Berlin ist eine Wissenschaftsmetropole. 135.000 Studenten studieren hier derzeit, aber das soll sich bald ändern. Der Berliner Wissenschaftsrat hat Mitte 2000 eine Reduzierung auf 85.000 gefordert. Das entspräche, so wird argumentiert, dem Bevölkerungs- und Abiturientenanteil der Region. Bis zum Jahr 2003 soll so auch eine Milliarde Mark eingespart werden. Ein prominentes Opfer dieser Kürzungspolitik ist das Otto-Suhr-Institut, der politikwissenschaftliche Fachbereich der Freien Universität, einer der größten in Deutschland. Wo einmal 50 Professoren lehrten, sollen es bald nur noch zwölf sein. Eigentlich Anlass, dass Berlin langsam Angst um seine Lehr- und Forschungsvielfalt haben müsste.
Durchaus zähneknirschend haben sich die Professoren d
n sich die Professoren des Otto-Suhr-Instituts schon an den Kürzungen der vergangenen Jahre beteiligt, welche die Streichung von zehn Lehrstühlen bis 2003 vorsieht. Der Wissenschaftsrat sieht nun weitere Einsparungen von 18 auf 10 bis 12 Professuren vor. Sollten sie realisiert werden, wird die Tradition und Funktion des Otto-Suhr-Instituts für die FU und die Politikwissenschaft in der Bundesrepublik abgebrochen.Politik bedeutet die Organisation von Willensbildungs-, von Entscheidungs- und von Implementationsprozessen. Politik betrifft die allgemeinen und verbindlichen Belange von Bürgerinnen und Bürgern auf unterschiedlichen Ebenen - lokal, regional, national, übernational -, somit in diversen Institutionen. Politik kann deshalb nie im Sinne eines isolierten Segments analysiert oder kritisiert werden. Dementsprechend wird Politikwissenschaft am Otto-Suhr-Institut seit Jahren als Integrationswissenschaft verstanden. Nur das entspricht den Aufgaben des Faches und den ihm samt seinem Gegenstand, "der Politik", gestellten Problemen.Dieses Selbstverständnis wird in dem Gutachten des Wissenschaftsrates geradezu desavouiert. Statt die konzeptionelle Frage zu beantworten, was Politikwissenschaft in den Zeiten der neuen, weltweiten technologischen und ökologischen Herausforderungen sowie der politischen und sozialen Umbrüche zu sagen vermag und zu sagen hat, folgt der Wissenschaftsrat der ultima ratio eines ihm vorgegebenen Sparprogramms. Sein genereller Vorschlag: Rückführung der Massenuniversität durch die Einführung eines verschärften Numerus Clausus auf 1,0 und Verkleinerung der Institute durch den Abbau von Hochschullehrerstellen. Und dennoch erwartet der Wissenschaftsrat, dass trotz "Verschlankung" neue Kooperationsformen und "neue postgraduale Angebote entwickelt werden" können. Wie das mit 12 Professoren gelingen kann ohne die normale Ausbildung und Forschung zu vernachlässigen oder die Zahl der Studierenden drastisch zu reduzieren, bleibt allerdings sein Geheimnis.Besonders ärgerlich ist, dass zur Untermauerung des Sparkonzepts mit falschen und nicht begründeten Angaben operiert wird. Das Gutachten spricht von überlangen Studienzeiten und hohen Abbrecherquoten in der Politikwissenschaft. Das Gegenteil ist der Fall. Das Otto-Suhr-Institut gehört nach wie vor zu den attraktivsten politikwissenschaftlichen Ausbildungsstätten in der Bundesrepublik. 28,4 Prozent aller diplomierten Politologen haben hier ihren Abschluss gemacht; und das bei einer mittleren Studienzeit von 11,6 Semestern (1998/1999). Bei 9 Semestern Regelstudienzeit plus halbjährigem Praktikum ist das völlig undramatisch. Und nur 5,6 Prozent der Absolventen bleiben nach ihrem Abschluss arbeitslos. Für die republikweite Anziehungskraft des Instituts spricht auch, dass zwischen 130 bis 180 Politologie-Studierende pro Semester von anderen Universitäten in das Hauptstudium an das OSI überwechseln, weil sie hier ihre Schwerpunktsetzung besonders gut realisieren können. Nicht nur diese Interessen an einem politikwissenschaftlichen Studium würden massiv eingeschränkt, wenn die Vorschläge des Wissenschaftsrates umgesetzt werden.Und auch der wissenschaftliche Standard des Instituts nimmt im Gegensatz zu den Aussagen des Gutachtens nicht ab. Das OSI steht an der Spitze der Drittmitteleinwerbung aller geistes- und sozialwissenschaftlichen Fachbereiche der FU, sieht man sich beispielsweise die Zahlen von 1997 und 1998 an. In öffentlichen Debatten über Reformanstöße für die Gesellschaftspolitik sind die Lehrtätigen des OSI wohl mit Abstand am häufigsten vertreten, egal ob es sich um Themen wie Globalisierung, Zukunft der Arbeit, soziale Sicherungssysteme, Europäische Integration, oder Geschlechterverhältnisse handelt. Außerdem hat das Institut eine Reihe von Innovationen in der Ausbildung entwickelt, die realisiert sind oder kurz vor ihrer Einführung stehen. Der Diplomstudiengang soll vor allem weiter interdisziplinär geöffnet, die Berufsfeldbereiche entschieden erweitert und das Grundstudium flexibilisiert werden. Auch der Lehramtsstudiengang wurde inzwischen renoviert und vor allem entbürokratisiert. Kurzum: Das OSI braucht sich nicht zu verstecken.Der integrationswissenschaftliche Ansatz, wie er am OSI entwickelt und institutionalisiert worden ist, wird weltweit als großer Gewinn und erfolgsversprechendes Vorbild angesehen. Renommierte Universitäten in Großbritannien, Holland, Schweden und den USA haben seit längerer Zeit auch diese multidisziplinäre Perspektive eingeführt (Stanford, LSE London etc.)Einen generellen berufsqualifizierenden Abschluss schon nach 6 Semestern einzurichten, wie es der Wissenschaftsrat vorschlägt, wäre sowohl unter dem Gesichtspunkt der wissenschaftlichen Ausbildung als auch unter Berufsperspektiven wenig ertragreich. Der Politologe als Generalist mit spezifischen Qualifikationen und Schwerpunktbildungen muss als Leitbild erhalten bleiben. Die Begründer des Otto-Suhr-Instituts - Ernst Fraenkel und Otto Suhr würden sich im Grabe umdrehen, wenn sie noch wahrnehmen könnten wie mit der Politikwissenschaft als Demokratiewissenschaft in einer Reichtumsgesellschaft umgegangen wird.