In den Berliner Parteizentralen schaut man an diesem Wochenende bange auf die Wittenbergisch wetternden und Bitterfeldisch verbiesterten Neudeutschen, die schon wieder in der Rolle des Verlierers glänzen wollen und sich längst keine "Rübe" mehr machen über Staat und Politik. Im März 1921 verbluteten die Arbeiter von Buna und Leuna für die Weimarer Republik. Im Juni `53 gingen sie friedlich auf die Straße und skandierten: "Wir wollen keinen Spitzbart!" Ulbricht rächte sich für die kalte Rasur mit Standrecht. Im November `89 gingen die Bunesen und Leuna-Belzer nicht mehr auf die Straße und überließen es den devisenverwöhnten Leipziger Messe-Dienern, die Einheitswährung zu fordern. Helmut Kohl wählten die Hallenser, we
weil er leibhaftigen Wohlstand verkörperte und gesamtdeutsch menschelte, um ihm bei der nächsten Wahl Eier zu kredenzen und den Sozis das Mandat zu geben. Weil seither die Arbeitslosigkeit schneller steigt als die Saale bei Hochwasser, lässt Schröder sich nur an der Elbe blicken. Jüngst studierte er das Geheimnis der Magdeburger Halbkugeln. An ihnen ziehen die linken und rechten Parteien längst in dieselbe Richtung, ohne das ostdeutsche Vakuum mit westlichem Wohlstand zu füllen.Country-Look zur Ost-ErweiterungAls verspätetes Care-Paket schenkten nun die ZDF-Mainzelmännchen den abgewickelten Anhaltinern eine freizeitfüllende und gefühlsreiche Heimat-Saga in vier Kapiteln. Nicht von Chemie Liebe - dem Kunststoff des sozialistischen Realismus - handelte das Letzte vom Zweiten aus der DaDaeR, sondern von faulen Landeiern und unzüchtigen Geflügelzüchtern. Als wäre die öffentlich-rechtliche Mattscheibe nicht längst von den Motzkis und Trotzkis gesäubert und der Übergang vom Wir-Gefühl zum Ich-Bewusstsein weichgespült, schiebt das ZDF noch einen Spülgang nach. In Erinnerung an die Zeit, als in Sachsen-Anhalt Westfernsehverbot herrschte ("Persil zwingt Grau raus und Farbe rein"), mixten die Mainzer Weißwäscher einen Vier-Phasen-Reiniger aus Bauernoper, Familiendrama, Komödienstadl und Bildungsroman, rührten den Stoff durch die Quoten-Appretur und präsentierten den Mehrteiler als Country-Look zur Ost-Erweiterung. Der gutgemeinte Liebesversuch, den anhaltenden ostdeutschen Gefühlsstau mit dem Allwissensdrang hessischer Deutschlehrer zu therapieren, scheiterte an subjektivem und objektivem Unvermögen. Meine anhaltinischen Landsleute müssen sich wie der tote Hase vorkommen, dem Joseph Beuys das Dürer-Bild vom Hasen erklärt. Die alte Mär von Romeo und Julia auf dem Dorfe als Folie für feuchte Jugenderinnerungen machen noch keine neue Heimatkunst. Da braucht es Konflikte, die nachhallen, Bilder, die das Gestern als verlorene Landschaft beweinen, und Charaktere, die uns Wichtigeres lehren, als: wie man im sozialistischen Clochemerle liebt und leidet.Heiner Müller behauptet, die DDR habe nie existiert. Erst mit ihrem Verschwinden wurde sie als Never-Never-Land unserer antikapitalistischen Peter-Pan-Träume geboren. Ernst Jünger schrieb, dass zwei gegensätzliche Erfahrungen nicht diskutabel seien. In der Tat lebten die DDR-Deutschen nicht nur in einem diametral anderen Wertesystem als ihre westdeutschen Verwandten, sondern auch in einem orbital anderen Raum-Zeit-Bewusstsein. Der sozialistische Krebsgang des von außen und innen gebremsten ökonomischen Fortschritts, der alles Ideelle ins Reich der Freiheit verschob, machte die Ostdeutschen zu Erfindern der Langsamkeit, während rheinische Republikaner den Lauf der Freiheit um die Idee von Freie Fahrt für freie Bürger bereicherten. Der Osten wusste, dank Markus Wolfs Agenten und dem Westfernsehen, alles vom Westen. Umgedreht fehlte jedes Interesse, solange im volkseigenen Osten nichts zu erben war. Darum reagieren die vom SED-Staat enteigneten und von der EU arbeitsbefreiten LPG-Bauern in der Magdeburger Börde und anderswo allergisch auf die späte Neugier. Zumal der durch jahrelanges Schielen über die Mauer mental erhöhte Blick ins "Tal der Ahnungslosen" nichts als alte Vorurteile und neue, allzumenschliche Einsichten bringt.Das falsche Mitgefühl der Neoliberalen erwächst dem Komplex aller Kulturbringer, dass die Wilden trotz tragischer Unfähigkeit den Schlüssel zum Glück besitzen. So glauben wir Ostgoten mittlerweile selbst, dass wir in punkto Liebe freizügiger waren als die Kommune I. Im fiktiven Dorf Liebesau wird jedoch weniger gesauigelt als in einer Vorabendserie mit Uschi Glas. Dafür halten Bauer und Bäuerin laut ZDF noch im Bett Referate zur DDR-Agrarreform und streiten sich heftiger um den Marxismus als Marx und Engels es taten. Margot Honecker im chilenischen Exil kann zufrieden sein über ihr Bildungssystem, weil dem DDR-geschulten Autor noch nach Jahren der Verwestlichung die eingebläute Parteilyrik nachhängt. Staatsbürger, die schon im Kindergarten mit Politik gefüttert werden, betrachten später alles Politische aus der Kindergartenperspektive. Als wie apolitisch dagegen mögen antiautoritär erzogene Bundesbürger gelten, wenn man ihnen vier Jahrzehnte DDR nur als Eckdaten von Feiertagen zur deutschen Teilung zumutet. Historische Ungereimtheiten sind der Preis für diese Kaisergeburtstags-Dramaturgie.Erfahrung ist nicht vermittelbarDer Arbeiteraufstand vom 17. Juni 1953 war, wie der Name sagt, kein Bauernaufstand und ging an Dörfern wie Liebesau spurlos vorbei. Den 13.August 1961 erlebte ich in Merseburg bei Halle. Es war ein Sonntag. Rund ums Gagarin-Denkmal fand ein Radrennen statt. Es wurde nicht abgebrochen, als das Westradio den Dritten Weltkrieg verkündete. Ein Russe gewann und meine Mutter ärgerte sich, dass mein Vater sich über den Mauerbau freute. Nun war der ewige Ehestreit, ob man abhauen oder dableiben soll, beendet. Erfahrung ist nicht vermittelbar (Heiner Müller).Ich war 1976 Regie-Assistent bei dem DDR-Fernsehmehrteiler Daniel Druskat. Das realsozialistische Bauerndrama strotzte vor Pathos und Tagespolitik. Trotzdem erfüllte der Parteitagsfilm nicht die Erwartungen der Partei. Was dieses Werk von Helmut Sakowski noch heute sehenswert macht, ist die unverhüllte Frage nach den Leichen im Keller der Genossen. Daniel Druskat bringt 1945 einen Gutsverwalter um und schweigt, bis Jahrzehnte später die Tat ans Licht kommt. Am Ende ist er zwar politisch rehabilitiert, aber seelisch zerbrochen. Ungewollt hatte das DDR-Fernsehen damit den schicksalhaften Untergang des Arbeiter-und-Bauern-Staates vorweggenommen. Was anderes kann man von guter Erzählkunst verlangen, als dass sie zugleich in die Vergangenheit und in die Zukunft blickt und mehr assoziiert, als ihre strategische Absicht."Die andere Heimat Liebesau" bleibt nur im Heute verhaftet und ist im Gestern ein Ort nirgends. Wie hieß es überm Eingangstor der Chemischen Werke Buna in Sachsen-Anhalt so schön? "Chemie ist Trumpf. Kunststoff ist Kreuzbube".