Kulturgut zerkauen

Pflanzen Eine kurze Kulturgeschichte eines oft missverstandenen Gewächses: des Buchsbaums
Ausgabe 20/2019
Ein Paradies für Zünsler
Ein Paradies für Zünsler

Foto: Imago Images/Blickwinkel

Dem Buchs fehlt ein guter Leumund. Irgendwie links, gilt der arme Strauch als spießig. Hinter seinen blickdichten Hecken dräuen heute Kies und Schotter. Wie wir ihn kennen, ist er einförmig beschnitten: Kugel, Kegel, Zylinder, Quader. Eigentlich Revolutionsarchitektur, Formel Cézannes, antikes Erbe und von Adel zugleich, sieht er heute fast immer nach Baumarkt aus. Er darf weder Baum werden, obwohl er ein kostbares, äußerst hartes Holz liefert, noch kleine Blüten treiben, die sonderlich duften können und als frühe Bienenweide dienen.

Nun setzen ihm noch die Larven und Raupen des asiatischen Buchsbaumzünslers zu, und die Zuchtarten aus der Gartencenter-Republik erweisen sich als anfällig für Pilze, Spinnmilben und Gallmückenlarven. Da helfen nur radikaler Rückschnitt und Abfallentsorgung. Buxus sempervirens, immergrün oder ewig lebend, kämpft ums Überleben.

Buchs gibt es seit der Kreidezeit. Mit dem Zerfall des Superkontinents Pangaea driftete er um den Globus. Die meisten Arten existieren in Asien und den karibischen Tropen, besonders auf Kuba. Äonen später schnitten ihn die alten Perser, Ägypter, Griechen, Römer und Chinesen in Form. Plinius der Ältere, römischer Natur- und Universalgelehrter, Flottenchef und Gärtner, erstickte beim Ausbruch des Vesuvs, vermutlich zwischen kunstvoll geschnittenen Hecken. Sein Neffe, Plinius der Jüngere, schrieb über den geformten Buchs und die Schnittkunst seines Topiarius. Der Name überlebte und bezeichnete fortan die Gartenkünstler mit der Schere und ihre Tätigkeit, Ars topiaria oder „topiary“, die Gestaltung kleiner Gartenorte, bis hin zu Edward mit den Scherenhänden.

Kein größeres Adelsschloss, keine Villa, von der Frührenaissance bis zum Barock, kam ohne diese topiarische Gartengestaltung an Ilex (Stechpalme), Taxus (Eibe), Buxus und Zypresse aus. André Le Nôtres französische Königsgärten wurden damit stilbildend für ganz Europa. Le buis, Boxwood, Buchs, hielt dem Formschnitt stand und wuchs bereitwillig in die Draht- und Holzskelette, die ihm seinen Weg zu fantastischen Figurationen vorgaben.

Einer gut belegten Legende nach hielt das bis 1713 an. Da spottete Englands satirischster Gartenbesitzer, Alexander Pope, über die „Verdant Sculptures“, die Manie der grünen Figuren: „Adam und Eva in Taxus, Adam ein wenig angegriffen, vom Fall des Baumes der Erkenntnis, im großen Sturm ... St. Georg in Buchs, sein Arm kaum lang genug, wird aber nächsten April so weit sein, um den Drachen niederzustechen ... ein Heckenschwein sprießt zum Stachelschwein, für eine Woche vergessen, im regnerischen Wetter.“ Die ornamentale Pracht italienischer, niederländischer und französischer Villen- und Schlossgärten geriet schlagartig aus der Mode. Nun galt der natürlich wirkende Englische Garten, ein Park, als neues Ideal. Erst die Arts-and-Crafts-Bewegung bekannte sich wieder zum Kunstschnitt.

Man muss nicht gleich Mitglied der „Europäischen Buchsbaum und Formschnitt Gesellschaft“ werden, um die einzigartige Schönheit der Gärten von Marqueyssac und Eyrignac im Périgord, oder Levens Hall in Cumbria zu schätzen oder die letzten Buchswälder bei Grenzach-Wyhlen, bei Sotschi oder im alten Land der Kolcher, im heutigen Georgien, für schützenswert zu erachten. Sie sind Teil des „Patrimoine“ Europa, wie unsere Nachbarn bereits wissen.

Christoph Leusch bloggt auf freitag.de unter dem Namen Columbus

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