Lächerliches Herumfummeln

Strukturfehler Der einstige SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine über eine Reform der Rentenversicherung, bei der alle Einkommen herangezogen werden

FREITAG: Während die Staatskassen durch die Zahlungen für die Rentensysteme angeblich überfordert sind, scheint für die Förderung von betrieblichen Pensionskassen und privaten Lebensversicherungen genügend Geld vorhanden. Diese »zweite« und »dritte« Säule wäre die Lösung aller Probleme, wird massiv suggeriert ...
OSKAR LAFONTAINE: Ich verstehe nicht mehr, wie man sagen kann, die kapitalgedeckte Versorgung des Alters, das ist nun die Lösung der Zukunft. Angesichts der Entwicklung in den USA! Angesichts des Niederganges der Pensionskassen in Großbritannien! Angesichts auch des Geldes, das die privaten Versicherungen in Deutschland verzockt haben - über 50 Milliarden Euro! Wie man da noch sagen kann: Das ist die Lösung! Dafür fehlt mir jegliches Verständnis!

Dass die Banken, die Versicherungen, die Industrie- und Handelskammer das ununterbrochen trällern, weil sie Geschäfte machen wollen, das kann ich ja noch verstehen, die haben ja auch die Riester-Rente in Deutschland in den höchsten Tönen gelobt, um dann nach zwei Jahren zu sagen: »Das funktioniert alles nicht!« Das Einzige, was für die kleinen Leute zuverlässig ist, das ist der Teil, der aus dem laufenden Volkseinkommen finanziert wird.

Aber dieser Teil ist angeblich unfinanzierbar.
Dazu ist grundsätzlich Folgendes festzuhalten: Die sozialen Sicherungssysteme, zu denen die Renten - oder wie sie in Österreich sagen: »Pensionen« - gehören, sind historisch gewachsen. Zu einer Zeit, als man beispielsweise unter Bismarck in Deutschland diese sozialen Sicherungssysteme aufbaute, ging es darum, die Arbeiter von der Sozialdemokratie fern zu halten und sie mit dem Staat zu versöhnen. Zu dieser Zeit hat man die sozialen Sicherungssystem über die Lohneinkommen - heute würde man Arbeitseinkommen sagen - aufgebaut. Aber ein solcher Aufbau ist heute anachronistisch. Wir haben heute eine Situation, in der die Vermögenseinkommen einen solchen Stellenwert bekommen haben, dass man - unabhängig, wo man politisch steht - einfach sagen muss: Wenn die Vermögenseinkommen einen solchen Stellenwert haben, warum beziehen wir sie nicht ebenfalls in die Finanzierung des Sozialstaates ein? Aber gerade die stellen wir von dessen Finanzierung frei - das ist doch regelrecht schizophren! Die Reform des Sozialstaates besteht also nicht im lächerlichen Herumfummeln, wie das jetzt in Deutschland und Österreich praktiziert wird, sondern darin, sich an Beispielen zu orientieren, die funktionieren.

Welche sind das aus Ihrer Sicht?
Da brauche ich gar nicht weit zu laufen. Gehen wir in die Schweiz. Dort haben interessanterweise die bürgerlichen Freisinnigen eine Reform zu Wege gebracht, bei der alle, die Einkommen oder Vermögen haben, auch in die Rentenkassen einzahlen. Alle! Auch der Vorstandsvorsitzende muss dort für seine willkürlichen Entnahmen aus der Betriebskasse in Millionenhöhe - meinem Verständnis nach kann das nämlich keiner verdienen, er kann es nur rauben - zu einem gleichen Prozentsatz wie alle anderen in die Rentenkassen einzahlen.

Ist das für Sie die Basis einer Reform?
Ja. Erster Grundsatz einer wirklichen Reform müsste sein: Alle, die Einkünfte haben, zahlen ein! Der Strukturfehler, dass die Wohlhabenden nicht einbezogen werden in die Finanzierung unseres Sozialsystems, muss dringend korrigiert werden. Dann - und erst dann - wäre ich auch bereit, über Änderungen zu reden. Wir wären ja verrückt, wenn wir auf Änderungen verzichten wollten. Aber zuerst müssen die Grundvoraussetzungen geschaffen werden. Wenn etwa im Beamtenbereich zu Tage tritt, dass das Pensionseintrittsalter nicht haltbar ist, dann muss man darüber reden, es systematisch anzuheben. Aber das ist nicht die erste Aufgabe der Reform!

Die Verwirklichung des Grundsatzes: Alle, die Einkünfte haben, werden zur Kasse gebeten, würde auf eine Art Grundsicherung mit einer Umverteilungskomponente von oben nach unten hinauslaufen?
Das stimmt. Aber der Fraktionsvorsitzende der Freisinnigen, mit dem ich in Basel diskutierte, bejahte sogar diese Umverteilungskomponente mit dem Argument: Darauf beruht unser sozialer Friede.

Das Gespräch führte Friedrich Keller


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