Kyrill gegen Hitler-Stalin-Vergleich

Kirchenstreit Die Russisch-Orthodoxe Kirche streitet heftig über die Sowjet-Geschichte. In der Ukraine musste sich der Patriarch von Moskau zum Thema Stalin äußern

Es war absehbar, dass bei dieser Visite Ende Juli dem Patriarchen eine solche Frage gerade in der Ukraine gestellt würde. Es hing nicht so sehr mit dem Wunsch Kyrills zusammen, seinen Kommentar zu der von der parlamentarischen Versammlung der OSZE jüngst angenommenen Resolution über die Nähe des Stalin- und des Hitler-Regimes abzugeben. Eher hatte es mit dem Bedürfnis der Ukrainer zu tun, mehr darüber zu erfahren, wie sich das Oberhaupt der Russisch-Orthodoxen Kirche zum Thema Hungersnot in den dreißiger Jahren positioniert, für die besonders Stalin verantwortlich gemacht wird. Nach Auffassung etlicher Historiker in Kiew hat der eine Politik des Genozids gegen das ukrainische Volk betrieben, weil er vom ukrainischen Nationalismus die staatliche Einheit der Sowjetunion bedroht sah. Der Hunger sei für ihn ein Instrument der Disziplinierung und Unterwerfung gewesen.

Indirekte Polemik

Patriarch Kyrill verurteilt die Vorgänge von damals, hält es jedoch für falsch, Stalin die Schuld für die Hungersnot zu geben. "Das ist ein gemeinsames Unglück unseres Volkes, das damals in einem einheitlichen Land gelebt hat", meinte er nach der Besichtigung des in Kiew aufgestellten Denkmals für die Opfer des Hungers, das er in Begleitung des ukrainischen Präsidenten Juschtschenko aufgesucht hatte. Der stimmte dem Urteil des Patriarchen zu, dass die Hungersnot eine gemeinsame Tragödie gewesen sei. "Die Ukraine beschuldigt Russland und das russische Volk nicht wegen dieser Katastrophe von 1932 und 1933." Eine Bemerkung, hinter der sich ganz offensichtlich eine indirekte Polemik gegen Kyrill versteckte. Der hatte mit Blick auf den Stalin-Hitler-Vergleich die Auffassung vertreten, es müsse "zwischen einem repressiven und einem menschenfeindlichen Regime unterschieden werden, obgleich die repressiven Regimes nicht zu rechtfertigen, sondern zu verurteilen sind". Kyrill führte zur Begründung an, dass die Nazis mehr als 30 Millionen Slawen vernichten wollten und gerade "die Sowjetunion die meisten Opfer auf den Altar der Befreiung des eigenen Landes und der ganzen Welt gelegt" habe.

Vernichtendes Urteil

Innerhalb der Russisch-Orthodoxen Kirche gibt es bis heute keine einheitliche Meinung zu Stalin und Hitler und ihrer Rolle im 20. Jahrhundert. Während Patriarch Kyrill solche Vergleiche während seines Ukraine-Besuchs vermied und sich auf die Verurteilung des Nazismus und des Stalinismus beschränkte, hat der orthodoxe Erzbischof Illarion von Wolokolamsk, Chef der Abteilung für außenkirchliche Beziehungen des Moskauer Patriarchates, erstmals in der modernen Kirchengeschichte ein vernichtendes Urteil über Stalins abgegeben.

Es läuft auf das Fazit hinaus: Dessen Regime sei menschenfeindlich gewesen – und Stalin selbst ein Ungeheuer, das ein schreckliches und unmenschliches Leitungssystem geschaffen und durch Lüge, Gewalt und Terror regiert habe. Stalin müsse einen Genozid am Volk seines Landes verantworten, er trage die Schuld für den Tod von Millionen Menschen. In dieser Hinsicht sei Stalin durchaus mit Hitler vergleichbar … Es gebe keinen wesentlichen Unterschied zwischen dem Gulag-System und Hitlers Vernichtungslagern, so Illarion.

Manche kirchliche Würdenträger haben diese emotional geladene Äußerung des Erzbischof sowohl von der Wortwahl her als auch wegen ihrers Stils kritisiert, der einem Diener der Kirche nicht angemessen sei. Ganz zu schweigen vom Vergleich Stalin – Hitler. Jedenfalls hat Patriarch Kyrill daraufhin der innerhalb der Russisch-Orthodoxen Kirche ausgebrochenen Diskussion – zumindest offiziell – ein Ende gesetzt.

Der Autor ist Kommentator bei der Agentur RIA Novosti in Moskau

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