Lauschangriff 19/08

Musik Dass leidende Künstler authentische Künstler sind, ist eine Idee, der im Verständnis von Kunst verwurzelt ist. Jason Pierce aus Rugby in England, das ...

Dass leidende Künstler authentische Künstler sind, ist eine Idee, der im Verständnis von Kunst verwurzelt ist. Jason Pierce aus Rugby in England, das Superhirn, das für Spiritualized verantwortlich ist, hat in dieser Kategorie den Vogel abgeschossen. Es fällt ihm nicht unbedingt schwer, uns von seiner Echtheit zu überzeugen. Das neue Album heißt Songs In A E; damit sind keine Akkorde gemeint, sondern accident and emergency die Notaufnahme im Krankenhaus. Dort wurde Pierce 2005 eingeliefert, nachdem man eine doppelseitige Lungenentzündung diagnostiziert hatte; an den Folgen wäre er beinahe gestorben.

Die Melodien für das Album hatte er vor der Krankheit komponiert, die Texte schrieb er danach, und so sind sie von seiner schweren Zeit geprägt worden. Pierce hat an seiner so erfahrenen, eigenen Authentizität selbst zuerst gezweifelt. Weil der zeitliche Abstand zwischen Ton und Wort so groß war, befürchtete er, würde beides nicht zueinander passen. Der Hörer, der davon nichts weiß, wird allerdings nie auf die Idee kommen, dass Musik und Text zu unterschiedlichen Zeiten entstanden sind.

Es ist, als ob Jason Pierce sein Glück zu sehr strapaziert hat, er hat gesundheitlich so oft mit dem Feuer gespielt (Feuer ist übrigens ein Wort, das auf dem neuen Album ständig vorkommt - I gotta fire, Soul on Fire, Sitting on Fire heißen allein drei Songtitel auf der Platte). Schon vor 20 Jahren, als Pierce seine erst Band Spacemen 3 gründete, erklärte er frech, dass er "Drogen nimmt, um Musik zu schaffen, die man hören sollte, wenn man Drogen nimmt." Normalerweise bekommt man aber keine Lungenentzündung vom Drogenkonsum; es ist eher eine moralistische Idee, darin eine Strafe für gewisse Sünden zu sehen. So wird neben dem Feuer auch Gott sehr häufig erwähnt.

Reue zeigt Pierce deswegen noch nicht. In dem Lied Death take your fiddle singt er: "I think I´ll drink myself into a coma and I´ll take every way out I can find, but morphine, codeine, whiskey, they won´t alter, the way I feel now death is not around." Das Geräusch, das dabei nach einem Respirator klingt, ist in Wirklichkeit übrigens ein Akkordeon. Pierce ist dem Tod entkommen, und das Leben kann vergnügt weiter gehen. In Soul on Fire frohlockt er: "I´ve got a hurricane inside my veins and I want to stay forever."

Das ist die Singleauskopplung und der kommerziellste Song, den Pierce seit Jahren geschrieben hat. Dabei ist das Album nicht auf Hochglanz poliert. Melancholische Streicher sind wie immer vorhanden, die Arrangements aber einfach gehalten: akustische Gitarre, simples Schlagzeug, subtile Bläser. Sogar die Gospelrefrains und Streicher wirken nicht so hochtrabend, wie es manchmal bei Spiritualized der Fall gewesen ist. Eine wahre Kunst, eine so bunte Instrumentierung zu verwenden, um ein Resultat zu erzielen, dass lo-fi klingt, obwohl es das nicht ist. Baby I´m a fool steigert sich über sieben Minuten mit Violine, Flöte, Marimba und Tamburin, aber das Lied klingt, als ob Jason Pierce es als Straßenmusiker irgendwo am Hauptbahnhof aus dem Ärmel geschüttelt hat.

Songs in A E wirkt sehr intim, dezent, schlicht. Es ist das erste Spiritualized-Album seit fünf Jahren - und eine willkommene Überraschung. Das letzte Werk, Amazing Grace, war so durchschnittlich, dass mir auf Anhieb kein Titel davon einfällt. Nach dem 1997 erschienenen Album Ladies and Gentlemen, we are floating in space, das als Meisterwerk gilt, zeigte sich schon Let it come down im Jahr 2001 zu überladen. Man hätte eine Steigerung wie auf Songs in A E­ also nicht mehr erwartet.

Piercens Stimme klingt anders, nicht so glatt und verträumt, sondern eher heiser und kaputt, als ob er noch in der Reha-Klinik saß während der Gesangsaufnahme. Jason Pierce hat sich nicht neu erfunden: Gott, Drogen und die Liebe sind immer noch seine Themen. Aber während er unter den altbekannten Dämonen leidet, erleben wir ihn auf Songs in A E in absoluter Hochform.

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