Lauschangriff 14/08

Musik Es war ein Familientreffen, und zwar eines der besseren Art. Vordergründig präsentierte sich die "jazzahead", die im April in Bremen zum dritten Mal ...

Es war ein Familientreffen, und zwar eines der besseren Art. Vordergründig präsentierte sich die "jazzahead", die im April in Bremen zum dritten Mal stattfand, als Festival mit Konferenz mit Messe, die wiederum in erster Linie den Export junger deutscher Musik fördern soll. Doch schnell trat die Musik in den Hintergrund. Notwendig zwar, aber: Hintergrund. Auf den Fluren und Podien, in den Veranstaltungsräumen und Konzertsälen, tagsüber an den Messeständen und abends vor der Fernsehübertragung des DFB-Pokalendspiels tummelten sich Musiker, Produzenten, Veranstalter, Labelvertreter, Promoter, Verleger, Journalisten aus Print und Funk und sonstwie zum Betrieb Gehörende und genossen es, relativ zwanglos miteinander ins Gespräch zu kommen. Geistige Verwandtschaften n-ten Grades, Bekannte, die man noch nie gesehen hatte, Gesichter zu Stimmen, die man nur vom Telefon, zu Namen, die man nur als Unterschrift kannte. Die deutsche Jazzszene beim Knüpfen von Netzen. Das Netzwerken ist die Parole der Zeit in einer Musik, in der das alte Geschäftsmodell gerade zu Staub verfällt und der es ohnehin an kommerziellem Potential mangelt. Und die gerade deshalb immer wieder zu kreativen Ideen anregt. Musikalischen und außermusikalischen Ideen. Ideen wie der jazzahead selbst.

Interessanter als die Anwesenden sind bei Familientreffen häufig die, die fehlen. So war das auffälligste Zeichen der jazzahead 2008 die Abwesenheit der Musikindustrie. Während Dutzende von kleinen und kleineren Labels auf diesem Treffen ihr Schaffen zwischen Konvention und Innovation vorzeigten, während im Rahmen des angeschlossenen "German Jazz Meeting" zwölf verheißungsvolle junge Bands ihre Musik vorstellten und damit die enorme Breite relevanter musikalischer Standpunkte nachwiesen, fehlten die großen Vier der Branche, die Warners, Universals, EMIs und Sonys. Kein Interesse, nirgends. Gehören nicht dazu. Hätte man sich denken können. Aus den großen Häusern kommt zwar nach wie vor eine Flut von Veröffentlichungen, und das Verkaufsgeschäft, das sich in Jazz- und anderen Charts abbilden lässt, machen sie weitgehend unter sich aus - mit dem ewig gleichen Standardjazz, mit Sängerinnen im Abendkleid, an denen die Haarfarbe für mehr Furore sorgt als das Timbre der Stimme; mit Instrumentalisten, die zwar alles Fremde spielen können, aber nichts Eigenes finden; mit am Reißtisch produzierten Swing-Croonern, die dem Medientrend der Neuen Bürgerlichkeit ein passendes Gesicht geben und mit Singer/Songwritern, deren Songs als Jazz durchgehen, weil sie gelegentlich Harmonien verwenden, die nicht in den klassischen Dur- oder Molldreiklängen aufgehen. Mit dieser seichten Mixtur im Klanggewand sehr lange vergangener Zeiten lassen sich zwar messbare Marktanteile verschieben, aber keine Leidenschaften entfachen. Im Gegenteil: Die Fülle an Belanglosem verstopft die medialen Kanäle und erschwert der lebendigen Jazzszene die letzten Wege zu dem raren Gut Aufmerksamkeit.

Aber die lebendige Jazzszene ist ohnehin schon lange von der Künstlerliste gestrichen. Und der Graben wird immer breiter. Während die Dinosaurier der Branche mit ihrer einkanaligen Vorstellung der Beziehung zwischen Produzenten und Rezipienten der Musik sich in ihren Marketingzirkeln einigeln und über die bösen Fans lamentieren, die einfach Musik kopieren, ohne ein weiteres Mal zu zahlen, arbeiten die jungen Musiker daran, ihre Netze zu verknüpfen. Und neue Wege zu finden, um Musik durch den informationellen Dschungel an die auf der ganzen Welt verstreuten Adressaten zu bringen. So könnte sich der aktuelle Jazz vom Schielen auf die Breitenwirkung befreien, könnte sich in seiner Musikalität weiter radikalisieren, an Spannung, Relevanz und Aufmerksamkeit gewinnen und gerade durch die Abkehr von der Quotensucht neue Publikumsschichten gewinnen. Die großen Tanker der Musikindustrie allerdings werden dann längst untergegangen sein. Schade ist es nur um ihre umfangreichen Back-Kataloge.

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