Seit Jahren begegnet mir am Bahnhof Yotsuya im Herzen von Tokio des öfteren der in Japan recht berühmte Architekt Shuji Kurokawa, der mit einigen Getreuen für die von ihm gegründete Kyosei Shinto wirbt. Shinto bedeutet "Neue Partei", aber was bedeutet kyosei? Das Wort hat zwei semantische Ebenen, eine fachsprachliche, in der es mit Symbiose übersetzt werden kann, und eine alltagssprachliche, in der es einfach Zusammenleben bedeutet. Eine Partei der Symbiotiker also? Ihr Programm fordert die Symbiose von "Wirtschaft und Kultur", "Stadt und Natur" - die "Symbiose der Generationen", von "Tokio und der Provinz", "Wissenschaft und Kunst" sowie "Globalismus und Lokalismus".
Shuji Kurokawa begegnete mir auch im Fernsehen, als er bei der Gouverneurswahl in der Präfektu
ahl in der Präfektur Tokio antrat. Sein Ergebnis mit 2,8 Prozent war freilich nicht berauschend, und der Antritt bei den Oberhauswahlen im Juli war gleichfalls wenig erfolgreich. Eine Splittergruppe mehr?Im Wahlkampf vor dem Votum zum Oberhaus ist mir der Begriff dann öfter begegnet, als Gegenbegriff zu "Konkurrenz", dem Kernbegriff neoliberaler Ideologie wenigstens in Japan. Außerdem war ich 2006 eingeladen, mich an der Gründung einer "Forschungsgesellschaft für ein Kyosei-Gesellschaftssystem" (kyosei shakai shisutemu gakkai) zu beteiligen, in der Natur-, Geistes- und Gesellschaftswissenschaftler über eine neue "Symbiose" von Natur und Gesellschaft nachdenken wollten. Der offizielle englische Titel der Gesellschaft lautet The Association for Kyosei Studies - das kyosei wird also erst gar nicht übersetzt. Der Vorteil des Begriffs liegt darin, dass man mit ihm zwei Dinge gleichzeitig denken kann, das Ökologische und das Soziale.Entschädigung für AstmatikerÄhnlich wie in anderen Industrienationen artikulierte sich in Japan eine ökologische Bewegung während der siebziger Jahre als Protest gegen die katastrophale Verschmutzung von Luft und Wasser in den Ballungsräumen. Dazu kamen große Umweltskandale, die teils jahrzehntelange Kämpfe um Entschädigungen evozierten und im öffentlichen Bewusstsein blieben. Unterstützt wurden diese Bewegungen vor allem durch die Sozialisten (heute Sozialdemokraten) als der damals größten Oppositionspartei, und die Kommunisten - beide Gruppierungen sprachen sich auch gegen den Bau von Kernkraftwerken aus.Die Präfektur Tokio regierte von 1967 bis 1979 der linke Gouverneur Ryokichi Minobe, der neue Parks anlegen ließ, deren Eintritt damals noch frei war: Die soziale Frage und der Umweltschutz wurden als Einheit begriffen. Zugleich gab es einige wegweisende Gerichtsentscheidungen, die das Verursacherprinzip recht konsequent anwandten. Noch heute können die Folgen besichtigt werden: Gerade erst, am 8. August, wurde ein Vergleich abgeschlossen, mit dem sich die japanische Autoindustrie, die Autobahn-Betreibergesellschaften, der Staat und die Präfektur Tokio bereit erklärt haben, Asthmatikern im Großraum Tokio Entschädigungen zu zahlen und Behandlungskosten zu übernehmen.Es ist der Umweltschutzbewegung zu verdanken, dass Umweltschutz zu einem Teil staatlichen Handelns wurde, wenn etwa für Abgase und Abwässer hohe Abgaben zu zahlen sind und Japan heute mit einer Umwelttechnik (von Filteranlagen bis zum Katalysator) aufwarten kann, die Maßstäbe setzt.Auch in Japan gab es in den achtziger Jahren den Versuch, eine Grüne Partei (Midori no to) zu etablieren, der aber erfolglos blieb, was nicht zuletzt damit zusammenhing, dass sich die linken Parteien bereits dem Umweltschutz zugewandt hatten. Zudem waren die Begriffe "grün" und "ökologisch" wohl nicht so schlagkräftig wie in Deutschland. Grün (midori) bedeutet zwar im Japanischen ebenfalls sowohl die Farbe als auch "Natur", aber es gibt keine ausgeprägte politische Farbenlehre. Mit Ausnahmen der Linken, die als symbolische Farbe das "Rot" übernommen haben, kann man nicht davon sprechen, dass den Parteien ansonsten systematisch Farben zugeordnet werden.Tokios "Lebensweltler"Auch der Begriff "ökologisch" ist als politischer Terminus in Japan problematischer als in Deutschland. Als setai übersetzt, fand er wohl Eingang in die Fachwissenschaften, aber nicht in die Alltagssprache. Auf kommunaler Ebene in Tokio gibt es freilich eine Gruppierung, die soziale und ökologische Gedanken verbindet und bei Kommunalwahlen recht erfolgreich antritt: das Seikatsusha Network, das sich auf eine der in Japan noch recht lebendigen Verbrauchergenossenschaften stützt und prinzipiell bei Wahlen nur Frauen aufstellt. Seikatsusha ist ein schwierig zu übersetzender Begriff: Er meint so etwas wie Menschen im Alltagsleben (quasi Verbraucher); im Sinne von Habermas könnte man von "Lebensweltlern" sprechen.Von daher ist es nicht erstaunlich, dass es ein Bedürfnis danach gibt, einen Begriff zu finden, der das Soziale, Ökologische und Japanische unter einen Hut bringt. Der Philosoph Ichiro Ozeki, ehemals Vorsitzender der traditionsreichen marxistischen "Materialismus-Forschungsgesellschaft", entwirft in seinem letzten Buch Das Umweltdenken und die Erneuerung der Anthropologie (2007) das theoretische Modell einer kyosei-artigen Gesellschaft, in der die Menschen mit sich und der Natur in "Symbiose" leben können. Ohne dass er in dem Werk explizit genannt würde, kann zu den ersten zwei kyo-Begriffen kyosei (Symbiose) und kyodo (Gemeinschaft) ein dritter Begriff gedacht werden, der wie die beiden anderen mit demselben Schriftzeichen für kyo geschrieben wird: kyosan, die gemeinschaftliche Produktion oder kyosan shugi (Kommunismus). Nur ist auch in Japan der Begriff "Kommunismus" historisch derartig kontaminiert, dass die gesellschaftliche Produktion zwar mitgedacht, der Begriff selbst aber eher vermieden wird.