Dem Buchs fehlt ein guter Leumund. Irgendwie links, gilt der arme Strauch als spießig. Hinter seinen blickdichten Hecken dräuen heute Kies und Schotter. Wie wir ihn kennen, ist er einförmig beschnitten: Kugel, Kegel, Zylinder, Quader. Eigentlich Revolutionsarchitektur, Formel Cézannes, antikes Erbe und von Adel zugleich, sieht er heute fast immer nach Baumarkt aus. Er darf weder Baum werden, obwohl er ein kostbares, äußerst hartes Holz liefert, noch kleine Blüten treiben, die sonderlich duften können und als frühe Bienenweide dienen.
Nun setzen ihm noch die Larven und Raupen des asiatischen Buchsbaumzünslers zu, und die Zuchtarten aus der Gartencenter-Republik erweisen sich als anfällig für Pilze, Spinnmilben und Gallmückenlarven. Da helfen nur radikaler Rückschnitt und Abfallentsorgung. Buxus sempervirens, immergrün oder ewig lebend, kämpft ums Überleben.
Buchs gibt es seit der Kreidezeit. Mit dem Zerfall des Superkontinents Pangaea driftete er um den Globus. Die meisten Arten existieren in Asien und den karibischen Tropen, besonders auf Kuba. Äonen später schnitten ihn die alten Perser, Ägypter, Griechen, Römer und Chinesen in Form. Plinius der Ältere, römischer Natur- und Universalgelehrter, Flottenchef und Gärtner, erstickte beim Ausbruch des Vesuvs, vermutlich zwischen kunstvoll geschnittenen Hecken. Sein Neffe, Plinius der Jüngere, schrieb über den geformten Buchs und die Schnittkunst seines Topiarius. Der Name überlebte und bezeichnete fortan die Gartenkünstler mit der Schere und ihre Tätigkeit, Ars topiaria oder „topiary“, die Gestaltung kleiner Gartenorte, bis hin zu Edward mit den Scherenhänden.
Kein größeres Adelsschloss, keine Villa, von der Frührenaissance bis zum Barock, kam ohne diese topiarische Gartengestaltung an Ilex (Stechpalme), Taxus (Eibe), Buxus und Zypresse aus. André Le Nôtres französische Königsgärten wurden damit stilbildend für ganz Europa. Le buis, Boxwood, Buchs, hielt dem Formschnitt stand und wuchs bereitwillig in die Draht- und Holzskelette, die ihm seinen Weg zu fantastischen Figurationen vorgaben.
Einer gut belegten Legende nach hielt das bis 1713 an. Da spottete Englands satirischster Gartenbesitzer, Alexander Pope, über die „Verdant Sculptures“, die Manie der grünen Figuren: „Adam und Eva in Taxus, Adam ein wenig angegriffen, vom Fall des Baumes der Erkenntnis, im großen Sturm ... St. Georg in Buchs, sein Arm kaum lang genug, wird aber nächsten April so weit sein, um den Drachen niederzustechen ... ein Heckenschwein sprießt zum Stachelschwein, für eine Woche vergessen, im regnerischen Wetter.“ Die ornamentale Pracht italienischer, niederländischer und französischer Villen- und Schlossgärten geriet schlagartig aus der Mode. Nun galt der natürlich wirkende Englische Garten, ein Park, als neues Ideal. Erst die Arts-and-Crafts-Bewegung bekannte sich wieder zum Kunstschnitt.
Man muss nicht gleich Mitglied der „Europäischen Buchsbaum und Formschnitt Gesellschaft“ werden, um die einzigartige Schönheit der Gärten von Marqueyssac und Eyrignac im Périgord, oder Levens Hall in Cumbria zu schätzen oder die letzten Buchswälder bei Grenzach-Wyhlen, bei Sotschi oder im alten Land der Kolcher, im heutigen Georgien, für schützenswert zu erachten. Sie sind Teil des „Patrimoine“ Europa, wie unsere Nachbarn bereits wissen.
Kommentare 10
Sie haben kein Problem, iDog. Alles gerät Ihnen zu ihrer Assoziationskette. Der Buchs, dieses seltsam spezielle, kleine Gartenthema, löst ihre Fantasie, die sich versteigen kann. Dafür dürfen Sie dankbar sein.
Das ist nicht schlimm, tatsächlich aber zeittypisch, für unsere Art der schnellen Medien, die dazu führt, dass alles zu einem endlosen Gerede wird, statt Schrift und Text zu sein. - Es verhält sich damit so, wie mit dem aus dem Paradies geschnitttenen Urpaar im Buchs:
Geht die Kunst, das Handwerk und die Erinnerung verloren, entsteht die blickdichte Hecke und dahinter eine ganz spezifische, die Zeit und ihr Denken ausdrückende Form des angeblich pflegeleichten Schotter-, Kies- und Zementgartens. Dies übrigens nicht nur bei den Laien, die im Baumarkt nach Natur suchen, sondern auch bei Landschaftsgärtnern und -Architekten, die das Städten und Stadträten immer noch aufs Auge drücken, als pflegeleichte Variante für den öffentlichen Raum.
In der historischen Realität überlebte Buxus sempervirens übrigens durch zahlreiche kleine Haus- und Hofgärtner, die das recht abrupte Ende der Adels- und Grundbesitzermode nicht nachvollzogen, bis auch wieder Eliten und Intellektuelle Gefallen an ihm fanden.
Den wilden Buchs können Sie übrigens auch bei uns, entlang der Mosel, vor Karden, wiederentdecken und dabei einer anderen, vielgepflegten, aber ebenfalls kulturell nicht geachteten Freizeitbeschäftigung der Europäer, besonders der Deutschen, nachgehen: der Wanderlust.
Beste Grüße
Christoph Leusch
«Kann man eine Pflanze überhaupt missverstehen?»
Eigentlich nicht. Vielleicht denjenigen, der sich an Ihr zurechtstutzend «vergeht» oder aber (wie Du lieber iDog) Herrn Leusch? welcher (für mich in interessanter und unterhaltsamer Art!*****) dem Buchs seine Ehrerbietung erwies.
Slapp (auch mal) av.
Addendum zum kurzen Artikel: Die "wilden" Bestände des geschützten Buchses bei Grenzach- Whylen, haben die Buchsbaumzünsler- Larven und Raupen mittlerweile kräftig reduziert. Ein Hoffnung bleibt, denn es gibt offenbar kleine Bestände, die sich halten können und grün bleiben.
Christoph Leusch
"[...] welcher (für mich in interessanter und unterhaltsamer Art!*****) dem Buchs seine Ehrerbietung erwies."
Da schließe ich mich an - zumal mir das Phänomen des Buchs(baums) bisher völlig entgangen war.
Ein weiteres Phänomen: Jeder weiß, dass Texte für die Druckausgabe krasser zurechtgestutzt werden als jeder Buchs - aber hat je ein Mensch einen solch kurzen Leusch/Columbus-Text gelesen, sei es Kommentar oder Beitrag? ;)
Ein schöner Artikel zu einem sonntäglich kulturgeschitlichem Thema.
Für mich liest sich der kurze Text etwas atemlos, als sollten möglichst viele Inhalte elegant in eine vorgegebene Zeilenzahl gerettet werden.💎
Es gibt immer eine klare Zeichenvorgabe, auf die, wenn nötig, redigiert wird, Herr Grothues.
Bei meinem bescheidenen Beitrag, der auf einen anderen Text antwortete, wirkte jedoch die redaktionelle Fee vor allem und zum Vorteil, an der Ästhetik und syntaktischen Gestaltung. Beim dF gibt es wahre KünstlerInnen dieses aufreibenden und selten geehrten Handwerks. - Architektonisch müsste man von RaumkünstlerInnen sprechen.
Als Hecke, allerdings, muss so mancher klitzekleine Text im Druck die Seite rahmen. Er wird gehängt, wie einst viele Gemälde in den Wunderkammern.
Gerne hätte ich noch vom tatsächlich wilden Buchs auf Kuba berichtet und wäre dann nahtlos und unbemerkt zu Castros Lieblingsbaum gekommen:
"Wie so viele permanente Revoluzzer, hatte auch er planvolle Träume, sobald er sich einmal Zeit lassen konnte und wollte. Ungefähr 2012 entdeckte der Máximo Líder im Ruhestand Moringa oleifera, den Meerrettichbaum.
Das ist kein Rettich oder Radi, sondern eine, wohl aus Indien stammende, Baumart, mit dreizehn, man beachte die unheilige Zahlensymbolik, Subspezies, die in allen Klimaten, die heute von Hunger und Mangelernährung betroffen sind, sehr gut gedeiht und eine Reihe vielversprechender Eigenschaften hat.
Castro dachte, dass Moringa landwirtschaftlich, heilkräftig und nährend den boykottierten Kubanern aufhelfen könne. Ihm ging es um eine der sagenhaften „Wunderpflanzen“ dieser Erde, die die Weltrettung versprechen, würde man sie nur besser schätzen.
Ein bisschen was von der traditionellen Ginkgo- Baum Begeisterung der Europäer, hatte die Castrosche Verehrung schon. Der Ginkgo besitzt, anerkannt, auch Heilkräfte, und in Asien ist er gar ein Nahrungsmittel. Obwohl er in unseren Breiten gut gedeiht und wie viele moderne Neophyten, sehr robust gegen Baumkrankheiten und Insekten ist, also andererseits keine gute Einbindung in die heimische Flora und Fauna aufweist, bedeutet er uns viel, durch seine Wirkung gegen leichte Depressionen, gegen den kognitiven Abbau, zum Beipiel während der Frühphase einer Demenz oder bei Durchblutungsstörungen. Vor allem aber regte er, vermittels seiner Blattform, zu Betrachtungen an, die ihn zur Dichterpflanze machten.
Peter Härtling dachte von seinem "...Ginko vor der Tür": >>Du bist/schlau,/Baum.<<
Schönen Sonntag
Christoph Leusch
wer möchte nicht lieber schlau sein wie ein baum,
statt kognitiv-beschränkt wie stroh?
Autowandern ist Fifties, Sixties und Seventies. Da haben Sie Recht, iDog. Trotzdem ist es die heimliche mechanische Wanderbewegung des meisten Volkes in den Industrienationen. Heuschrecken schwärmen eben nicht nur in der Natur und beim Investment.
Es gibt aber Menschen, die lassen sich von ihrer Lust daran nur schwer abbringen (z.B. Christina Rietz, in der "Zeit" (27/2018)). Wir beide können und werden zu Fuß gehen und mit "Tucho" im Eisenbahnabteil sitzen, soweit die Trassen reichen.
Ich "heilige" den Buchs doch nur, weil er unschuldige Natur, wie alle Natur, ist und zudem noch eine lange kulturelle Tradition mitbegründete, die nicht nur hässlich und genormt in Erscheinung tritt.
Linke müssen nicht auch noch gegen den Buchs antreten, selbst wenn sie sonst gegen alles und für was ganz anderes sein können. Franzosen und Belgier kämpfen übrigens, sogar staatlich gefördert, gegen das Buchssterben. Sie leiden auch mehr, bezogen auf ihre Kultur.
Schönen Sonntag
Christoph Leusch
Ich möchte auch alt wie ein Baum werden. Wenn denn die Stürme nicht stärker werden, als es dem Dichter je einfallen konnte.
Beste Grüße
Christoph Leusch
Muss natürlich "...Ginkgo vor der Tür" stehen. C.L.