Kultur Humus

Bundeskulturstiftung Grass´ Vision von europäischer Kultur

Wenn eine Idee sich länger als ein paar Wochen hält, muss etwas an ihr dran sein. Die, die jetzt die Runde macht, hat an die dreißig Jahre auf dem Buckel und ist einmal gescheitert. Günter Grass hatte Willy Brandt mit seinem Traum von einer nationalen Kulturstiftung infiziert, umgesetzt wurde er nicht.

So wenig wie möglich zentral. So viel wie möglich regional. Kulturpolitik ist Ländersache. Niemand sollte am bewährten, die schlechten Erfahrungen der NS-Zeit korrigierenden Prinzip rütteln. Als die rot-grüne Koalition einen Kulturstaatsminister installierte, wurden Ländervertreter hellhörig. Michael Naumann regte denn auch folgerichtig die nationale Kulturstiftung wieder an, umriss deren Aufgaben allerdings so, dass die Länder um ihre Kompetenzen fürchteten.

Als jetzt Günter Grass in einem Gespräch die Idee wieder aufgriff, wurde sie als visionäre Ergänzung dessen verstanden, was unter dem jetzigen Kulturamtschef Julian Nida-Rümelin versachlicht "Bundeskulturstiftung" genannt wird. Deutscher Kulturrat und Länder signalisieren Zustimmung: Man begrüße jede Einrichtung auf diesem Gebiet, in die neues Geld fließe.

Das ist bei der angespannten Finanzlage eher unwahrscheinlich, wird sich aber spätestens bei der Debatte Mitte Juni herausstellen, wenn das Kabinett über den Haushalt 2002 berät. Bislang jedenfalls gibt es keinerlei Hinweise darauf, dass der Bund Willens und in der Lage sein wird, der Kultur mit 70 bis 80 Millionen, so der in die Diskussion gebrachte Rahmen, aufzuhelfen. Nida-Rümelin gibt sich dennoch überzeugt, dass "seine" Siftung noch in dieser Legislaturperiode auf die Beine kommt. Sie ist um einiges enger konzipiert, als das, was Grass meint und um einiges offener als die des Vorgängers.

Ihr geht es um die Förderung der zeitgenössischen Kunst im internationalen Kontext. Sie will Projekte, nicht Institutionen fördern und ergänzt damit das, was die Kulturstiftungen der Länder seit Jahrzehnten tun: das kulturelle Erbe bewahren. Sie will nicht mehr "wissend" eingreifen, wenn es beispielsweise um die sogenannte Beutekunst geht, sondern bislang Brachliegendes wahrnehmen. Dass der Bund darauf verzichtet, seine 50prozentige Beteiligung an den Länderstiftungen durch "eigene Kompetenz", wie Naumann formulierte, zu betonen, hat die regionalen Stiftungsverwalter freundlich gestimmt. Nida-Rümelin hat den Rahmen der Stiftung umdefiniert und dadurch in die Debatte gebracht, was im bisherigen Kompetenzendschungel unterzugehen drohte: Kultur hat ebenso viele bewahrende wie innovative Aufgaben, denen mit kleinteiligen Institutionen nicht immer entsprochen werden kann. Die Betonung der zeitgenössischen Komponente im internationalen Rahmen weist zudem auf das künftige Europa: Gerade im Bereich Kreativität ist Offenheit Kriterium für Erfolg. Damit ist das Bewahrende nicht ausgeklammert, sondern zum Fundament erklärt.

Grass Vision greift noch weiter. Sie will Spiegelbild kultureller Vielfalt in allen Facetten sein. Sammelnd und bewahrend, vor allem aber Künftiges befördernd. Es geht ihr nicht um die nationalistische Betonung vergangener oder kommender Leistung, schon gar nicht um Verklärung, sondern um die Vollständigkeit der Spektralfarben einer europäischen Kultur, die nicht existent wäre, wenn eine fehlte.

Dass er mit seinem Vorschlag, Halle zum Sitz dieser Stiftung zu machen, den Osten ins Bewusstsein rückt, die Einbeziehung und Verwertung jener kulturellen Traditionen ins Auge fasst, die mit der Nähe zum slawischen Raum charakterisiert sind, ist von einem Autor, dessen Wurzeln dort liegen, nicht anders zu erwarten. Grass betont damit aber zugleich das Dezentrale, das Nicht-Berlinische, das Erbe der Aufklärung, wie sie in den Franckeschen Stiftungen von Halle, die er benennt, bewahrt werden und grenzt das Nationale vom Nationalistischen scharf ab. August Hermann Francke (1663- 1727) war zwar ein strenger Mann, den Sinnesfreuden des Mittelalters eher abhold, aber auch ein visionärer, von der Orthodoxie aus Leipzig vertriebener Professor für orientalische Sprachen und Pädagoge, auf den die Gründung der Realschule zurückgeführt werden kann, jener Einrichtung, von der die Bildung Jugendlicher über Jahrhunderte profitierte. Für ihn mag alles mögliche gelten, ein tümelnder Ignorant war er nicht.

Die gerade renovierten Gebäude wären ein idealer Rahmen für das, was Grass will: eine Nationale Kulturstiftung, die, zusammen mit den Ländern, dafür gerade steht, dass europäische kulturelle Visionen auf Humus fallen.

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