Lauschangriff 12/08

Musik Bevor es so richtig losgeht mit Joseph Haydns Oratorium Die Schöpfung, erreicht das Werk bereits einen Höhepunkt. Denn als der liebe Gott sich ...

Bevor es so richtig losgeht mit Joseph Haydns Oratorium Die Schöpfung, erreicht das Werk bereits einen Höhepunkt. Denn als der liebe Gott sich anschickte, die Welt zu erschaffen, gab es, bei Licht besehen - einem Licht, das noch nicht da war -, eigentlich nur ihn, den lieben Gott. Haydn unterzog sich am Beginn der Schöpfung der mühseligen, am Ende aber dankbaren Aufgabe, das Nichts zu komponieren.

Das c-Moll, in dem das geschieht, erscheint in der Tat düster und dissonant. Auf den Barockinstrumenten der französischen Originalklangkapelle Les Arts Florissants klingt das Nichts ungemein farbig, räumlich und durchsichtig - und so modern wie das Wort "Nichts". Zu Musik geworden ist in diesem Vorspiel im Nichts nicht allein das nicht Vorhandene. Auch dessen Schöpfer, für den Katholiken Haydn war das unzweifelhaft der Gott der Christenheit, wurde zu Musik. Allerdings nicht im Ton der katholischen Messe. Angeregt von Händels Oratorien hatte Haydn für Die Schöpfung einen neuen Tonfall gefunden, einen, in dem man von Anbetung oder gar Jubel wenig spürt, von beschreibender Neugier und Freude am Bilden und Abbilden dagegen viel.

In den Ohren und im Bewusstsein eines Nichtkatholiken des dritten Jahrtausends mutet diese Art Gottesbeschreibung wie ein Selbstbildnis an: In ihm, Haydn, war der Mensch zum Schöpfer geworden. Allerdings nicht des Himmels und der Erde. Immerhin aber der Entstehung einer musikalischen Welt voller Licht und Wasser, Erde und Leben. Der Schöpfer hatte das leere Blatt Notenpapier gefüllt. Und er sah, dass es gut war.

Haydn und seiner Zeit galt das Nichts als Chaos. Er bedankte sich in einem Brief vom Februar 1804 bei Friedrich Zelter, Goethes musikalischem Gewährsmann, für dessen "wahre Zergliederung meines Chaos." Zelter hatte Die Schöpfung in einem Artikel für die Leipziger Allgemeine Musikalische Zeitung wohlwollend analysiert, ihm war das Paradox der gestalteten Ungestalt nicht entgangen. Für Zelter war es "das Wunderbarste aller Welt, indem durch ordentliche, methodische, ausgemachte Kunstmittel ein - Chaos hervorgebracht ist, das die Empfindung einer bodenlosen Unordnung zu einer Empfindung des Vergnügens macht."

Haydns Opus Summum (er hat mehrere komponiert) lebt nicht nur von dem Widerspruch. Was kurze Zeit zuvor seinem Freund Mozart in der Zauberflöte gelungen war - das Widrige zusammenzugießen (Goethe) und auf rätselhaft vollkommene Weise das Gelehrte, Kunstvolle, den hohen Ton zu verbinden mit dem leicht Fasslichen - in Die Schöpfung ist es auch Haydn gelungen.

Die Hervorbringung von Himmel und Erde als erster Schöpfungstat, zieht die zweite nach sich: In einer poetisch wunderbar verschwurbelten Wendung - "und Finsternis war auf der Fläche der Tiefe" - wird dem Schöpfer klar, dass er bis dahin nichts sehen kann. Einer der drei als Gottes Sprecher fungierenden Erzengel zitiert das Licht herbei, auslegbar als Apotheose der Aufklärung. In majestätisch leuchtendem C-Dur bricht es hervor. Wenig später glitzern die Sterne am Firmament, die Sonne steigt strahlend herauf. Die Musik, die eben noch - reich und plastisch instrumentiert, in transparent-federnder Dynamik artikuliert - Natur geschildert hatte zur Freude aller Kinder unter den Hörern, erhebt sich nun zum metareligiösen, quasi natürlichen Gestus von Erhabenheit.

In den Soli und dramatischen und lyrischen Ensembles der CD wird vortrefflich gesungen. Die Orchesterinstrumente, besonders die Bläser in Holz und Blech, lässt Haydn in der Schöpfung noch pointierter und sinnvoller konzertieren als in den kurz zuvor entstandenen Londoner Sinfonien. Dem US-amerikanischen, in Frankreich lebenden Dirigenten William Christie ist es in dieser weit übers Gros konkurrierender Aufnahmen hinausragenden Einspielung gelungen, die Empfindung zu wecken von Herz erwärmend Kostbarem.

Joseph Haydn Die Schöpfung. Kühmeier, Spence, Henschel, Karthäuser, Werba, Les Arts Florissants, William Christie; virgin classics/EMI 3952352

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