Last der Skrupel, Lust der Macht

Im Gespräch Thomas Ebermann, Mitbegründer der Grünen, über entsicherte Maschinenpistolen, Schmierenkomödien und den 25-jährigen Marsch in die Normalität

Das offizielle Geburtsdatum ist der 12. Januar 1980. In Karlsruhe entstand eine neue Farbe des politischen Spektrums: die Grünen. Bürgerinitiativen gegen Atomkraftwerke, linke systemkritische Gruppen und umweltpolitisch engagierte Bürger - das war der Nährboden einer Partei, die nach spektakulären Metamorphosen zu einem festen Bestandteil der Bundesrepublik geworden ist. In Hamburg gehörte Thomas Ebermann zu den Initiatoren der bereits 1978 gegründeten Bunten Liste. Von 1987 bis 1989 war er Mitglied des Deutschen Bundestages und ist im Jahr der Deutschen Einheit aus der Partei ausgetreten.

FREITAG: Was war damals das entscheidende Gründungsmotiv? Opposition ins Parlament, Marsch durch die Institutionen oder Bildung einer Partei neuen Typs?
THOMAS EBERMANN: Bei der Parteigründung waren Angehörige des deutsch-nationalen, abtreibungs- und gewerkschaftsfeindlichen Weltbundes zum Schutze des Lebens ebenso beteiligt wie Mitglieder des Kommunistischen Bundes, dem ich angehörte. Die konnten keine gemeinsamen Motive haben. Neu war damals ein gesellschaftliches Potenzial, das vom bestehenden Parteienspektrum nicht mehr abgedeckt wurde. Der Dreh- und Angelpunkt - wenn auch nicht der einzige Auslöser - war die Atomenergie, später dann die Nachrüstung. Radikale Linke, und jetzt spreche ich für die Motive des Milieus, aus dem ich kam, hatten Ende der siebziger Jahre ein sehr widersprüchliches Lebensgefühl. Einerseits eine fast euphorische Stimmung, etwa nach dem Motto: Wir können unsere Marginalität überwinden, uns Gehör verschaffen jenseits des linken Ghettos. Andererseits waren wir verunsichert. Wir hatten in Hamburg über 100 linksradikale Betriebsräte, die von Gewerkschaftsausschlüssen gebeutelt wurden. Und vor allem herrschte das Gefühl, dass es nach den Auseinandersetzungen um die Atomkraftwerke Brokdorf und Grohnde keine Steigerung der Militanz mehr geben konnte. Wir hatten zum ersten Mal in entsicherte Maschinenpistolen geschaut und haarsträubende Hausdurchsuchungen erlebt. Die Frage lautete also: Wo kann ich mich ohne diese massive Repression gesellschaftskritisch oder systemfeindlich betätigen? Rauf auf die Bühne, das Establishment aufmischen und gleichzeitig konstruktive Alternativen bieten - das war für mich und meinesgleichen wohl die entscheidende Motivation.

Aus der heutigen Sicht waren die Grünen damals nicht nur eine atom- und rüstungskritische, sondern auch mehrheitlich eine eher linke Partei.
Nein, auf keinen Fall. Man muss sich nur an das Spitzentrio aus der Gründungszeit erinnern. Dazu gehörten Baldur Springmann, ein Blut-und-Boden-Ideologe, und Herbert Gruhl, ein knallharter Marktwirtschaftler, der gegen das Sterben in der Dritten Welt nie einen Einwand hatte. Petra Kelly genoss eine Ausnahmestellung, sie wurde schon als neue Jeanne d´Arc gehandelt.

Nach der Gründung und bis weit in die achtziger Jahre hinein haben die Grünen dennoch ein deutliches gesellschaftskritisches Profil entwickelt, an dem sich auch das Verhalten ihrer Mandatsträger orientieren sollte.
Reaktionäre wie Springmann und Gruhl haben die Partei verlassen, als die Grünen die Streichung des § 218 und die 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich forderten. Zumindest die Linken waren sich von Anfang an bewusst, dass man sich im Parlament auf saugefährliches, verführerisches Terrain begibt. Die sehr niedrige Bezahlung der Parlamentarier, genannt Facharbeiterlohn, das imperative Mandat, also die verbindliche Festlegung auf die Wahlaussagen, und insbesondere die Rotation der Mandatsträger sollten dem entgegen wirken.

Sie selbst sind 1987 in den Bundestag eingezogen, durch Rotation dann 1989 wieder raus. Wie haben Sie diese Zeit in Bonn erlebt?
Zu diesem Zeitpunkt, 1987, war die Stimmung schon eine andere. Ein Bundesparteitag hatte bereits beschlossen, dass für die Grünen alle Optionen, von Alleinregierung bis Fundamental-Opposition, legitim sind. Das war zwar eine kokette und auch blödsinnige Formulierung, aber damit war klar: wir legitimieren auch Koalitionen. Ich selbst war in einer ganz knappen Abstimmung - 21 zu 20 gegen Otto Schily - so etwas wie Fraktionsvorsitzender geworden, gedrittelter Fraktionssprecher, wie wir das damals nannten. Eine wirklich bedeutende Rede habe ich allerdings nicht gehalten. Die strukturelle Mehrheit der Fraktion bestand bereits aus Realos, und die mussten zustimmen, wenn man zu wichtigen Fragen sprechen wollte. Vorher, in der ersten Hälfte der achtziger Jahre, konnte man in der Hamburger Bürgerschaft die Verhältnisse noch zum Tanzen bringen. Als Helmut Schmidt die Ehrenbürgerwürde verliehen werden sollte, haben wir dem ganzen Hamburger Bürgertum eine Feierstunde versaut. Nach meiner "Laudatio" auf den autoritären Charakter und Demokratiefeind Helmut Schmidt kamen Schmähbriefe und Morddrohungen. In die Hamburger Zeit fallen allerdings auch viel zu konstruktive, zu verantwortungsethische Reden. Die taugen nichts, nur die Aufmischerreden haben Bestand.

Waren in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre die radikalen Forderungen und die linken ParteisprecherInnen, wie Jutta Ditfurth und Rainer Trampert, schon nicht mehr Ausdruck einer sich verändernden Basis?
Aus der Geschichte der Sozialdemokratie wissen wir, dass so eine Art Parteitagsradikalität manchmal die realen Sehnsüchte der verspießerten Menschen kaschiert. Deshalb wurden manche Parteitage noch als Siege der Linken wahrgenommen. Was sich allmählich veränderte, war ja nicht nur die Partei, sondern auch die Gesellschaft. Die Demonstrationen und das radikale Milieu wurden schwächer. Ich halte nichts davon, Parteigeschichte in Abstraktion von gesellschaftlichen Vorgängen zu schreiben.

Von der Bewegungspartei zur Normalität - wie hat sich diese Mutation vollzogen?
Die Grünen waren zu keinem Zeitpunkt insgesamt eine Bewegungspartei. Aber es gab natürlich Einschnitte und Etappen. Irgendwann kam Otto Schily auf die Idee, dass auch die Grünen Befürworter des staatlichen Gewaltmonopols sein müssten. Dann haben wir Linken die Abwehrpapiere geschrieben. Vorher war es umgekehrt. Ein anderes Beispiel ist die Reaktion auf die damals sehr umstrittene Volkszählung. Plötzlich sagt die realo-grüne Prominenz, dass sie die Unterlagen ausfüllen werde, da die Volkszählung nun mal Gesetz sei. Oder nehmen wir die Schüsse während der Demonstration gegen die Startbahn West, die Erweiterung des Frankfurter Flughafens. Kurze Zeit später war es für einige schon selbstverständlich, gemeinsam mit der Polizei an einer Trauerkundgebung teilzunehmen. Ich erinnere mich an Podiumsdiskussionen mit Professor Johannes Agnoli. Der hat von Anfang an die Position vertreten, die institutionelle Zähmung der Grünen sei eine feststehende Tendenz. Und mir hat er prophezeit, dass ich schon bald die Grünen verlassen werde.

Ein weiser Mann.
Ich habe ihm natürlich widersprochen. Aber er hatte Recht. Für mich persönlich war 1990 Schluss. Der Gedanke, dass spätestens dann, wenn das Projekt der Grünen ein staatstragendes Ding wird, Leute wie ich dort nichts mehr zu suchen haben, war allerdings schon vorher präsent.

Ist später, in den neunziger Jahren, nur kenntlich geworden, was schon vorher angelegt war, oder hat sich die Mitgliederstruktur der Grünen nochmals erheblich verändert?
Anfang 1999 habe ich den Bielefelder Parteitag besucht, auf dem der Jugoslawienkrieg abgesegnet wurde. Die meisten Redner sprachen von ihrer innerlichen Zerrissenheit, von durchwachten Nächten, von ihren Jugendidealen. Eine einzige Schmierenkomödie. Die Jüngeren dagegen, die noch nicht die wirklichen Stars am Mikrofon waren, aber manchmal schon zu Wort kamen, waren eher entsetzt: "Meine Güte, ist das langweilig, wie ihr Alt-Achtundsechziger hier eure Gequältheit zelebriert. Natürlich sind wir für den Krieg. Was getan werden muss, muss getan werden. Deutschland ist doch erwachsen." Da habe ich so gedacht: Oh je, hier wachsen neue Mitglieder heran, die das Ritual, bei bestimmten Schweinereien wenigstens Skrupel zu zeigen, in ihrer Biografie gar nicht mehr kennen. In Bielefeld wurden die Schweinereien der Praxis und die Skrupel der Moral zum letzten Mal ins Verhältnis gesetzt. Seitdem hat es solche Aufführungen nicht mehr gegeben, und den Grünen ist es auch gelungen, eine Gesellschaftsschicht zu repräsentieren, die von so etwas sehr, sehr weit entfernt ist, die gar nicht wüsste, was das soll.

Dass die Aufbruchsstimmung vom Herbst 1998, der Beginn von Rot-Grün, in Militäreinsätze und Hartz IV mündet, hat Sie also nicht überrascht?
Das habe ich nachlesbar vorausgesagt. Mir war klar, dass zwei große Klippen - man könnte fast sagen Notwendigkeiten - des deutschen Imperialismus, nur von Rot-Grün gemeistert werden konnten. Zum einen die uneingeschränkte Kriegsfähigkeit. Volker Rühe, Verteidigungsminister der CDU, hat mal gesagt: "Wo die nationalsozialistische Wehrmacht gewütet hat, darf nie wieder ein deutscher Soldat seine Stiefel hinsetzen." Dieser Spruch, der heute geradezu radikalpazifistisch erscheint, wurde von Sozialdemokraten und Grünen zu Grabe getragen. Und die zweite Front, die Konservative nicht hätten schultern können, ist der skrupellose Abbau von Sozialleistungen.

Woran ist Rot-Grün gescheitert? Am Gegenwind? Am eigenen Unvermögen? Am unbedingten Willen zur Machtbeteiligung, der bereit ist, alle inhaltlichen Positionen zu räumen?
Rot-Grün ist nicht gescheitert, sondern hat vorbildlich funktioniert. In dem Begriff des Scheiterns läge eine völlig unzulässige Entschuldigung. Auch der so genannte Atomkompromiss, also das verbindlich geregelte Weiterlaufen der Atommeiler, ist eine Meisterleistung. Unter Rot-Grün sind die Armen ärmer geworden, ist die Zahl der Zwangsarbeiter, also derer, die zur Arbeit gezwungen werden, enorm gestiegen, und die Abschiebepolitik wurde radikal auf die Spitze getrieben.

Welches Gefühl beschleicht Sie heute, wenn Sie Fischer und Trittin, Bütikofer und Claudia Roth in persona oder auf der Mattscheibe erleben?
Ich sehe sie wie die Repräsentanten jeder anderen Partei auch. Mich plagen keine Reste enttäuschter Liebhaberschaft. Außerdem kenne ich den Weg, den die prominenten Grünen gegangen sind, aus meinem sonstigen Leben tausendfach. Alte Freunde aus der Zeit des Kommunistischen Bundes sind jetzt mittelständische Unternehmer. Wenn ich sie treffe und das Pech habe, dass wir ins Gespräch kommen, dann erzählen sie vom Anspruchsdenken der Angestellten und von zu hohen Lohnnebenkosten. Man soll nicht denken, Anpassung fände nur im Parlament statt. In Hamburg gab es vor 25 Jahren eine stattliche Zahl kollektiv geführter Arztpraxen, wo die Arzthelferinnen soviel verdienten wie die Ärzte. Von denen ist keine einzige geblieben. Adorno hat mal behauptet, wer die Ideale seiner Jugend verrät, wird mit vorzeitigem Altern bestraft. Wenn man sich all die humor- und phantasielosen Gestalten anschaut, bleibt einem zumindest dieser Trost.

Welche Konsequenz haben Sie aus der Entwicklung der vergangenen Jahre gezogen? Kabarett statt Partei - ist das die zeitgemäße Form politischen Handelns?
Ich bin jetzt Mitte 50, und 35 Jahre meines Lebens bin ich irgendwie ein Linksradikaler, davon acht, neun Jahre bei den Grünen, das ist also wirklich nicht das Ganze. Neben dem Kabarett, den satirisch-sarkastischen Lesungen mit Rainer Trampert, mache ich Vortragsreisen, die völlig frei von Pointen sind, und in einem Hamburger Theater namens "Politbüro" ein Literaturprogramm. Ich habe also nicht das Fach gewechselt. Aber irgendwann muss man die Lust an der Gesellschaftskritik vom Erfolg dieser Gesellschaftskritik abkoppeln. Alte Weggefährten denken dann, der hat sein Talent aber verschleudert und wissen, dass ich sie verachte.

Welche Zeichen der Hoffung sehen Sie noch?
Dieses wechselseitige Mutmachen, diese Melodie "Es hat erst angefangen, wir werden immer mehr" hat mehr Schaden als Nutzen gebracht. Wenn du dich linksradikal betätigen willst, weil du nicht anders kannst, weil das deiner analytischen Überzeugung entspricht, dann musst du dich damit anfreunden, dass dein Platz am Rande dieser Gesellschaft ist. Das ist der Normalzustand, von dem wir einmal dachten, ihn ein bisschen außer Kraft setzen zu können.

Das Gespräch führte Hans Thie


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