Labours Harakiri

Grossbritannien Premier Brown marschiert straff in Richtung Opposition

Dass ihr dies einmal gelingen könnte, hatte bislang niemand für möglich gehalten, aber bei den Kommunalwahlen Anfang Mai schaffte die Labourpartei das schier Unmögliche, sie verlor ihre Mehrheit im Grafschaftsrat von Merthyr Tydfil. Über Jahrzehnte hinweg schien Labour dort unschlagbar - im Herzen der einstigen Bergbauregion von Südwales, in der Zechen Spitznamen wie Little Moscow trugen, der Streik der Miners gegen Margret Thatchers Privatisierungsprogramm (1984 bis 1985) am längsten dauerte und der lokale Labour-Abgeordnete 1997 fast 80 Prozent holte.

Überall in England und Wales stürzte die ehemalige Arbeiterpartei am 1. Mai 2008 ins Bodenlose. Gerade einmal 24 Prozent votierten noch für Labour-Kandidaten, die weniger Stimmen erhielten als die Liberaldemokraten (25 Prozent) und die Tories (44 Prozent). So schlecht hat Labour seit 1968 nicht ausgesehen. Und was sagt Premier Gordon Brown, dem viele das Debakel anlasten? Er habe verstanden, meinte er in einem Interview, und werde künftig versuchen, seine Politik besser zu vermitteln. Als ob es daran gelegen hätte.

Mit ihrer Weigerung, einen anderen, einen linken Kurs einzuschlagen, begeht die Labour-Spitze einen politischen Selbstmord auf Raten. Jetzt rächt sich der Denkfehler, dem Tony Blair und seine Berater aufsaßen. Indem man die Politik der Tories übernimmt und ihr Terrain - das wohlhabende Middle England - besetzt, so das Kalkül, könne man die Konservativen vor sich hertreiben. Die Rechnung mochte so lange aufgehen, wie reaktionäre alte Herren die Konservativen dominierten. Seit sich die Opposition modernisiert, seit sie nicht mehr in Thatchers rabiatem Gewand auftritt, ist eine andere konservative Gruppierung überflüssig geworden: der ausgelaugte, machtverwöhnte Regierungsapparat von New Labour.

Wer soll die Partei noch wählen? Die Gewerkschafter? Die sind so rechtlos wie zu Thatchers Zeiten. Der gesetzliche Mindestlohn, den Blair als Konzessionen an die Trade Unions eingeführt hat, reicht zum Leben schon lange nicht mehr. Die liberalen Intellektuellen? Die wehren sich mit Händen und Füßen gegen die zunehmende Überwachung und die vom Labour-Kabinett jüngst beschlossene Verlängerung der Untersuchungshaft auf sechs Wochen. Die Armen etwa? Denen hat Brown gerade auf 20 Prozent erhöhte Steuern verpasst, um die gesenkten Abgaben für Besserverdienende zu finanzieren. Das goutierte nicht einmal Middle England, an dessen Adresse die Botschaft gerichtet ist - dort gibt es noch ein Gefühl für Fairness.

Die Kriegsgegner hat Labour ebenfalls enttäuscht - ein Ausstieg aus der Kriegsallianz im Irak und in Afghanistan? Fehlanzeige! Stattdessen beschloss das Kabinett, die eigene Atom-U-Boot-Flotte zu modernisieren. Wo also könnte Brown die Tories herausfordern? Indem er ihnen vorwirft eine weitere Privatisierung von Bildung und Gesundheit zu planen? Labour tut seit Jahren nichts anderes. Indem er ihnen vorwirft, mit rigiden Maßnahmen gegen die Kriminalität Bürgerrechte aushöhlen zu wollen? Auch das hat Labour bereits erledigt. Indem er den Tories vorhält, zu wenig für Obdachlose zu tun? Noch nie wurden in Britannien so wenig Sozialwohnungen gebaut wie unter Labour. Es gibt nur eine kleine Schicht, die Blair und Brown dankbar sein kann - die Unternehmer und das Heer der Wirtschaftsberater. Die haben von unzähligen Private-Public-Partnership-Deals so grandios profitiert, dass sie bei der letzten Unterhauswahl unter der Hand zu einem Votum für Labour aufriefen.

Browns Strategie des "Weiter so" verheißt keine Rettung. Die Heckenschützen aus dem eigenen Lager haben sich schon postiert, weil viele Abgeordnete angesichts steigender Lebensmittel- und Energiepreise und der Immobilienkrise um ihre Wiederwahl fürchten. Nur wer sollte Brown ersetzen? Einer der smarten Blairisten, um den alten Kurs mit neuem Gesicht zu versehen? Eine Erneuerung dürfte Labour nur in der Opposition gelingen - die Partei ist ohnehin auf dem Weg dorthin.

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