Wer in den Staatsmuseen die Abteilungen zeitgenössischer Kunst durchstreift, muss in aller Regel lange suchen, wenn er digitale Kunst sehen will. Was nämlich den Ankauf von Grafiken und Gemälden in Bits und Bytes angeht, sind die großen Institutionen bis heute sehr zurückhaltend. Und das, obwohl die Ästhetik aus dem Rechner nunmehr ein halbes Jahrhundert Kunstgeschichte hinter sich hat. Somit bleibt digitale Kunst noch immer, obwohl der Computer mittlerweile nahezu sämtliche Lebensbereiche erfasst hat, einem größeren Publikum weitgehend unbekannt. Das wollte der Galerist Wolf Lieser gerne ändern. Deshalb gründete er 1998 das das "Digital Art Museum" (DAM). Es ist ein virtuelles Museum im Internet, das ausschließlich Computerarbeit
eiten und deren Künstlerinnen und Künstler vorstellt. Die große Öffentlichkeit gewann Lieser damit zwar auch nicht, doch hat das interessierte Publikum seitdem eine Anlaufstelle. "Das DAM", sagt er, "ist erst mal eine Plattform, wo die verschiedenen Vertreter digitaler Kunst vorgestellt werden." Das Projekt begann vor sechs Jahren. Abgeschlossen ist es noch lange nicht.Die Internetseiten unter www.dam.org sind aufgebaut wie ein Archiv. Jeder Name - alphabethisch vom Japaner Yoshiyuki Abe bis zum US-Amerikaner Edward Zajek - hat seine eigenen Unterseiten mit Lebenslauf, Werkphasen, kunstgeschichtlicher Zuordnung und vielen Bildbeispielen. Manche Namen der Liste sind mit einem schwarzen Punkt markiert. Das bedeutet, dass dort der entsprechende Eintrag komplett ist. Ein schwarzer Kreis bedeutet, dass über den Künstler in Bild und Text nur knapp informiert wird. Wo Punkt und Kreis fehlen, steht noch nichts zur Verfügung. Aber immerhin präsentiert das DAM mittlerweile 30 internationale Künstler von 1956 bis heute, die es - wie auch in einem richtigen Museum üblich - kunsthistorischen Abteilungen zuordnet. Die Entwicklung der Computerkunst gliedert das DAM in drei Phasen: die Zeit der Pioniere, die Ära des Malkastens (Paintbox Era) und die Multimedia-Epoche von heute. Der Schwerpunkt des Museums liegt bei den "Klassikern" der ersten Stunde. Und gerade diese Anfangszeit ist es, die für das Verständnis des Neuen der digitalen Kunst aufschlussreich ist.Computergesteuerte Zeichenmaschinen - so genannte Plotter - spielten bei den Pionieren die entscheidende Rolle. Der Plotter fertigt nach elektromagnetischen Signalen Grafiken an. Er kann zum Beispiel eine Statik-Berechnung für ein Bauwerk zeichnerisch umsetzen. Früher arbeiteten deshalb hauptsächlich Architekten mit dem Plotter. Die Künstler aber erstellten für die Zeichenmaschine eigene Programme. Einer von ihnen war der 1938 geborene Frieder Nake, der heute an der Universität Bremen Ästhetik und Informatik lehrt. "Digitale Kunst ist eigentlich furchtbar langweilig", kokettiert Nake: "Da erdenken sich Leute einen Algorithmus und behaupten, wenn der Rechenvorgang ausgedruckt ist, das sei jetzt Kunst." Nake erklärt die paradoxe Situation digitaler Meisterwerke. Sie führen stets ein Doppelleben als Programmierung im Rechner oder auf dem Speicherplatz einerseits und als Bildschirmanzeige oder Ausdruck außerhalb des Computers andererseits. "Das eigentlich programmierte Bild ist unsichtbar und wir sind halt so altmodisch und wollen uns immer irgendwelche Bilder an die Wand hängen." Trotz beschworener Langeweile erregt sich Nake. Ausdrucke digitaler Kunst seien im Grunde nichts als unnötiger Ballast. Und das Computerbild als solches sei wegen des Algorithmus nicht ein einziges Bild sondern immer eine ganze Reihe unendlicher Bilder.Spätestens bei solchen Ausführungen ahnt man, dass auch umgekehrt die digitale Kunst mit den konventionellen Staatsmuseen so ihre Probleme hat. Probleme der Präsentation, die schon zu Pionierzeiten deutlich wurden. "Am Anfang gab es ausschließlich Prints", erklärt Wolf Lieser: "Häufig wurde einfach vom Bildschirm abfotografiert. Die Abzüge verkaufte man dann als Cibachrom in kleiner Auflage." Heute im Rückblick erscheinen solche Arbeiten von damals in gewisser Weise archaisch. Denn in den vergangenen Jahrzehnten digitaler Kunst hat sich vieles perfektioniert. Per Inkjet-Verfahren kann heute auch großformatig auf Leinwand ausgedruckt werden. Die menschenleeren Interieurs von Gero Gries (geb. 1951) sehen aus wie Fotografien, die Meeres- und Gebirgslandschaften von Gerhard Mantz (geb. 1950) erscheinen auf den ersten Blick wie perfekte Ölmalerei. Aber beide Beispiele sind ursprünglich digitale Bilder, die in Bits und Bytes berechnen, wie sich Tische und Stühle perspektivisch verzerren oder wie sich Wolken auf der Wasseroberfläche spiegeln. Jeder Schatten der Felsen und Berge fällt zur gedachten Lichtquelle mathematisch korrekt.Im DAM sind Vertreter solcher Arbeiten in die zweite Phase, die Paintbox Era, die etwa Mitte der 80er Jahre begann, eingeordnet. Die - meistens etwas jüngeren - Künstlerinnen und Künstler dieser Phase schöpften die zahlreichen Möglichkeiten der digitalen Bilderstellung und Bildbearbeitung aus. Dass dabei die Frage nach der Kunst im Bild nicht immer befriedigend beantwortet werden kann, machen die Bedenken Frieder Nakes deutlich: "Es wird immer Leute geben, die mit einer Software wie etwa Paintshop irgendwelche Bilder zusammenbasteln", sagt er. "Aber wenn die nicht davon ausgehen, dass Computerkunst immer doppelte Bilder und eine unendliche Menge an Bildern sind", fügt Nake bestimmt hinzu, "dann sind sie nicht auf der Höhe der Zeit." Nakes kompromisslose Einschätzung zeigt, dass Computerkünstler, die täglich mit Logik und Regelwerken umgehen, in ihrer Kritik nicht weniger systematisch und regelhaft urteilen. Ein Umstand, den auch Wolf Lieser für das Digital Art Museum zu beachten hat. Schließlich hat er als "Direktor" des Museums ein Auge darauf, welche Künstler in die Sammlung mit aufgenommen werden. In der Spalte der jüngsten Phase - der Multimedia-Epoche - steht bislang nur ein einziger Vertreter, der Engländer Kerry John Andrews (geb. 1956). Vorerst lässt sich bei der Vielfalt an Strömungen - von Animationen für Plasmabildschirme zu Klangvariationen auf DVD - nicht vorhersagen, was sich kunstgeschichtlich durchsetzen wird.Deshalb organisiert Wolf Lieser das DAM im Team mit zwei Universitäten in London, der Metropolitan University und der Brighton University. "Die decken den kunsthistorischen und wissenschaftlichen Bereich ab", erklärt er: "Und außerdem haben wir ein beratendes Gremium von Professoren aus England, aus Rio de Janeiro, aus den USA." Auch Frieder Nake aus Bremen gehört dazu. Sie alle vertreten verschiedene Positionen der digitalen Ästhetik und bringen bei der Auswahl der Künstler ihr Wissen mit ein, so dass sich eine objektive Zusammenstellung ergibt. Das anerkannte auch die UNESCO vergangenes Jahr, die das DAM als internationales Museum auszeichnete. Der globale und historische Charakter der Internetseite ist auch der wesentliche Unterschied zu Wolf Liesers Galerie, die er seit einem Jahr unter dem Namen DAM-Berlin in der Tucholskystraße 37 als deutsche Dependance betreibt. Dort zeigt Lieser Sonderausstellungen und verkauft Bilder. Irgendwie muss sich schließlich auch ein virtuelles Museum finanzieren.www.dam.org