Lauschangriff 13/06

Musik-Kolumne Große Plattenfirmen sind dafür bekannt, dass sie zu Künstlern auf Abstand gehen, die sich nicht gut verkaufen. Auf diese Weise werden manche Bands ...

Große Plattenfirmen sind dafür bekannt, dass sie zu Künstlern auf Abstand gehen, die sich nicht gut verkaufen. Auf diese Weise werden manche Bands dazu gezwungen, ihre Platten auf Independent Labels zu veröffentlichen, und zwar nicht aus Überzeugung, sondern weil sie keine andere Wahl haben. Bei Snow Patrol lief es alles ein bisschen anders. Sie wurden nämlich nach ihren ersten zwei Alben von einem Indielabel, Jeepster, gefeuert! Ganz überraschend bekamen sie ein Angebot vom großen Konzern Polydor, und ihr drittes Album Final Straw wurde ein Hit, hauptsächlich wegen des Erfolges der "Feuerzeug in der Luft"-Hymne Run. Es war ein schöner Song, aber eben ganz schön melodramatisch. Viele Leute sind bei solchen Titeln grundsätzlich misstrauisch, und es wird Bands unterstellt, dass sie ihre Integrität damit aufs Spiel setzen. Man sollte berücksichtigen, dass Run nicht unbedingt ein repräsentatives Stück von Final Straw war. Viele der Songs waren deutlich subtiler als Run, und sogar so extrem eingängige Stücke wie How to be dead und Spitting Games klangen eher nach Indiepop als nach Classic-Rock. Ich kann mir darüber hinaus gut vorstellen, dass Run als Indieklassiker in die Geschichte eingegangen wäre - wenn Snow Patrol bei Jeepster Records geblieben wären. Es ist nun mal leider unhip, wenn der Postbote das Kult-Lied auf seinem Weg zum Briefkasten singt und sogar Fußballfans es kennen. Die Elitären haben sich also schon 2003 von Snow Patrol verabschiedet.

Das neue Album Eyes Open kam in Großbritannien augenblicklich auf Platz Eins der Charts. In anderen Ländern wird der Erfolg etwas bescheidener ausfallen, aber etabliert ist die Band durchaus. Der Sänger Gary Lightbody hat seinen Kollegen Mark McLelland, mit dem er die Band vor zehn Jahren in Belfast gründete, mittlerweile vor die Tür gesetzt. Sie waren angeblich unzertrennlich. Für McLelland ist das gewiss bitter, weil Snow Patrol erst jetzt mit diesem neuen Werk den großen Erfolg feiern werden. Der Grund für den Streit ist nicht bekannt. Allerdings ist klar, wer in der Band das Sagen hatte: Lightbodys Stimme ist das Kapital der Gruppe. Ohne ihn gäbe es keine Snow Patrol. McLelland wird sich wohl nun bald wie der Ex-Beatle Pete Best fühlen.

Lightbodys großer Held ist übrigens Lou Barlow von Sebadoh. Ich vermute zwar, dass er sich in Zukunft eher auf den Aftershowparties von Coldplay und U2 rumtreiben wird als auf denen von Lou Barlow, dennoch singt Lightbody immer noch wie sein Vorbild, nur etwas extrovertierter. Trotzdem beherrscht er es perfekt, verwundbar zu klingen. Wenn man ihn hört, glaubt man fast, er wolle sich ständig bei Frauen entschuldigen dafür, dass er nicht nett genug ist, oder nicht stark genug. Sexismus kann man ihm bestimmt nicht vorwerfen. Die Schuld sucht er immer bei sich. Die Thematik seiner Lieder kann allerdings kaum streng autobiographisch sein, weil es permanent um gefühlvolle Beziehungen und verbitterte Trennungen geht, so wie beim Lied Make this go on forever, wo er singt: "And we should spend some time apart for both our sakes". So viele Freundinnen kann er mit seinen jungen Jahren einfach nicht gehabt haben. Dabei haben sie sogar einen Chor für den Song engagiert, um die Verbitterung zu betonen! Es soll das epische Mittelstück des Albums werden, aber mit sechs Minuten Spielzeit ist es doch eher langatmig.

Das Songwriting des Albums ist jedoch überwiegend beeindruckend. Skeptiker äußerten Zweifel daran, dass die Gruppe einen Song wie Run nie mehr im Leben übertreffen könnte, dass so etwas ein Schatten sei, über den sie nie springen könnten. Chasing Cars stellt den Versuch dar, Run Teil II zu schreiben, und die Überraschung ist, dass es ihnen wunderbar gelungen ist. Das Lied klingt verschieden genug, um nicht wie eine grobe Kopie zu wirken, und ist mit Abstand das größte "Hitstück" der Platte.

Bilde ich mir nur ein, dass Lightbody´s Texte flach sind im Vergleich zu den alten Platten? Wird er jemals wieder so intensiv klingen wie auf dem Stück One night is not enough vom zweiten Album When it´s all over, we have to clear up? Oder bin ich nur ein missgünstiger alter Indierock-Pedant, die Sorte, die es nicht schafft, auf einer Betriebsfeier zu tanzen?

Snow Patrol spielt am 25.06 im Rahmen des Hurricane Festivals in Scheeßel. (Siehe www.hurricane.de).


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