Lauschangriff 19/04

Kolumne Nikolaus Harnoncourt, der im Dezember 75 wird, hat alles erreicht. Er ist versehen mit den, was Ansehen und Konto betrifft, höchst dotierten Preisen. ...

Nikolaus Harnoncourt, der im Dezember 75 wird, hat alles erreicht. Er ist versehen mit den, was Ansehen und Konto betrifft, höchst dotierten Preisen. Mit einer an Qualität und Umfang atemberaubenden Diskographie. Er hat entscheidende Anregungen gegeben zu einem neuen Aufführungsstil klassischer Musik, vor allem durch sein positiv fanatisches Insistieren auf der Bedeutung historischer Instrumente. Dass er darüber nicht zum Dogmatiker wurde und dass der Nutzen seiner Lehren keineswegs so eng begrenzt war, wie manche argwöhnten, zeigen vielfältig geglückte Arbeitsbeziehungen zu oft um Jahrzehnte jüngeren Musikern internationaler Spitzenorchester wie Chamber Orchestra of Europe, Concertgebouw Orkest Amsterdam oder Berliner Philharmoniker, die mit ihm auf modernen Instrumenten lernten und arbeiteten.

Von Anfang an war Harnoncourt, zunächst in seinem Lebenskreis Wien, später in zunehmend aller Welt, vom Musizierideal und vom Auftreten her, das Gegenbild und der Hauptkontrahent des weltweit bis dato prägenden Dirigenten Herbert von Karajan. In den letzten Jahren schien es allerdings, als habe er mit der - spätestens nach dem Tod der anderen Pultidole seiner Generation unangefochtenen - Spitzenposition als internationale Leitfigur auch Karajans Kehrseiten übernommen: Vor allem den Zwang, jedem für ihn neuem Repertoirebereich den spezifischen Guru-Gout des ganz Besonderen und So-noch-nicht-Gehörten geben zu müssen und diesen auch gleich noch audiophil zu verewigen. Wenn es denn sein muss, zum wiederholten Mal. Und in hohem Alter, besonders wenn man Dirigent und so berühmt ist, dass sich Berliner und Wiener Philharmoniker um einen reißen, muss es offenbar immer wieder sein.

So war man skeptisch, als jetzt mit dem inzwischen auch bei Harnoncourt üblichen Hype - "Eine meiner besten Einspielungen" - dessen zweite Aufnahme des Mozartschen Requiem-Fragments heraus kam. Von seinen Schumann-, Brahms- und Brucknerdeutungen des letzten Jahrzehnts hat er sich gewünscht, dass sie, wie es ihm viele Jahre mit Bach und der Wiener Klassik (inklusive Schuberts, vor allem dessen Messen!) widerfuhr, als immer wieder verblüffend neue Sichten auf vermeintlich Bekanntes bestaunt würden. Stattdessen fragte man sich, ob Harnoncourt dieses Repertoire, das er durchaus ehrenwert zum Besten gab, gemessen an seinen Maßstäben aber eben nur ehrenwert, nun unbedingt auch noch hat aufnehmen müssen.

Seine Zweiteinspielung des Requiem-Fragments bietet - das dürfte bei über 50 Katalognummern vorerst kaum anders möglich sein - nichts bahnbrechend Neues. Sie ist dennoch und tatsächlich eine seiner besten Einspielungen. Weil sie Harnoncourts traditionelle Stärken - Radikalität im Herausarbeiten von Kontrasten und rhythmischen Zuständen, die Fähigkeit, musikalische Entwicklungen quer zum Üblichen zu denken, schließlich die enorme Deutlichkeit und Plastizität, mit der er Musik zum Sprechen bringt - ergänzt durch eine Qualität, die man bislang eher seinem einstigen Erzrivalen zuschrieb, nämlich Klangzauber, nun freilich nicht den Karajanschen Oberflächenbreitwandsupercolorsound, sondern, Harnoncourt gemäß, den spröden und bei Bedarf fahlen und sogar gespenstischen Zauber, den zum Beispiel der Klang von barocken Bratschen und Celli entfaltet, wenn diese, wie im harschen Weltgewitter des Dies irae, kurz mit dem Chor dialogisieren. Oder am Beginn des Requiem, wenn sich die solistischen Linien der tiefen Streicher und Holzbläser (Bassetthörner!) verhalten und tröstlich umspielen, den schneidenden Einspruch der Blechbläser (Naturtrompeten) wegstecken, sich allesamt und immer sehr präsent - besonders die Posaunen - in die Chorbegleitung zurückziehen, um schließlich, erneut solistisch aufgefächert, zum Vorspiel des Sopraneinsatzes zu mutieren. Und so - gewaltig - weiter.

Die Ungerechtigkeit, dass reiche alte Leute meist die schnellsten Sportwagen fahren und die elegantesten Kleider tragen, wiederholt sich in der Musik nicht immer: Harnoncourts erlesener Sängerset ist bei ihm in exakt den richtigen Händen. Dass der von ihm vor 60 Jahren gegründete Concentus Musicus frischer und jünger ist als am ersten Tag, erscheint nur als ein Sinnbild für des Maestro langen, langen Atem (Schäfer, Fink, Streit, Finley, Arnold Schönberg Chor; HMD/BMG 8287658705 2).


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