Lauschangriff 11/02

Kolumne Seit ziemlich genau 211 Jahren ist sie die meist gespielte Oper weltweit. Ihr Schöpfer hat, todkrank und bis zuletzt zu Scherzen aufgelegt, den ...

Seit ziemlich genau 211 Jahren ist sie die meist gespielte Oper weltweit. Ihr Schöpfer hat, todkrank und bis zuletzt zu Scherzen aufgelegt, den beginnenden Hype noch miterlebt. Er hat sich, Celesta spielend oder vom Hammerflügel aus leitend, sogar an einigen Aufführungen beteiligt - im Vorstadttheater auf der Wieden, der Spielstätte mit der ostkurvenartigen Galerie voller pfeifender und johlender Fans. Kaum war Mozart tot, spielte man die Zauberflöte in Frankreich als Allegorie auf die Revolution. Die Königin der Nacht wurde zum Sinnbild der Regierung Ludwigs XVI., Tamino - und nicht etwa die Rousseau- und Voltaire-Nachgeburt Papageno - zum "Volk", der Männerbund der Eingeweihten mit seinem Aufsichtsratsvorsitzenden Sarastro mutierte zur Nationalversammlung.

Die Ungereimtheiten und Rätsel der Zauberflöte haben dazu geführt, dass sich seitdem jeder, der eine Botschaft loswerden wollte, dieser Oper bedient hat. Mit Ausnahme der Nazis. Die versuchten es. Indes war ihnen die Göttermusik des Wiener Klassikers offenbar nicht ganz geheuer, mit Recht. Denn den Eingeweihten zum Beispiel hat der engagierte Freimaurer Mozart zwar tief ergreifende Musik beigegeben. Zugleich erklingen die Menschheits-Arien Sarastros im - mozarthimmlisch gehöhten - Ton dermaliger Popmusik; die Tempelherren moralisieren stellenweise im Idiom frühbürgerlicher Tanzschuppen. Wer sich nichts vormachen lässt, kann erkennen, dass diese Monopolisten der Menschlichkeit, die im Stil neuzeitlicher Polit-Profis hehrste Humanität im Mund führen, de facto ausgemachte Frauenfeinde, Rassisten, Sklavenhalter, Kindsräuber und dergleichen mehr sind. "Wen solche Lehren nicht erfreu´n", singt Sarastro am Ende der Hallen-Arie, "verdienet nicht ein Mensch zu sein" - angesichts solchen Ausschlusses Andersdenkender aus der Menschheit könnte man allerdings auch reimen: "dem schlagen wir den Schädel ein".

So viele Deutungsvarianten es gibt, so unübersehbar ist mit über 100 Zauberflöte-CDs das Angebot im Katalog. Entsprechend der negativen Dialektik der hier bevorzugten Perspektive und analog zur Bedeutung der Zahl 3 in der Oper empfehlen sich drei Aufnahmen. Zuallererst die neu remasterte und im Niedrigpreis-Segment erhältliche Life-Aufnahme von den Salzburger Festspielen 1937. In ihr präsentiert der Antifaschist Arturo Toscanini das Stück als philosophisch-satirisches Lustspiel gegen Schwulst und Heuchelei. Willi Domgraf-Fassbaenders nonwienerischer, pfiffig-rheinischer Papageno darf hier als Lebensliebhaber und Realist, Gewaltgegner und Frauenfreund endlich einmal der real existierende Gegenentwurf zur Schein- und Machtwelt der Eingeweihten sein. Die Wiener Philharmoniker irritieren althergebrachte Gedankenlosigkeit mit nie gehört rasenden, bei Gelegenheit auch schmachtenden oder schwelgenden Tempi. Bühnengerumpel und Paukendonner der uralten Aufnahmetechnik wirken wie geschaffen für Mozarts Theatermusik sui generis, zu schweigen von der auf dieser CD noch einmal zu hörenden, längst untergegangenen Gesangskunst (2 CD NAXOS 8.110828-29).

Der Schwede Arnold Oestman entweihräuchert Mozarts Oper auf barocken Instrumenten mit vergleichbarer Absicht. Die Spielkultur des Drottningholm Court Theatre Orchestra und das Klangdesign des Tonträgers ist am Ende des 20. Jahrhunderts allerdings merklich delikater; die Königin (Sumi Jo) und Pamina (Barbara Bonney) überdies um Längen besser besetzt. Oestmans schlanke, zugleich farbenfrohe und affektgeladene Deutung lädt ein, den Stoff auch als Märchen zu hören, ganz im Sinn des Polystilisten Mozart, der, vom protestantischen Choral übers Fugato bis zum singspielhaft populären Strophenlied, die gegensätzlichsten Musik-Sprachen seiner Zeit zu vollendeter Einheit verschmolz (2 CD L´Oiseau Lyre/Decca/Universal 440 085-2).

Schließlich Wolfgang Sawallischs Münchner Studio-Produktion von 1973. Orchestral ähnlich rank, aber mit nur fast der gleichen Inspiration begnadet wie oben genannte Aufnahmen, dürfte sie mit Sangesgrößen wie Kurt Moll, Peter Schreier, Edda Moser und Anneliese Rothenberger allerdings auch schwerpunktmäßige Stimmfreaks tief befriedigen ( 2 CD EMI 7 478278 8).

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