Lauschangriff 01/09

Musik Die Musik Robert Schumanns ruft für gewöhnlich Begeisterung hervor, Verzauberung, Herzflimmern. Oder Ablehnung und Unverständnis, aber kaum etwas ...

Die Musik Robert Schumanns ruft für gewöhnlich Begeisterung hervor, Verzauberung, Herzflimmern. Oder Ablehnung und Unverständnis, aber kaum etwas dazwischen. Es ist schwer, sich zurechtzufinden in der scheinbaren Ungezügeltheit des Angebots. Die schwärmerisch-melodischen Wendungen und harmonischen Gewagtheiten kommen im fremdelnden Ohr an wie Trübungen, seltsam. Man muss sie sich erhören, sie sind unerhört.

Auf Carolin Widmanns aktueller CD mit den drei Violinsonaten Schumanns kommt diese Musik daher wie in neuer Übersetzung. Als Neue-Musik-Spezialistin, sie spielt außergewöhnlich viele Uraufführungen, kann sich Widmann dem Material widmen, ohne den Klotz einer langen Interpretationstradition am Bein. Ihr musikalischer Alltag bestand bisher in Stücken wie Pierre Boulez´ Anthèmes, Salvatore Sciarrinos 6 Capricci, oder den Etüden ihres Bruders Jörg. Die drei Komponisten finden sich, zusammen mit Eugène Ysaye, auf Carolin Widmanns Debüt-CD. Kaum etwas ist da tradierten Formverläufen überlassen, mit jedem Takt wird die Musik neu erfunden, will entsprechend begriffen, gespielt, gehört sein.

Widmann verfährt nun ähnlich mit Schumann. Zusammen mit Klavierpartner Dénes Várjon springt sie in jeden neuen Takt wie in kaltes Wasser; die beiden rauschen mit Verve und Leidenschaft durch die drei Spätwerke. Die dritte Sonate, fast ein Jahrhundert lang als Hervorbringung eines geistig Umnachteten abgetan, haben Widmann/Várjon absichtsvoll in die Mitte der CD platziert.

Eine Musik, die immer wieder stecken bleibt, neuen Anlauf nimmt, um sich selbst kreist, im scheinbaren Leerlauf ungeahnte Energien sammelt, um der Resignation zarteste Lyrismen abzupressen, trifft hier auf eine Künstlerin, die nicht marktgerecht aus jedem Nebensatz eine triumphale Hauptsache machen muss. Im Gegenteil: Widmann belässt vorzugsweise dramatische oder empfindsam auftrumpfende Partien in schattenhaftem Pianissimo, entfaltet so auch eine bestrickende Ästhetik der Unscheinbarkeit.

Widmanns Ansatz ist Teil einer neuen Sicht auf Schumann, zu der auch der Hammerflügelspieler Andreas Staier mit seiner jüngsten CD beiträgt. Auf ihr sind klingende Belege versammelt für die lebenslange Bach-Verehrung durch Schumann, den musikalischen Zentralromantiker.

Der 20-jährige Schumann hat während der Pariser Julirevolution eine Vater-Unser-Persiflage ins Tagebuch notiert: "Unser gewesener König, der du bist ein Halunke, dein Name werde verwünscht." Der politische Schumann, sublimiert später auf teils recht verworrene Art im Romantiker, kommt freilich im schwer biedermeierlichen Schumann-Bild der globalisierten Klassikwelt so wenig vor wie der komponierende Bach-Jünger. Die Kenntnis und Bewunderung der so strengen wie poetischen Kunstordnung des Barockmeisters diente Schumann offenbar als Kompensation und Korrelat, ja im Spätwerk als Zielvorstellung eines die Überfülle des romantischen Musikideals überwindenden Aufbruchs ins Neue.

Schumanns Kinderszenen klingen bei Staier nicht nur anders, weil sie auf einem Érard-Flügel der Schumann-Zeit gespielt werden. Staier lässt, pianistisch hoch sensibel und geschmackvoll, die hohle Gemütlichkeit der uralt neuen Mitte auch hinter sich, indem er schon im Eingangsstück Schumanns Metronomangaben beherzigt. Er habe seine Hörgewohnheiten "in diesem fast allzu bekannten Werk" gern "über den Haufen" geworfen, bekennt Staier. Statt der gewohnten Spielweise, gedehnt und sentimental, tritt so - ermutigend fremd - das Fragmentarische und Sprechende der berühmten kurzen Skizzen hervor.

Carolin Widmann reflections I: Boulez, Ysaye, Sciarrino, Widmann. telos/Classic Center Kassel TLS 116; Carolin Widmann, Dénes Várjon Robert Schumann - Die Violinsonaten. ECM/Universal 2047; Andreas Staier Schumann: A tribute to Bach: Album für die Jugend. Sieben Clavierstücke in Fughettenform, Waldscenen, Kinderscenen u.a., Harmonia Mundi France HMC 901989.

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