Lauschangriff 19/06

Musik-Kolumne Es hat wohl noch niemand erklärt: "Oneida ist meine absolute Lieblingsband." Das kann ich natürlich nicht belegen, aber es ist eine Vermutung. Oneida ...

Es hat wohl noch niemand erklärt: "Oneida ist meine absolute Lieblingsband." Das kann ich natürlich nicht belegen, aber es ist eine Vermutung. Oneida haben es nämlich nie zugelassen, ohne Vorbehalt geliebt zu werden. Dafür gaben sie sich oft zu sperrig, und sogar nachdem sie eingängiger geworden waren, erschienen sie stilistisch immer noch zu breitgefächert, als dass Jugendliche kategorisch erklären könnten: "Das ist meine Band, sie verkörpert mein Lebensgefühl." Das achte Album des Brooklyner Trios ist gerade veröffentlicht worden, und Oneida sind 2006 genauso wenig massenkompatibel wie in ihrem Gründungsjahr 1997.

Früher glich ihre Musik einem scharf formulierten Angriff. Das 2005-Werk The Wedding war dann der Wendepunkt. Der Sound klang nun weniger rigoros und streng, aber es handelte sich immer noch keinesfalls um leicht konsumierbare Popmusik. Oneida hatten lediglich tendenziell ihre verstörenden Gitarrenschichten durch psychedelisch angehauchte Experimente ausgetauscht. Heutzutage sind sie mehr Krautrock als Hardcore. Daran hat sich auch auf dem neuen Album Happy New Year nichts geändert. Und nur eine unangepasste Band kann ohne jegliche Erklärung Sylvestergrüße im September bestellen.

Der Albumtitel ist also eine Metapher für ihren Eigensinn. Das Eröffnungsstück Distress gleicht dann einem morbiden mittelalterlichen Gesang - man hat als Hörer keine Vorstellung, wie es mit dem Album weiter gehen könnte. Denn Oneida beeindrucken stets am meisten dank muskulöserer Kompositionen, die vorwärts drängen. Der Dreiakkorde-Song The Adversary ist dementsprechend erfrischend, Pointing Fingers oder The Misfit ebenfalls. Das Stück Up with People stellt im Grunde nicht anderes dar als acht Minuten Discorock, ist aber dann doch noch so schräg, dass es kaum in Clubs gespielt werden wird. "You got to get up to get free", singt der Oneida Sänger und Keyboarder Bobby Matador. Primal Scream hätten einen großen Hit aus diesem Lied machen können. Oneida aber verfügen nicht über die erforderliche Popsensibilität. Weniger anstrengend im Vergleich dazu sind die akustischen Gitarrenkompositionen Busy little Bee und Reckoning, sie überzeugen aber gleichzeitig am Wenigsten. Es handelt sich um ganz gewöhnliche, psychedelisch-traurige Balladen, und ob sie wirklich traurig sind, bleibt noch dahingestellt.

Damit wäre ich wieder bei meinem Eröffnungssatz. Wer liebt Oneida wirklich? Gesang und Texte vermitteln keine tiefen Gefühle, mit denen man sich als Fan identifizieren könnte. Zwar gibt es einige auffällige Textzeilen auf dem Album. Im Titelstück Happy New Year singt Bobby Matador: "The sun withheld it´s light from me, I said a prayer and we shall see." Ok, ein düsterer Text, aber er berührt mich einfach nicht. Dasselbe gilt für Misfit, einer der besten Songs der Platte, der relativ leichte Kost bietet: "He interlaced his fingers round my spine between my ribs now I know that people die telling themselves fibs." Die Stimme von Matador singt das wie unbeteiligt, gar nicht richtig involviert. Aber eben psychedelisch. Die Art und Weise, wie er klingt, ist ihm anscheinend wichtiger, als das, was er singt. Er hört sich nach Syd Barret an, aber ohne die Neurosen. Die Bindung der Band an die sechziger Jahre mag unumstritten sein, aber ich muss hinzufügen, dass Oneida trotzdem sehr eigen klingen. Ihre leicht mittelalterlich-angehauchten Folk-Gesänge erinnern an The Incredible String Band. Krautrock erwähnte ich schon: Faust, Can. Dennoch besitzt Oneida auch die typische New Yorker-Brooklyn-Authentizität: Das Kompromisslose und Mürrische. Ein Gast auf dem Happy New Year Album ist beispielsweise Phil Manley, Ex-Trans Am und Fucking Champs, ein New Yorker Gitarrist von tadellos coolem Ruf. Happy New Year sollte eigentlich ein dreifaches Album mit dem Titel Blame your Parents werden. Sie haben das nicht geschafft, weil sie nur 44 Minuten aufnehmen konnten, bevor die Stadtbehörde den Abriss ihres Studios in Brookyln veranlasste, um eine neue Einkaufspassage zu bauen. Unser Glück oder unser Pech? Wer weiß das schon? Selten hat eine Band mich gleichermaßen fasziniert und irritiert.


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