Lauschangriff 1/03

Kolumne Andy Rourke, der einstige Bassist von The Smiths, spielt jetzt in der Band von Badly Drawn Boy. Nach dem Badly Drawn Boy Konzert vor kurzem habe ich ...

Andy Rourke, der einstige Bassist von The Smiths, spielt jetzt in der Band von Badly Drawn Boy. Nach dem Badly Drawn Boy Konzert vor kurzem habe ich ein Bier mit der Gruppe getrunken, und Rourke erzählte mir, dass seine Zeit mit The Smiths einen Schatten auf sein ganzes späteres Leben geworfen habe. Alles was er tut, wird für immer an The Smiths gemessen. Als seine glänzende "Karriere" mit einer der bedeutendsten Bands der Achtziger vorbei war, war er 22. Der Smiths-Schatten ist lang und unbarmherzig. Und Andy Rourke war nur der Bassist. Er schrieb nicht mal die Songs. Wie soll es da erst Morrissey und Marr ergehen?

Wir wissen, dass es Morrissey zumindest zwischenzeitlich gut gegangen ist. Sein Oscar Wilde-Charme sorgte dafür, dass wir ihn nicht vergaßen. Der Gitarrist Johnny Marr hatte es da schwerer. Während der fünf Jahre (1982-87), die The Smiths existierten, gab er nie Interviews. Immer stahl Morrissey ihm die Show. Johnny Marrs Persönlichkeit trat nicht nach außen. Man wusste nur, dass sein Gitarrenspiel ein gewisses Flair hatte. Man meinte, es sei eine Art "Spinnradstil", ganz ähnlich wie bei The Byrds. Als Solokünstler würde er es schwer haben. Das wusste er selbst am allerbesten, und deshalb vermied er das Thema Soloarbeit. Er wurde 1988 Gitarrist von Matt Johnson´s Band The The und stabilisierte damit die Karriere von Matt Johnson. The The gewann durch die Präsenz von Marr an Bedeutung. Alte Smiths-Fans hatten aber das Gefühl, das diese Jahre bei The The für Marr nicht wirklich von Bedeutung waren. Es war eine Nebenrolle, nichts "Richtiges".

War Electronic dann was "Richtiges"? Es war ein Projekt zusammen mit New Order´s Bernard Sumner, mit dem Hits wie Getting away with it (mit Gesang von Pet Shop Boys´ Neil Tennant) hervorgebracht wurden. Johnny Marr´s Gitarre war selten dominant bei Electronic, und trotz des Erfolges behielt die Gruppe immer etwas von einem Hobbyprojekt an sich. Bernard Sumner hätte sich allerdings nie von New Order getrennt. New Order ist wie eine alte Ehe, die bestehen bleibt, egal wie gut oder schlecht sie ist; irgendwann ist sie dann jenseits von Gut und Böse. Die Smiths-Karriere verlief dagegen ganz anders. "The Smiths war eine sehr kreative, aber sehr intensive und impulsive Band. Die Stimmung war immer sehr angespannt. Wir hätten niemals länger als fünf Jahre durchhalten können", sagte mir Johnny Marr in einem Interview. The Smiths ähnelte einer Liebesbeziehung mit Stunden voll dunkler Leidenschaft, die aber letztlich zum Scheitern verurteilt war. Und auch wenn Marr versuchte, Electronic ähnlich ernst zu nehmen, blieb es für Sumner doch nur eine Spielerei. Electronic konnte nicht von Dauer sein.

Wer so gut Gitarre spielt, findet immer Arbeit. Marr war stets ein gefragter Sessionmusiker. Er entdeckte und produzierte Bands wie Marion und Haven, und hat unter anderem mit Beth Orton und Lisa Germano zusammengearbeitet. Begriffe wie "Produzent" und "Sessionmusiker" klingen jedoch etwas deprimierend für einen Menschen, der einst als großes Licht seiner Generation galt. 20 Jahre, nachdem The Smiths ins Leben gerufen wurden, und 15 Jahre, nachdem sie sich getrennt haben, hat Johnny Marr nun endlich mal eine eigene neue Band gegründet, bei der er die Hauptrolle spielt. Johnny Marr and the Healers werden uns mit ihrem Debütalbum im Januar beglücken: Boomslang.

Das Album beweist Mut: Marr versucht also zum ersten Mal in seinem Leben, die Hauptperson zu sein, und übernimmt, auch zum ersten Mal, den Gesang. Mit 40 mit so etwas zu starten, ist nicht leicht. Das Healers Album ist nicht "The Smiths, Kapitel 2" und liegt auch sonst nicht im Geringsten im Trend. Marr hätte versuchen können, sich etwas vom neuen Indiesinger/Songwriterkuchen in der Art von Badly Drawn Boy oder Elbow abzuschneiden. Stattdessen bietet er heftige, melodische, psychedelische Klänge, die so eigenwillig und unkommerziell wirken, das man daraus nur schließen kann, dass er nicht davon leben muss. The Healers sitzen etwas unbequem zwischen der Mainstream- und der Alternativrockwelt.

Smiths-Platten verkaufen sich immer noch mit steter Regelmäßigkeit. "Jeder Student muss wieder ein Album in seiner Sammlung haben", meint Johnny Marr stolz. Die finanzielle Unabhängigkeit hat er vor Jahren erreicht. Wer Geld hat, hat auch Zeit. 15 Jahre hat Marr nach der schmerzvollen Trennung von The Smiths gebraucht, um Morrissey die Stirn zu bieten. Jetzt ist es was "Richtiges".

der Freitag digital zum Vorteilspreis

6 Monate mit 25% Rabatt lesen

Der Freitag im Oster-Abo Schenken Sie mutigen Qualitätsjournalismus!

Print

Entdecken Sie unsere Osterangebote für die Printzeitung mit Wunschprämie.

Jetzt sichern

Digital

Schenken Sie einen unserer Geschenkgutscheine für ein Digital-Abo.

Jetzt sichern

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden