Lauschangriff 12/07

Musik-Kolumne Gutbürgerliche Engländer beschweren sich gerne und häufig über asoziales Verhalten von Jugendlichen in den sozialschwächeren Gegenden der britischen ...

Gutbürgerliche Engländer beschweren sich gerne und häufig über asoziales Verhalten von Jugendlichen in den sozialschwächeren Gegenden der britischen Großstädte. Man muss sich dort nicht viel zu Schulden kommen lassen, um eine "ASBO" (Anti-Social Behaviour Order) zu erhalten, eine Verwarnung wegen antisozialen Verhaltens. So gut wie vorbestraft, ein Stigma für den Rest des Lebens. Paradoxerweise gibt es auf der gleichen Insel eine lange Tradition von "Chaoten"-Rockbands, die gefeiert werden.

Diese Tradition von anti-social behaviour begann 1964 mit The Who, ging weiter mit Punks wie den Sex Pistols, in den achtziger Jahren kamen im Rahmen der Raves die animalistischen Happy Mondays dazu, in den Neunzigern hieß das raue Gesicht des Britpops Oasis, etwas später gab es die kurzlebigen Libertines. Die Arctic Monkeys sind die einzige der jüngeren Bands nach den Libertines, die mit Oasis im kommerziellen Sinne konkurrieren könnten. Obwohl sie aus der traditionsreichen Arbeiterstadt Sheffield kommen, ist ihr Image im Vergleich zu Oasis allerdings lieb und nett und sozial, die Persönlichkeiten der Bandmitglieder sind zu blass, um gegen die der Gallagher-Brüder anzukommen.

Aber nun gibt es neue Hoffnung: The Twang aus Birmingham. Das Debütalbum Love it when I feel like this erscheint hierzulande erst am 12.Oktober. In Großbritannien wurde es vor ein paar Wochen veröffentlicht und ist auf Platz 15 der Charts eingestiegen. Das ist zwar nicht rekordverdächtig, aber doch ungewöhnlich für eine erste Platte von fünf Jungs, die aussehen, als ob sie noch die Schule schwänzten. Angeblich waren die Musiker von The Twang Fußballhooligans in ihrer "vergeudeten Jugend", also oft an Schlägereien in Birminghamer Bars beteiligt. Seitdem haben sie auch medial keine Gelegenheit ausgelassen, um deutlich zu machen, wie ungebändigt, spricht anti-social sie sind. Sie saufen, nehmen Drogen, und ihre Hormone sagen ihnen, dass sie geil sind. Vielleicht stimmt das, vielleicht übertreiben sie. Es ist egal, solange´s nur dem Image dient. Dann bräuchten wir noch gute Songs, um eine neue britische Arbeiterklasseband präsentieren zu können. Und das ist vielleicht die Überraschung, die sich hinter dem Hype verbirgt: Die Musik von The Twang ist fast zu gut, um wahr zu sein. Beinahe jedes Stück könnte als Single ausgekoppelt werden. Der Gitarrensound von Martin Saunders klingt wie eine Mischung aus dem Glockenspiel-Stil von U2s The Edge und dem schlichten Großstadtblues von Noel Gallagher. Die Rhythmussektion hat einen natürlichen, tanzbaren Instinkt für Funk und Reggae. Weshalb The Twang in England prompt mit den sogenannten Baggy-Ravebands der Achtziger verglichen wurden wie den Happy Mondays und Stone Roses. Die Songs sind episch, ja, hymnenartig, und schaffen es doch, ihre punkige Bodenständigkeit zu behalten. Von gesundem Selbstbewusstsein kündet das Eröffnungsstück Ice Cream Sundae, in dem unbescheiden und großkotzig klar gemacht wird, dass die Zeit reif ist für The Twang. Der Birminghamer Akzent von Sänger Phil Etheridge sorgt dabei für leichtes Befremden, obwohl man den Dialekt beim Sprechgesang, etwa von Mike Skinner aka The Streets (der auch aus Birmingham stammt und das Twang-Stück Either way gemixt hat), als adäquaten Straßensound empfindet. Bei Etheridge von The Twang geht es ebenfalls darum, die richtige Herkunft unter Beweis zu stellen: "Feel like my teeth are falling out, from all the gibberish that´s been pouring out of my mouth", singt er auf der Single-Auskopplung Wide awake. Angeblich bereut er den Unsinn, den er oft erzählt hat. Dann wäre er im Vergleich zu den Gallagher-Brüdern schon ein weiser Mann, nicht wahr?

Vielleicht ist das Album von The Twang zu glatt produziert, aber auf diesem Feld kann man nicht gewinnen. Wäre es eine Low-Budget-Indie-Produktion geworden, hätte der Vorwurf auf überschätzte Indie-Loser geheißen. Der einzige Nachteil des neuen "Chaoten"-Rock-Hypes könnte nur darin bestehen, dass The Twang nicht so hübsch wie Oasis sind. Sie haben keinen Glamour. Vielleicht können 15-jährige Mädchen das aber auch besser beurteilen als ich.

The Twang auf Deutschlandtournee: 7. September Köln (Prime Club), 8. Hamburg (Knust), 10. Berlin (Lido), 14. München (Atomic Cafe).


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