Stammtischgerede ist irritierend, weil es nicht nur aus grobschlächtigem und plumpem Argumentieren besteht, sondern gleichzeitig - meist unfreiwillig - auch aus bösen Pointen. Nach diesem Prinzip funktioniert Kabarett, und auch Leben bis Männer von Thomas Brussig baut darauf auf. Nur hat Brussig etwas mehr Raum - knapp 100 Seiten - beziehungsweise etwas länger Zeit - knappe eineinhalb Stunden - als ein Kleinkünstler, um seinen ostdeutschen Trainer so richtig ausholen zu lassen. Die lange Form tut dem Stammtischmonolog gut: Unterschiedliche Aspekte tauchen auf und verhindern eine ausschließlich verkrustete Klage: Die grusligen politischen Verhärtungen sind ebenso zu hören wie die konkrete und allgemeine Ausgrenzung von Frauen - außer
n - außer in ihrer Funktion als Sexuallockvogel - Überlegungen zu Fußball und dem Charakter ganzer Nationen und natürlich, sehr gerne, die Aufzählung der eigenen Trainer-Qualitäten. Brussigs Selbstbeschreibung eines Fußballfanatikers ist aber nicht nur unerträglich machistisch, sondern außerdem noch aus der Verliererperspektive des Ostdeutschen geschrieben. Wie die persönliche Leidensgeschichte des Trainers mit der seines gewendeten Landes verbunden ist, das ist schönste Brussig-Manier: die große Geschichte im Kleinen spiegeln und so das Groteske unauffällig zeichnen. Auf fußballerisch: Innerer Widerstand aufgrund sportlicher Niedrigstleistung. In diesem Stil verknüpfen kühne Assoziationen ein Thema mit dem nächsten - persönliches Schicksal und Zeitgeschichte, reflektiert und zusammengebracht in der Sprache des Fußballs. Doch es handelt sich eben nicht um bierseliges Gelalle. Brussig etabliert einen Rahmen und Themen, die in Variationen immer wieder auftauchen, und es wird ein überraschender Bogen gespannt zwischen der natürlichen Traineraussage "Fußball über alles" und seinem befremdenden Ausspruch: "Man müsste alle Bälle erstechen, die Stadien planieren und die Torpfosten schreddern." Aber leider gibt es diese Dramaturgie - oder besser: Regie nicht bei der Aufnahme der Lesung. Manfred Krug hält zwar 80 Minuten lang eine dynamische Spannung: er liest schnell und aggressiv und schreit sehr gern. Was dagegen fehlt, sind Variationen seiner Stimme, Pausen, eine veränderte Haltung, verschiedene Stellungen zum Mikrofon, kurz alle Mittel, die die fein verzweigten Strukturen und den erstaunlichen Bogen vom Ja zum Nein gestalten könnten. Das ist sehr schade, denn die halbfertigen Sätze, knackigen Bilder und mäandernden Übergänge von einem Thema zum nächsten sind für den mündlichen Vortrag geschrieben. Es scheint, als wurde an der falschen Stelle gespart: Anstatt sich mit dem Honorar für einen großen Namen zu verausgaben, hätte man besser in einen guten Regisseur investiert. Davon kann bei der Lesung von Christoph Dieckmanns Essays nicht die Rede sein, denn Dieckmann liest selbst, und bis auf einen Text, live vor Publikum. Christoph Dieckmann liest nicht besonders gut, seine Vortragskunst erfreut vor allem dann, wenn er Personen durch deren wörtliche Rede charakterisiert, also tief und etwas humpendumpf mit rollendem R den Wessi spricht, väterlich-jovial einen sehr überlegenen Arzt, hoch und näselnd die getreue Sekretärin des Stasi-Bürgermeisters. Ansonsten gibt es wenige Akzente in seinem Vortrag, auffällig zeugt sein helle Stimme vom Harz, was gerade auf die ernsteren Inhalte eine seltsame Wirkung hat. Liegt es schon im Geschriebenen, oder ist es diese Stimme, die ein evangelisches Pfarrhaus hinter den moralischen Aussagen aufscheinen lässt? Vor diesem Hintergrund scheint dann auch die Auswahl klug getroffen. Das wahre Leben im falschen ist eine Sammlung von Artikeln, die (fast) alle zwischen 1996 und 1998 in der Zeit erschienen sind, manche davon als Preisreden. Letztere zeichnen sich dadurch aus, dass Dieckmann sich nicht scheut, auch zu brisanten Themen sehr deutlich Position zu beziehen. Für die Hörbuchfassung wurden nur zwei solcher reflexiven Essays ausgewählt: Dieckmann spricht über die Bedeutung von Erinnerung für die Identität und vom Ort des Dichters, den er nicht in den großen Themen beziehungsweise Ideologien sieht, sondern im eigenen Leben. Von hier aus wird auch klar, warum seine Reportagen so gut funktionieren: Dieckmann traut sich, persönlich zu werden, eigene Alltagserfahrungen und Erinnerungen aus der Kindheit mitzuteilen. Selbst seine Pointen beziehen ihre Wirkung aus einer selten gewordenen Direktheit. Über Jens Weißflog, den international erfolgreichen DDR-Skispringer, heißt es: "Keinerlei Attitüden. Jens Weißflog ist die humane Antithese zu jenem Wesen, das die Deutschen Schumi nennen." Auch wenn dem Vorleser Dieckmann damit kein Gefallen getan wäre - ein bisschen bedauerlich ist schon, dass keiner seiner provozierenden Essays auf der CD enthalten ist. Wie Dieckmann zum Beispiel den Begriff der Zensur aufnimmt und für seine Belange neu definiert, das ist erstaunlich und spannend zu lesen - doch leider auf der CD nicht zu hören. Ein Dreiteiler ist die Vertonung von Isaac Babels Hauptwerk des im letzten Jahr verstorbenen Regisseurs Joachim Staritz. Vom Theater kommend, hat Staritz nie viel Wert auf technische Mätzchen gelegt, sondern auch im Hörspiel immer sehr auf die Schauspieler vertraut, auf den sparsamen Einsatz von Musik und Geräuschen. Das ist für Isaac Babels Geschichten-Kosmos aus einer, wie es scheint längst versunkenen Welt, ein sehr passender Zugang. Glücklicherweise sind nämlich nicht nur die Gräueltaten, Pogrome und Vergewaltigungen der Reiterarmee zu hören, sondern auch kleine Geschichten aus der Welt der Juden, der Bauern und der Pferdeliebhaber. Und hier wird klar, warum Babel einst Weltruhm erlangte: Seine Sprache, die Bilder, die er findet und seine Fähigkeiten, Probleme der Zeit, wie das Verhältnis von Religion, Revolution und Aufklärung darzustellen, sind enorm. "Ich fürchtete die Begegnung mit meinem Zimmergenossen, der nachts die behaarte Tatze seiner Schwermut auf mich zu legen pflegte. Zum Glück verlor Sidorow in dieser von der Milch des Mondes aufgerissenen Nacht kein Wort. Von Büchern umstellt, saß er und schrieb. Auf dem Tisch rauchte eine bucklichte Kerze - das unheilvolle Lagerfeuer der Träumer." Staritz hinterlegt diese nächtliche Szene mit Barockmusik, zu der ein Tenor singt, was an Italien gemahnt, das unerreichbare Traumland der gebeutelten russischen Revolutionäre. Überhaupt zieht sich eine leise Melancholie durch das ganze Stück. Der alte und der junge Erzähler sprechen verhalten, der eine mit einem fremdländischen Akzent, der andere mit entfremdeter Distanz. Die Musik schmettert mal militärisch, dann tönt ein verträumtes Klavier und schafft eine Stimmung, die vielleicht mit der beim Betrachten eines Chagalls zu vergleichen ist - nur dass hier noch eine Portion mehr trauriger Humor anklingt. Buch: Thomas Brussig: Leben bis Männer, Fischer Taschenbuch, 96 S., 10 EUR CD: Manfred Krug liest Leben bis Männer von Thomas Brussig, Roof Music, Vertrieb: Eichborn, 2 CDs, insg. ca. 82 Min., 18,40 EUR Buch: Christoph Dieckmann: Das wahre Leben im falschen, Christoph Links Verlag, 236 S., 14, 90 EUR CD: Christoph Dieckmann liest aus Das wahre Leben im falschen, 1 CD, 72 Min., Der Audio Verlag, 14, 90 EUR CD: Isaak Babel: Die Reiterarmee. Produktion MDR/ DeutschlandRadio, Regie: Joachim Staritz, Der Hörverlag München, 3 CDs, 32.- EUR
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.