wollen, dass Google & Co. bald auch diesen Markt kontrollieren, müssen wir gezielt hiesige Start-ups fördern. Dadurch können auch In-vitro-Produkte Vielfalt bieten und überdies regional hergestellt werden. Grüner geht’s eigentlich nicht!Björn HayerContra: Laborfleisch ist ein Geschäftsmodell für KonzerneCultura, daraus leitet sich der Begriff der Kultur ab, und es bedeutet „pflegen“. Aber wir zerstören – auf multiple Weise – unsere Umwelt durch den Konsum tierischer Produkte. Tiere leiden grausam. Immerhin steigt die Anzahl der Veganer seit Jahren drastisch. Von 100.000 vor 20 Jahren auf mehrere Millionen, allein in Deutschland. Würden wir mehrheitlich vegan leben, würde sich der Klimaschutz größtenteils von selbst erledigen. Doch wir verstecken uns lieber hinter den Lieblingsthemen von Lobbyisten.Warum dann also nicht laut darüber jubeln, dass bald Laborfleisch das Tierleid mitsamt seinen multiplen umweltzerstörenden Wirkungen ersetzt? Einfach ein paar Nährlösungen zusammenrühren und mit Hilfe von ein bisschen Gentechnik im Bioreaktor „Clean Meat“ heranzüchten? Doch wie „sauber“ ist dieses Laborfleisch?Wir müssen über die dreckigen Seiten dieser Idee reden. Im Moment benötigt man für eine einzige Hamburger-Scheibe aus Laborfleisch bis zu 50 Liter Fetales Kälberserum (FKS), das aus den Herzchen von Kälberföten gewonnen wird. Die Mutterkühe sterben bei der Entnahme, die ohne Narkose stattfindet, gleich mit ihren Kälbchen mit. Nicht nur für ethisch bewusste Veganer ist Laborfleisch schon deshalb völlig untragbar.Doch selbst wenn wir kein FKS bräuchten, verpassten und vermasselten wir gute Chancen, die wir haben, wenn wir – statt auf vegane Fleischalternativen – auf Laborfleisch setzten. Die veganen Fleischalternativen liegen ja bereits heute in den Regalen unserer Supermärkte. Sie werden ständig in Textur, Sensorik und ihrer Zusammensetzung verbessert. Das künstliche Laborfleisch würde dagegen erhebliche negative Effekte auf die menschliche Gesundheit fortführen, die wir durch die Veganisierung gerade zu überwinden beginnen. Das in Laborfleisch enthaltene Protein von Tieren begünstigt nämlich zahlreiche der menschlichen Zivilisationserkrankungen. Angefangen bei der Adipositas, über Diabetes, Herz- und Gefäßerkrankungen bis zum Krebs. Vegane Fleischalternativen tragen stattdessen dazu bei, diese Risiken deutlich zu verringern.Bauchschmerzen bekomme ich gedanklich von Laborfleisch auch deshalb, weil „echtes“ Fleisch ein um so stärkeres Revival erleben könnte, nachdem sich Laborfleisch durchgesetzt hätte. Motto: „Jetzt wollen wir wieder Fleisch von echten Tieren essen.“ Da ist es besser, unsere Esskultur gleich so zu transformieren, dass wir sie, wie bereits begonnen, veganisieren. Das ist übrigens auch in mehrerlei Hinsicht deutlich effizienter: Studien zeigen, dass der Energieaufwand für Laborfleisch sogar noch weit höher ist als der für ursprüngliches.Denkt man alle Faktoren zusammen, ist Laborfleisch ein Geschäftsmodell für Konzerne, die Nährlösungen verkaufen wollen. Und für jene, die durch die Hintertür die von den meisten Europäern abgelehnte Gentechnik populär machen möchten.Menschen und Tiere erlangen durch Laborfleisch kaum Vorteile. Es ist eine Generation junger Menschen herangewachsen, von denen ein zunehmender Teil kein Bedürfnis mehr nach Leichenteilen von Tieren auf dem Teller hat. Die vegane Ernährung auf die nachfolgende Generation übertragen. Insofern machen manche, die nun meinen, Laborfleisch sei ein geeignetes Geschäftsmodell, die Rechnung ohne den Wirt. Während vegane Ernährung die sinnvolle Ernährung der Zukunft ist, wird Laborfleisch vermutlich ein Nischenprodukt für Forschungsnerds, Betagte und für ein paar Fleischextremisten sein. Gebraucht wird es nicht.Christian Vagedes Placeholder authorbio-1
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