Lauschangriff 14/03

Kolumne Seit Jahren befindet sich die Schallplattenindustrie im freien Fall. Das Kopieren kommerzieller CDs per Brenner und das technisch immer einfachere ...

Seit Jahren befindet sich die Schallplattenindustrie im freien Fall. Das Kopieren kommerzieller CDs per Brenner und das technisch immer einfachere Herunterladen von zwar illegal, aber kostenlos im Internet verfügbarer Musiksoftware (Napster) lässt den Absatz - und analog dazu die Qualität des Krisenmanagements - auf immer neue Tiefstände sinken. Der Markt, als wüssten wir´s nicht längst, beweist auch hier wieder: Statt es zu lösen, verschlimmert er das Problem. Denn längst hätten die fünf Branchenriesen sich auf praktikable legale Online-Vertriebswege für ihr Angebot einigen und damit zumindest den möglichen nächsten Schritt in die Zukunft ihrer Branche weisen können. Konkurrenz und Habgier - als marktwirtschaftliche Treibmittel sonst unabdinglich - verhinderten es.

Nun hat der, schon früher nicht auf den Kopf gefallene, Apple-Chef Steve Jobs den Internetvertrieb Music Store geschaffen, in dem man über das Apple-Programm iTunes auf eine Musikbibliothek stößt, die bald mehrere Millionen Titel umfassen soll; sie stammen alle - Jobs ist ein Verhandlungsgenie - aus den Pipelines der fünf Majors. Derzeit ist der Fundus nur US-amerikanischen Macintosh-Nutzern zugänglich, die sich seiner bereits über drei Millionen Mal bedient haben. Nicht mehr lange, und auch diesseits des Atlantik kann man die einzelnen Downloads, für 99 Cents pro Track, per Kreditkartenzahlung auf die eigene Festplatte bannen. Für PC-Nutzer - immerhin 97 Prozent der Computerkundschaft - soll der Store ab Ende des Jahres offen sein.

Ab wann enthält er auch Klassik-Produktionen? Die Welt von Bach und Brahms hatte an den titanicmäßig sinkenden Umsätzen der Branche über die Jahre einen Anteil von um die 8 Prozent. "Also weg damit!", sagten sich, komplett frei von Kulturskrupeln, die Major-Chefs. Einzig die Universal (Deutsche Grammophon, Decca, Philips), von ständigen Besitzerwechseln geplagt, macht noch eine leidliche Figur; die einst blühende EMI welkt dahin; Sony, BMG und Warner Classics (Teldec, Finlandia) führen nur mehr eine Art Scheinexistienz. Ob der Apple-Music Store das Geschäft auch für die Klassik wieder interessant machen kann, hängt von ihrer Download-Gebühr ab. Die wird bei den bis zu 40-minütigen (Bruckner, Mahler) Klassik-Tracks mehr als 99 Cents kosten. Wie im Pop-Bereich läge der Preis für ein Album - nebenbei, eine Warenform, deren Weiterleben unter den neuen Bedingungen unsicher ist - nicht allzu weit weg vom heutigen Preis einer Laden-CD.

Von der Situation profitieren fürs Erste die kleinen, noch auf herkömmliche Weise arbeitenden Labels und Vertriebe. Sie haben weder die Kosten, die ein riesiger Produktionsapparat verursacht, noch einen unsittlichen Haufen unersättlicher Shareholder im Nacken und nutzen den Umstand, dass, wie in anderen Märkten, auch ein Teil der Klassik-Kundschaft bereit und in der Lage ist, für echte Luxusware einen hohen Preis zu zahlen. Projekte wie zum Beispiel die - zeitgenössischen Ohren höchst kompatible - Gesamtaufnahme des bachschen Kantatenwerks begannen bei Warner und wurden dort abgewürgt. Ihr Spiritus Rector, der niederländische Dirigent Ton Koopman, gründete daraufhin eine eigene Produktion, kooperierte mit dem Label Channell Classics und konnte dergestalt weiter machen. Das Volume 13, musikalisch springlebendig, sängerisch und instrumental auf kleinstem Raum besetzt, führt die Serie fort. Gleichzeitig kommen die bislang bei Warner erschienenen 12 Folgen Stück für Stück und versehen mit kompetenten, sorgfältig aufgemachten Booklet-Informationen bei Challenge neu heraus (Amsterdam Baroque Orchestra Choir; Challenge Classics/Note 1; 3 CD; CC 72213).

Ästhetisch und inhaltlich luxuriert auch die Aufmachung der CDs des Münchner Edel-Labels Winter Winter. Dessen Produkte glänzen zudem mit dem Konzept einer auf Höhe der Musik dokumentierten Aura des Aufnahmemoments. Kostbar und rar auf der neuen CD das Repertoire: Italienische Musik von 1630, Frescobaldi, Monteverdi u.a. Geige und Menschenstimme, Orgel, Cembalo und Harfe - 75 Minuten Konzentration auf Schönheiten, deren Sparsamkeit eine Poesie gebiert, die vielleicht die Poesie der Kirche Santa Maria di San Nicola, Almenno San Salvatore ist (W /Edel Klassik 910 091-2).

Wird in der nächsten Ausgabe fortgesetzt

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