Lauschangriff 16/05

Musik-Kolumne Matthäus 4: "Darauf führte ihn der Teufel mit sich auf einen sehr hohen Berg und zeigte ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit und sprach zu ...

Matthäus 4: "Darauf führte ihn der Teufel mit sich auf einen sehr hohen Berg und zeigte ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit und sprach zu ihm: ›Das alles will ich Dir geben, wenn Du niederfällst und mich anbetest.‹ Da sprach Jesus zu ihm: ›Weg mit Dir Satan, denn es steht geschrieben: (5. Mose) Du sollst anbeten den Herrn, Deinen Gott und ihm allein dienen.‹" Auch The White Stripes aus Detroit haben also die Bibel gelesen, und sich den Albumtitel Get behind me Satan ("Weg mit Dir Satan!") für ihre fünfte Platte ausgesucht. Ein Jesuszitat als Albumtitel kommt nicht häufig vor. Man würde vielleicht annehmen, es sei ein gläubiges Werk, aber es geht hier mehr um Religiosität als um Gläubigkeit. Denn soweit sind sie noch nicht mit der religiösen Suche, dass man sie gläubig nennen könnte.

Bevor das Album erschien, erklärte Jack White, dass es sich im neuen Werk um romanartige Figuren drehen würde, die das "Ideal der Wahrheit" suchen. Das klang ganz danach, als ob der gute alte Garagenpunkrocker sich neuerdings ziemlich ernst nimmt. Bislang jedenfalls hatte das Duo immer den Eindruck vermittelt, dass ihnen der Spaßfaktor viel bedeutet. Das war einmal. Die Intentionen von Jack und Meg White sind nun eindeutig ehrenhaft. Sie wollen sich weiter entwickeln. Von ihrem eigenen Bluessound haben sie sich zu lange wie gefangen gefühlt.

In der Tat sind auf dem neuen Album nur drei Songs im alten Stil, mit der zerklüfteten E-Gitarre im Mittelpunkt. Besonders die Single Blue Orchid ist in dieser Hinsicht altbacken, aber die Mehrzahl der Songs entstanden mit Piano, akustischer Gitarre und Marimba(!). Es ist schwer vorherzusagen, ob die alten Fans mit dieser Abenteuerlust einverstanden sein werden. Auf dem letzten Album Elephant hatten The White Stripes ihren zerfetzten Sound noch perfektioniert. Nun hatten sie keine Wahl mehr: Sie mussten weiter forschen, um sich zu befreien, um nicht noch eine berechenbare Band zu sein. Der Gesang auf der neuen Platte klingt immer noch gequält, so als käme er von jemand, der sich gefährlich nah am Abgrund befindet. Leute, die diese Stimme nicht mögen, werden möglicherweise den Gesang mit dem einer Katze vergleichen, die ihr Revier verteidigt.

Die Songs sind aufwendiger arrangiert als früher, anders gesagt: weniger minimalistisch. Aber The White Stripes haben präventive Maßnahmen ergriffen, um das raue Feeling von einst nicht ganz verloren gehen zu lassen. Die Songs waren nämlich zum Teil noch nicht fertig, als sie ins Studio gingen; das verleiht dem Album etwas von einem Demo-Band. Der Garagenrock-Sound klingt zwar weniger stark durch, dafür sind Bluegrass und Country-Musik nun deutlicher im Vordergrund. Das ist nicht weiter verwunderlich. Letztes Jahr trug Jack White Musik zum Soundtrack des Films Cold Mountain bei, und er produzierte das Album Lear Rose der Country-Legende Loretta Lynn. Ihr Einfluss macht sich sehr deutlich auf neuen White Stripes-Stücken wie Little Ghost bemerkbar, das nach Appalachen-Folkmusik klingt. Lynns Aura ist auch auf dem letzten Stück des Albums hörbar: I´m lonely, (but I´m not that lonely yet). Der Song besteht nur aus Piano und Jacks Gesang. Es ist inzwischen eine alte Diskussion, ob Jack und Meg White wirklich Geschwister seien, oder ob sie ein Paar sind oder waren. Sie freuen sich über das Gerede und Jack ist anscheinend der Meinung, dass in diesem Thema noch einiges drin steckt: "I love my sister. Lord knows how I missed her, I sometimes get jealous of all her little pets. I´m lonely but I´m not that lonely yet".

The White Stripes haben genügend "intensive" Fans, aber wir wissen nicht, wie persönlich das Album letztendlich ist. Ihre Themen sind vorwiegend Versuchung, Misstrauen, Zweifel. Darin sind die Songs oft mit denen von Nick Cave vergleichbar, der auch gerne biblische Zitate verwendet, und der sich auch noch auf der Suche befindet, ohne die Erleuchtung gefunden zu haben. Die Stimmung der Musik, sowohl die von Cave als auch die der White Stripes erinnert atmosphärisch oft an die Bücher des Südstaatlers William Faulkner. The White Stripes sind wohl dabei, erwachsen zu werden. Wenn sie ihr zehntes Album gemacht haben, wird man wahrscheinlich den Begriff "Garagenrock" gar nicht mehr mit ihnen in Verbindung bringen, sondern ihre neueste Platte in ähnlich nachdenklichem Licht betrachten wie ein neues Bob Dylan-Album. Das sind keine schlechten Aussichten.


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