Lange genug lautlos und dezent

Rot-Rot in Berlin - zum zweiten Als Referenzprojekt bleibt die Regierungsbeteiligung der Linkspartei eminent wichtig

Keine Frage, in Berlin erneut einen rot-roten Senat zu bilden, das ist durchaus ein Wagnis. Besonders für die Linkspartei, angesichts ihrer Stimmenverluste von neun Prozent in ganz Berlin und von über 20 Prozent in ihren Ost-Berliner Hochburgen sowie der bevorstehenden schwierigen Vereinigung von WASG und Linkspartei.PDS. Von den akuten Sparzwängen für Berlin ganz zu schweigen. Wirkt all dies nicht eher wie ein Plädoyer für fünf Jahre in der Opposition und einen Verzicht auf die Regierungsbeteiligung? Vielen erscheint dies als der einfachere Weg zur vereinigten Linken. Und die Versuchung, ihn zu gehen, mag auch im Berliner Landesverband spürbar gewesen sein.

Doch befände sich die Partei im Irrtum, sollte sie glauben, sich frei für das Eine oder das Andere - für Radikalopposition oder Regierungsverantwortung - entscheiden zu können. Bisheriges Erfolgsrezept der Linkspartei war stets die Verbindung von Protest und Pragmatismus. Der Rückzug auf eines von beidem hätte beträchtliche, möglicherweise verheerende Folgen, denn um ihre Regierungsfähigkeit nachzuweisen, bleibt es für die Linke entscheidend, dass sie - sofern sich die Gelegenheit dazu bietet - in einer Regierung umzusetzen versucht, was sie außerhalb dieser Verantwortung fordert.

Es ist doch nur legitim, das Programm einer Partei daran zu messen, ob und wie es praktisch Gestalt annehmen kann. Schon deshalb bleibt die Berliner Regierungsbeteiligung als letztes Referenzprojekt der Linkspartei so eminent wichtig. Würde sie nach der SPD-Absage in Schwerin auch diesen letzten Regierungsanker verlieren, geriete sie unweigerlich in eine Protestfalle, in der sie viele ihre Gegner gern verkümmern sähen.

Nach den Erfolgen der Rechtsradikalen in den vergangenen Wochen, dem Einzug der NPD in mehrere Bezirksverordneten-Versammlungen Berlins, war nicht selten das Argument zu hören, das Land Berlin brauche nun erst recht eine linke Protestalternative. Wenn die Marginalisierten schon Protest wählten, dann sei den bürgerlichen Parteien links allemal lieber als rechts - schon aus Gründen der nationalen Reputation.

Für die Linkspartei freilich würde sich ein solcher Weg als Sackgasse erweisen. Längst handelt es sich bei den vermeintlichen "Protestwählern" überwiegend um Personen mit einer anti-demokratischen bis rechtsextremen Einstellung. Als Partei - auch oder gar primär für dieses Potenzial - würde die Linke notgedrungen bei einem Wettstreit um das einfachste Weltbild landen. Von ihrem eigentlichen Ziel, der Etablierung einer modernen Linken jenseits der SPD, wäre sie damit weiter entfernt denn je.

Außerdem zieht angesichts der neuesten positiven Steuerschätzungen für den Berliner Landeshaushalt auch die Ausrede von der Unregierbarkeit nicht mehr. Im Gegenteil: Angesichts prognostizierter steigender Einnahmen müsste ein Rückzug vom Regierungsauftrag wie ein Offenbarungseid wirken.

Gefragt ist statt dessen eine klare Bestandsaufnahme der eigenen Fehler, die dem Wahldebakel vom 17. September zugrunde lagen. Dass die Linkspartei lautlos und dezent mitregieren kann, hat sie seit 2002 im Übermaß bewiesen. Den Beweis kreativer, gar visionärer Hauptstadtpolitik ist sie vorerst weitgehend schuldig geblieben. Umso mehr muss sie ihr Profil schärfen und eine konsistente Reformpolitik entwickeln - jenseits der Regentschaft des omnipräsenten Zeremonienmeisters Wowereit.

Wer weiß, ob dem großen Zampano mit dem Kulturressort im eigenen Hause wirklich gedient ist. Das katastrophale Medienecho deutet eher auf das Gegenteil. Bisher jedenfalls ist - wie sich nicht zuletzt aus der jüngsten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts herauslesen lässt - die Politik des Regierenden bar jeder visionären Aura, aber voller plakativer Werbesprüche. Um so mehr wäre es Aufgabe - und Chance - der Linkspartei, eine Reformpolitik zu entwerfen, die ihren Namen wirklich verdient. Nicht nur für die Hauptstadt, sondern mittelfristig auch für das ganze Land. Das hätte den Schaden davon, auf Dauer ohne wählbare linke Regierungsalternative zu sein - wie die anhaltende Abwanderung in Resignation, Politikabstinenz und Rechtsextremismus beweist. Schon um dieser Tendenz etwas entgegen zu setzen, bleibt eine regierungsfähige Linke für die demokratische Substanz der Republik unverzichtbar. Dies erkennbar zu machen, darin liegt die historische Bedeutung von Rot-Rot im Berliner Abgeordnetenhaus.


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