Am 12. und 13. Dezember tagt in Peking die "Deutsch-chinesische Umweltkonferenz 2000" - veranstaltet von den Regierungen beider Staaten. Ein Thema wird der effiziente Umgang mit Energie und Wasser sein - für China inzwischen eine existenzielle Frage. Wassermangel und -verseuchung haben zu einer Versorgungskrise geführt, die ganze Regionen ist bedroht.
Bis zum Jahresende - so hat es die chinesische Regierung angeordnet - müssen alle Betriebe schließen, die nicht die staatlichen Umweltauflagen erfüllen. Lu Xinyuan, Direktor für Schadstoffkontrolle der Staatlichen Umweltschutzbehörde (SEPA) ist überzeugt, man werde dabei konsequent bleiben. Allerdings würden inzwischen 93 Prozent der 238.000 industriellen Umweltverschmutzer die geforderten Kriterien für den Ausstoß von Schadstoffen erfüllen. Lediglich in den Provinzen Guizhou, Sichuan, Ningxia, Jiangxi und der Inneren Mongolei sei man vielerorts hinter den Anforderungen zurück. Wenn heute noch 15.000 Betriebe vor allem der Metallurgie, Chemie, Kohle, Bau- und Leichtindustrie den Normen nicht gerecht würden, so sei dies auf Betrug und Eigeninteresse lokaler Behörden zurückzuführen. Die offizielle Angaben der SEPA kollidieren allerdings mit Beobachtungen nichtoffizieller Umweltschützer.
Der einst malerische Dianchi-See
Sanft abrollende Berge ringsum und in der Mitte ein See. Auf dem spiegelglatten Wasser dümpeln ein paar Boote in der Dezembersonne. Eine kleine Insel mit Fischerhütten. Ein Bild wie eine mit weichem Pinsel getuschte Landschaft auf den Rollbildern der Song-Dynastie. Der Guanting-Stausee ist nur eine gute Autostunde vom Platz des Himmlischen Friedens entfernt und liegt zu einem Drittel im nordwestlichen Pekinger Landkreis Yanqing und zu zwei Dritteln in der Provinz Hebei. Im Sommer kommen Touristen, die Boote mieten, in Jurten übernachten und ein Stück Wüste bestaunen - eine Düne aus feinem Sand, so groß wie vier Fußballfelder. Jedes Jahr wandert sie ein paar Meter. Oben werden gerade Einstellungen zu einem Abenteuerfilm abgedreht - am Fuße schippt ein Mann Sand in seinen Eselskarren, für den Hühnerstall.
Aber irgendetwas stimmt nicht an der Idylle. Die neuen Restaurants und Geschäfte an den Zufahrtsstraßen zum Seeufer stehen leer, die Fenster sind mit Ziegeln verschlossen. Die Fische, die Männer in Ölzeug am Ufer aus den Netzen klauben, sind winzig und sehen wenig verlockend aus. Ja, man könne sie essen, aber "das Wasser aus dem Stausee trinken wir schon längst nicht mehr". Bis zur Mitte der neunziger Jahre war der See die wichtigste Trinkwasserquelle für Peking, dann aber musste er aus dem Versorgungsnetz genommen werden. Die Schadstoffe, die der Yongding-Fluss und andere Zuflüsse einleiteten, lagen weit über den zulässigen Normen. Der Guanting-Stausee ist kein Einzelfall. Der Huangpu-Fluss, der bei Shanghai in den Yangtse fließt, ist trotz Millioneninvestitionen seit Jahrzehnten biologisch tot, weil stromaufwärts Chemiebetriebe, die Leder verarbeitende und die Papierindustrie Umweltgifte in die Wasserläufe leiten. Der einst malerische Dianchi-See - lange das Wahrzeichen von Kunming - in der Provinzhauptstadt von Yunnan ist längst zur Chemiekloake verkommen, in der kein Leben mehr gedeiht.
"Die Wasserverschmutzung in China wird immer schlimmer und nicht besser", sagt Qu Geping, Direktor des Komitees für Umweltressourcen beim Nationalen Volkskongress (NVK). "Alle Ausländer, die an den Dianchi-See kommen, schütteln den Kopf - so etwas haben sie noch nicht gesehen. Dabei sehen viele Gewäasser in China genau so aus. Wenn keine effektiven Maßnahmen ergriffen werden, kommen sehr schwierige Probleme auf uns zu."
Premier Zhu Rongji kümmert sich intensiv um eine präventive Ökologie. Hartnäckige Umweltsünder müssen nicht nur mit massiver, öffentlicher Kritik des Regierungschefs rechnen, sondern auch mit empfindlichen Strafen. Aber auch Zhu konstatierte im Sommer, es sei "nicht gelungen, die Verschlechterung (der Umweltsituation) unter Kontrolle zu bringen". Experten und Medien machen kein Geheimnis mehr aus den Ursachen für das Ökodesaster. Der Jahresbericht 2000 der Staatlichen Verwaltung für Umweltschutz stellt fest, dass 1999 40 Milliarden Tonnen Industrie- und Haushaltsabfälle ungeklärt in die Gewässer eingeleitet wurden - 600 Millionen Tonnen mehr als 1998. Chinas große Flüsse sowie viele Seen sind ganz oder teilweise schwer kontaminiert, darunter der Yangtse, der Gelbe Fluss (Huanghe), der Huaihe und der Songhe. Das Wasser im Umfeld der großen Städte ist sogar durchschnittlich zu 90 Prozent toxisch belastet, nur an wenigen Punkten konnte eine Verbesserung der Wasserqualität nachgewiesen werden.
Auch das Wasser am im Bau befindlichen "Drei-Schluchten-Staudamm" des Yangtse ist schwer verunreinigt, da große Mengen an Abfällen eingeleitet werden, heißt es in dem Bericht. Nach chinesischen Pressemeldungen gelangen derzeit allein in diesen längsten Strom des Landes jährlich 20,7 Milliarden Tonnen Industrie- und Haushaltsabfälle - 34 Prozent der landesweit ungeklärt in die Flüsse eingeleiteten Schadstoffe. Am Flusslauf befinden sich in 22 Städten knapp 400 Müllkippen, von denen ein Drittel nicht die staatlichen Normen für die Begrenzung toxischer Stoffe erfüllen. Im Ergebnis sind wenigstens 13 Prozent des 6.136 Kilometer langenStroms chemisch verseucht.
Ein schockierendes Beispiel ist in dieser Hinsicht Chongqing. Die Riesenstadt hat zusammen mit ihren Landkreisen über 30 Millionen Einwohner und produziert alljährlich 1,4 Milliarden Kubikmeter Abwässer. Von denen fließt der überwiegende Teil völlig ungeklärt oder nur mäßig aufbereitet in den Yangtse, der die Hauptwasserquelle für alle stromabwärts wohnenden Menschen darstellt. Schon heute liegt die Belastung des Flusses mit Stickstoff und Phosphaten weit über den in China zulässigen Grenzwerten. Ob es gelingt, bis 2010 die geplanten 30 Kläranlagen und 25 genormten Mülldeponien zu bauen, erscheint angesichts der Finanzlage vor Ort zweifelhaft. Die Zentralregierung hat Abwasserprojekte in Chongqing zu einem Schwerpunkt der Entwicklung in der Westregionen erklärt und bemüht sich um ausländische Investitionen für Klär- und Müllverbrennungsanlagen.
Marktwirtschaft - was denn sonst?
Die Auswirkungen der Giftstoffe auf die Lebensbedingungen stromabwärts sind oftmals erschütternd. In einem Report der in Hongkong herausgegebenen South China Morning Post von Anfang November wird das Dorf Badui am Gelben Fluss vorgestellt. Dort sind fast alle Einwohner gesundheitlich schwer beeinträchtigt, weil sie kontaminiertes Wasser trinken. Eine Düngemittelfabrik stromaufwärts leitet seit Jahren ihre Gifte ungeklärt in den Strom ein, so dass achtjährige Kinder aussehen wie zweijährige, viele nie sprechen lernen und die Eltern zumeist vorzeitig sterben. "Viele werden geisteskrank, taub oder blind, bevor sie sterben. Frauen haben häufig Fehlgeburten oder sie bringen tote oder behinderte Kinder zur Welt." Manager der Düngemittelfabrik räumen die Umweltgefahren zwar ein, versuchen sich aber herauszureden: Es gebe "keine wissenschaftlichen Beweise", dass die Gesundheitsschäden wirklich vom Wasser verursacht würden. Überdies seien die Bauern "faul und unvernünftig" und wollten nur Geld von der Fabrik.
China ist weltweit der größte Nutzer von chemischem Dünger und Pestiziden, wodurch große Mengen an Phosphor, Nitrogen und anderen Schadstoffen in das Grundwasser sowie Flüsse und Seen gelangen. Einem wirksamen Umweltschutz verhindern oft nicht nur knappe Finanzen, sondern auch Ignoranz, handfeste wirtschaftliche Interessen und nicht selten Korruption unter den Amtsträgern. Gerade die Mittel- und Kleinunternehmen, die als Verursacher schwerer Schäden schließen müssten, sind zumeist in der Hand lokaler Behörden, die mitverdienen. Unter Hinweis auf neue Arbeitslose im Falle einer Firmenliquidation werden die staatlichen Auflagen offen unterlaufen. Und die wenigen industriellen Entsorger kümmern sich nicht um die gefährlichsten Schadstoffe, sondern nehmen die Aufträge an, die am besten bezahlt werden. Marktwirtschaft - was denn sonst? Paradoxerweise tragen professionelle Umweltschützer oft selbst zur Ökokatastrophe bei: Weil die Gehälter für die Angestellten der Umweltschutzämter aus eingenommenen Strafen finanziert werden müssen, sind sie mehr am Abkassieren interessiert als an wirklichen Veränderungen oder der Schließung von Betrieben.
Die Regierung versucht vieles, um ein "öffentliches Umweltbewusstsein" zu wecken und investiert Milliarden. Anders als noch vor zehn Jahren engagieren sich auch immer mehr nichtoffizielle NGO und Einzelpersonen, und die Medien trommeln Alarm.
Wasser kostet fast nichts
Das Wasser wird nicht nur schlechter, sondern auch immer knapper. China befindet sich in der längsten Dürreperiode seit Jahrzehnten, so dass im laufenden Jahr in wenigstens 100 Städten das Wasser rationiert werden musste. Es ist ein volkswirtschaftlicher und ökologischer Irrwitz, dass alljährlich rund 1.000 Milliarden Kubikmeter Yangtse-Wasser größtenteils ungenutzt ins Meer fließen, während der Niederschlagsmangel im Norden zunehmend kritisch wird. Der Gelbe Fluss etwa erreichte 1999 an 200 Tagen nicht das Meer. Der Grundwasserspiegel in Nordchina ist seit 30 Jahren regional unterschiedlich zwischen 30 und 60 Metern gesunken. Obwohl der Mangel an Niederschlägen schwer wiegt, führen Experten die Krise dennoch vor allem auf Verschwendung, Misswirtschaft und Ignoranz zurück. Große Mengen versickern durch undichte Leitungsrohre - nach Angaben der Zeitschrift China International Business örtlich bis zu 40 Prozent.
Auf Golfplätzen, in den Autowaschanlagen und beim Bewässern der Grünflächen wird mit dem Wasser geaast, weil es fast nichts kostet. Die Industrie schluckt in China das Zehn- bis Zwanzigfache der vergleichbaren Menge in den entwickelten Ländern. In den Ballungsgebieten steigt der Wasserkonsum der Haushalte kontinuierlich stark an. In Peking beispielsweise ist der Grundwasserspiegel seit den sechziger Jahren um 60 Meter gefallen, allein 1999 um 2,6 Meter. Hier liegen die Pro-Kopf-Reserven bei nur noch 300 Kubikmeter - ein Drittel des chinesischen und ein Dreißigstel des Weltdurchschnitts.
Da bei den billigen Wasserpreisen kaum etwas zu verdienen ist, bleiben einheimische und ausländische Investoren in der Wasserwirtschaft aus. Die Kommunen aber haben kein Geld oder geben es da aus, wo schnelle und sichtbare Gewinne winken. Neue Rohrleitungssysteme tief in der Erde scheinen da wenig attraktiv. Nur langsam setzen sich jene durch, die das Wasser zur Ware machen wollen. "Das Wassergeschäft ist genau so wichtig wie das Ölgeschäft", sagt Gao Zhong, Pekinger Vertreter der französischen Gesellschaft Suez Lyonnaise Des Eaux. Verschwendung sei unvermeidbar, wenn das Wasser für die Haushalte nur zwischen umgerechnet 60 Pfennig und eine Mark im Monat und damit lediglich ein Prozent des Durchschnittseinkommens koste. Drei Prozent seien das Mindeste. Dann stiegen die Einnahmen für Investitionen und der Öffentlichkeit werde der Wert des Rohstoffs Wasser bewusst.
Chinas Wasserbedarf steigt indessen durch die zunehmende Industrialisierung weiter - nach Schätzungen der Weltbank im kommenden Jahrzent um etwa 60 Prozent. Damit steuert ganz Nordchina auf eine schwere Wasserkrise zu, die nicht nur Industrie und Landwirtschaft bedroht, sondern auch die Versorgung mit Trinkwasser gefährdet. Vor diesem Hintergrund will die Regierung nun das Projekt Nanshui Beisong auflegen, mit dem überflüssige Wassermassen des Yangtse nach Nordchina geleitet werden. Das bereits von Mao Zedong 1952 erwogene Vorhaben wurde immer wieder aufgeschoben, ist nun aber zur Chefsache geworden. Das spektakuläre Vorhaben ist Teil des 2001 anlaufenden 10. Fünfjahrplanes, Premier Zhu Rongji persönlich drängt auf Tempo. Über eine östliche, eine mittlere und eine Trasse von den Nebenflüssen des Yangtse auf dem Qinghai-Plateau sollen jährlich 50 Milliarden Kubikmeter Wasser nach Nordchina geleitet werden. Eine gewaltige technologische Herausforderung, da für die Kanäle und Pipelines große Höhenunterschiede zu überwinden und Tunnel durch die Berge gebohrt sowie Pumpstationen installiert werden müssen. Die ersten beiden umgerechnet 28-33 Milliarden DM teuren Bauabschnitte sollen bis 2008 abgeschlossen werden. Parallel dazu will die Regierung endlich marktwirtschaftliche Kriterien für den Wasserverbrauch einführen, damit die Ware Wasser nicht länger unter Wert "versickert".
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