Im Rahmen seiner grandiosen BBC-Doku-Reihe Weird Weekends beschäftigte sich der britische Dokumentarfilmer Louis Theroux bereits im Jahr 2011 mit einer seltsamen Subkultur: mit den selbsterklärten „Sammlern“ großer Raubkatzen im ländlichen „Heartland“ der USA, die Tiger, Leoparden und Löwen völlig legal in selbst gebauten Käfigen hielten und unter dem Vorwand der Arterhaltung teilweise sogar züchteten. Under den von Louis Theroux Porträtierten gab es einige Exzentriker, denen ganz offensichtlich weniger das Tierwohl am Herz zu liegen schien als das persönliche Bedürfnis, sich die Raubkatzen zum Haustier abzurichten. Andere wiederum handelten aus rein finanziellen Motiven: Fürs Kuscheln und Fotomachen mit vermeintlich zahmen Tigern lässt sich leicht Kundschaft finden.
Selbst aus dieser Riege schräger Vögel stach damals bereits der Privatzoobesitzer und selbsterklärte „Tigerkönig“ Joe Schreibvogel, Künstlername Joe Exotic, hervor. Theroux begegnete Exotic in seiner gewohnt respektvollen Art, gab sich neugierig, aber auch kritisch in Bezug auf den Umgang mit den wilden Tieren. Nun steht Joe Exotic erneut im Zentrum einer Doku, der neuen Serie Tiger King des Streaminganbieters Netflix – der Kontrast zu Theroux’ reflektierter Herangehensweise in Weird Weekends könnte dabei aber kaum größer sein.
Glückliches Timing
Eric Goode und Rebecca Chaiklin, die Regisseure von Tiger King, hatten großes Glück: Nicht nur, dass ihnen ihr schillernder Protagonist sein umfassendes Archiv aus Videoaufnahmen, Werbekampagnen und absurden Musikvideos geöffnet hat, sie folgten Joe Exotic ausgerechnet während der Schlagzeilen-machenden Zeit, als Exotic der versuchten Anstiftung zum Mord an der mit ihm verfeindeten Tierschützerin Carol Baskin überführt wurde. Dementsprechend gelingt der Serie, wovon viele Filmemacher nur träumen können: Sie ist stets dicht dran am Geschehen und konstruiert so eine intensive Story voller Wendungen, wie das naturgemäß nur wenigen Dokumentarfilmen und -serien gelingt.
Davon abgesehen fasziniert die Serie mit einer schier unglaublichen Reihe an bizarren Nebenfiguren: Joes Mitarbeiter, Liebhaber und Erzfeinde, die ausführlich zu Wort kommen, wirken einerseits wie groteske Karikaturen, andererseits aber eben auch zweifellos real.
Da ist etwa Bhagavan Antle, einer von Joes Konkurrenten – ein Unikum –, der seinen eigenen Tigerpark betreibt und sich zeitgleich zum spirituellen Anführer eines Sexkults erhoben hat. Oder auch Joes Ehemann John Finlay, ein zahnloser Hillbilly, der stolz präsentiert, dass er sich den Namen seines Partners übers Schambein tätowieren hat lassen. Oder keineswegs zuletzt der stramm rechte Politberater Joshua Dial, der Joe bei seiner Wahlkampagne als US-Präsidentschaftskandidat unterstützt. Und so weiter und so fort.
Zugleich aber hinterlässt die Fixierung auf die privaten Umtriebe der Protagonisten einen merkwürdigen Beigeschmack. Tiger King ist eindeutig darauf ausgelegt, als dokumentarisches Äquivalent zu launigen Filmen wie The Big Lebowski, Snatch und ähnlichen Outsider-Komödien zum medialen Kultobjekt zu avancieren. So stürzen sich die Serienmacher förmlich auf Details wie Joes Homosexualität, seinen Drogenkonsum, seine Ehe mit gleich mehreren jungen Männern. Und auch die Tierschützerin Baskin wird durchleuchtet: Ausführlich geht die Show der Anschuldigung nach, sie habe ihren ersten Mann ermordet und an die Tiger verfüttert, und verleiht dieser gänzlich unbewiesenen Behauptung damit implizit eine gewisse Glaubwürdigkeit.
Dieses zwanghafte Interesse am Skandalösen wirkt auf Dauer nicht nur ermüdend, es nimmt im Verlauf der Serie auch durchaus fragwürdige Formen an: So fügen die Regisseure etwa den Ausschnitt eines Überwachungsvideos ein, auf dem der tödliche Unfall von Joes Ehemann Travis zu sehen ist. Zwar sind die explizitesten Bilder entfernt oder verpixelt worden, aber selbst die Inklusion des Clips spricht für ein reichlich zynisches Verständnis dokumentarischer Ethik; hier geht es eindeutig mehr um „Shock Value“ als um einen irgendwie aufklärerischen Gestus.
Angeblich ökologisch
Vor allem überschattet diese Stilisierung der Protagonisten zu kultigen Freaks zunehmend das angeblich ökologische Anliegen der Serie: Um die wirklich abstoßende Tierquälerei, die in den Zoos von Joe Exotic und seinen nicht weniger zwielichtigen Konkurrenten an der Tagesordnung zu sein scheint, geht es immer weniger. Mehr und mehr stumpft man gegenüber den Bildern eingepferchter Tiere ab; immer deutlicher wird, wie sich die Serie über ihre Figuren erhebt.
Co-Regisseur Eric Goode ist ein in den USA bekannter Tierschützer, der mit Tiger King vorgeblich Aufmerksamkeit auf „animal welfare“, das Tierwohl, lenken möchte. Dafür hat er sich mit dem Produzenten Chris Smith zusammengetan, der für Net-flix bereits den erfolgreichen Doku-Film Fyre verantwortete. Funktionierte in dieser Doku über die betrügerischen Veranstalter eines luxuriösen Musikfestivals der sensationsgierige, nonchalante Stil ganz hervorragend, wird er den hier verhandelten Themen schlichtweg nicht gerecht. Die erwartbaren Nebenwirkungen dieser zynischen Doppelstrategie aus Verherrlichen und Verteufeln, die Joe Exotic und seine Spießgesellen nun unvermeidlich zu popkulturellen Ikonen avancieren lässt, wirken in diesem Zusammenhang besonders unappetitlich.
Info
Tiger King Eric Goode, Rebecca Chaiklin USA 2020; 7 Folgen mit circa 45 Minuten
Kommentare 3
(Nach kurzem Reinsehen in die Doku:)
Ich denke, Thema von »Tiger King« ist weniger die sicher hinterfragbare Haltung von Großkatzen als Haustiere als vielmehr die obskure Szene der Großkatzen-Liebhaber in den USA. Der Streit zwischen dem publicitysüchtigen Halter »Joe Exotic« und der gleichermaßen exzentrischen »Tierschützerin« Carol Baskin ist, inklusive dem dramaturgisch sicher nicht unwillkommenen Mordvorwurf, lediglich Aufhänger nach dem Motto: Man stellt die Schrillen vor, indem man den Allerschrillsten vorstellt.
Letztlich reden wir hier also von zwei Ligen. Sicher ist das Los zweckentfremdeter (oder zu Profitzwecken gejagter) Wildtiere ein Politikum. Ebenso hinterfragbar ist in meinen Augen jedoch der ins Extrem übersteigerte Geltungsdrang, dem diese Leute frönen. Ein Geltungsdrang, der in einem weitläufig verwandten Milieu ebenfalls zu beobachten ist: dem der zu richtig Schotter gekommenen Neureichen, bei denen das Exhibitionieren materieller Güter – Villen, Yachten, Schmuck und so weiter – ebenfalls wesensbildender Teil des »Way of Life« ist.
Fazit: Es geht um Neoliberalismus. Um Sozialdarwinismus, um den Kampf Reich gegen Arm, um Donald Trump, Bolonsaro und eine Ego-Ideologie, die von Heinrich Himmler letztlich nur graduell, nicht prinzipiell entfernt ist. Ich finde, dieses Milieu verdient durchaus Aufmerksamkeit – kritische. Eine Aufmerksamkeit, die diese Doku durchaus zu liefern scheint.
(Ergänzend angefügt nach zwei Folgen:)
Vor der Echauffierung zu bedenken ist auch der Umstand, dass es Gr0ßkatzen in naher Zukunft – eher in 20 denn in 50 Jahren – eh nur noch in Form von »Hauskatzen« geben wird. Die ursprünglichen Lebensräume der wildlebenden Varianten sind bereits heute mehr oder weniger Übergangsbereiche der Zivilisation. »Wild« geht folglich nur, wenn weite Teile Ost-Zentralasiens, Indiens, Afrikas und der beiden Amerikas in einen Zustand renaturisiert werden wie vor einigen hundert Jahren. Oder aber man nimmt Mülltonnen-plündernde sibirische und bengalische Tiger im Sinn der Vielfalt freilebender Arten in Kauf. – Das ist nunmal die den Freund(inn)en wildlebender Artenvielfalt ins Stammbuch geschriebene Alternative.
Eine unterschiedliche moralische Wertigkeit der drei in der Serie portraitierten Formen der Großkatzen-Exhibition würde ich, anders als der Beitragsautor, ebenfalls nicht konstatieren. Alle drei – »Exotic Joe«, Bhagavan Antle und Carol Baskin – verfolgen mit den Raubkatzen ein klar erkennbares Geschäftsmodell: offen auf Vermarktung getrimmt die beiden ersten, mit Ökoparolen camoufliert die dritte. Auch die »Haltung« der die jeweiligen Tierparks unterhaltenden Mitarbeiter(innen) ist in allen drei Fällen gleich skandalös: 10 bis 14 Stunden pro Tag, 24/7-Modus und lächerliche Bezahlungen sind bei allen intendiert; Baskin scheint sich Löhne ganz zu schenken, indem sie ihr Öko-Modell mit Freiwilligen respektive Praktikant(inn)en betreibt.
Unverständlich beziehungsweise von den (mutmaßlichen) Tatsachen nicht gedeckt ist die Pro-Baskin-Parteinahme, welche der Artikel vornimmt. Der Film zeigt vielmehr, dass sich sowohl »Exotic Joe« als auch Baskin in Sachen flirrender Rabulistik nichts geschenkt haben (ob Baskins Millionärs-Ehemann tatsächlich an die Tiger verfüttert wurde, sei an der Stelle einmal dahingestellt). Meines Erachtens die »richtige« Lehre aus der Doku ist, auf artgerechte und auch humane Haltung der neuesten Weggefährten des Menschen zu dringen. Baskin und »Exotic Joe« (der mittlerweile wegen eines omminösen Mordauftrags an Baskin für 77 Jahre einsitzt) sehe ich in der Beziehung gleichwertig an vorderster Front. Privatzoos unterhalten beide, und auch Kapitalisten der Erz-Sorte sind letztlich beide.
Bliebe die Frage nach einer (realistischen) Zukunft von Tiger, Löwe und so weiter. Selbstverständlich kann man Großkatzen in Privathand verbieten. In dem Fall sollte man sich allerdings auch Gedanken darüber machen, was die sonstige Zukunft dieser bedrohten Tierarten wäre.
Lol. Lustig hier was zum "Tiger King" zu lesen.
Keines der Tiere in der Serie lebt Artgerecht ! Egal ob es im Käfig vom "Tiger King" oder im Käfig von den anderen Spinnern (Baskin etc.) der Serie "lebt". Ich finde schon das das Elend der Tiere angemessen in der Serie dargestellt wird. Wenn zum Beispiel der "Food Truck" vom Wallmart ausbleibt und 50 Großkatzen auf engstem Raum im Kreis laufen. Oder als die Skelette erschossener, unprofitabler Tiger ausgegraben werden etc.
Tiger sind in freier Wildbahn übrigens Einzelgänger und bewandern ein riesiges Territorium, was ihnen der Mensch halt nach und nach weggenommen hat. Weiß nicht wie man nach der Serie für irgendjemanden darin Partei ergreifen kann?! Das war übrigens (mMn) auch die Absicht der Produzenten. Das sind alles Spinner und ihre Tiere leiden auf lange Sicht bei denen.