Lauschangriff 2/09

Musik Es ist unumstritten, dass Oasis, die Band aus Manchester, die britische Arbeiterkultur bereichert hat. Merkwürdigerweise jedoch ohne jemals ...

Es ist unumstritten, dass Oasis, die Band aus Manchester, die britische Arbeiterkultur bereichert hat. Merkwürdigerweise jedoch ohne jemals vernünftige Texte gehabt zu haben. Dennoch war ihre Gestik, ihre Attitüde, ihr Humor pure Arbeiterklasse, politische Parolen haben sie für ihre Zwecke nicht gebraucht, sondern viel eher Cigarettes und Alcohol, wie sie uns schon auf ihrem Debütalbum Definitely Maybe mitteilten.

Nun bekommen Oasis Konkurrenz von Glasvegas, einer jungen Band aus dem sozialschwachen Stadtviertel Dalmarnock in Glasgow. Diese Band hat Hymnen und zukünftige Fußballlieder im Angebot, verknüpft aber mit sozialkritischen Texten. Der Mann, der 1993 im King Tuts Club in Glasgow Oasis entdeckte, hat 2007 Glasvegas im selben Club gesehen. Alan McGee, Mentor des Indierock, glaubt, die beste schottische Band aller Zeiten gefunden zu haben, wichtiger, wie er sagt, als Primal Scream und The Jesus Mary Chain.

Das Debütalbum von Glasvegas, das Platz 2 in den britischen Charts erreichte, wird hierzulande erst Ende Januar veröffentlicht. Dennoch hat der Hype schon Kreise gezogen: Die kurze Tournee der Band in kleinen deutschen Clubs im Herbst war ausverkauft. Ich habe schon einige "erste" Konzerte von Bands in Hamburg gesehen, die nachträglich in die Geschichte eingingen: U2 im Onkel Pö, Oasis im Logo, The Verve im Logo. Ein ähnliches kribbelndes Gefühl hatte ich beim Glasvegas-Auftritt im Molotow an der Reeperbahn. Irgendetwas sagt mir, dass alles passt.

Musikalisch gesehen ist es eine charmante Mischung aus dem Pop der fünfziger und sechziger Jahre sowie Rock der letzten 20 Jahre: Einflüsse von Rockabilly, Roy Orbison, The Jesus Mary Chain und U2 sind auf dieser Platte verstreut, mit Gitarren wie eine Brandungswelle, das Ganze mit "der Soundmauer"-Technik produziert, die von Phil Spector erfunden wurde.

Wenn man Oasis vorwerfen kann, dass sie nicht politisch bewusst genug seien, könnte man im Gegenzug Glasvegas unterstellen, sie seien zu ernst, zu humorlos. Die pathetische Stimme vom Sänger James Allen klingt so leidenschaftlich, dass es fast schmerzt. Sein extrem ausgeprägter schottischer Akzent trägt zur Dramatik bei, die Songs sind überwiegend düster.

Das Eröffnungsstück Flowers Football Tops handelt vom 15-jährigen Jungen Kriss Donald, der in Glasgow von fünf Männern ermordet wurde. Am Schluss des Songs zitiert Allen eine Phrase aus einem Johnny-Cash-Lied: "You are my Sunshine, my only Sunshine", aus Sicht der trauernden Eltern gesungen. Die Cash-Komposition ist ein Lieblingslied in englischen Fußballstadion und gilt immer dem Spieler, der in besonderer Gunst der Fans steht.

Dann gibt es das Lied Stabbed mit der Zeile "No Cavalry could ever save me, I´m gonna get stabbed" mit Musik unterlegt, die von Beethovens Mondscheinsonate geliehen ist (was keine neue Idee ist: 1966 taten das die Shangri-Las bereits in ihrer Single Past, Present, Future). Daddy´s gone, die Single, die für den Durchbruch der Band auf der britischen Insel sorgte, erzählt von einem Vater, der Frau und Kinder verlässt: Alltäglich, aber deshalb nicht weniger traurig. It´s my own cheating Heart that makes me cry handelt von einem Menschen, der sich selbst wegen seiner Untreue verachtet. Alltäglich, aber nicht deshalb weniger deprimierend.

Glasvegas ist nicht die erste Band, die den Pop der fünfziger und sechziger Jahre mit Indierock-Gitarren verknüpft. Aber Glasvegas ist die einzige Gruppe dieser Art mit einer solchen ausgeprägten Gesangspräsenz, die nicht im Mix verloren geht, sondern ganz weit vorne liegt, im Mittelpunkt des Geschehens, wichtig und dominant. Frontmann Allen hat schon Profifußball für Falkirk in der schottischen Premier League gespielt und damit eine unsichere Karriere durch eine andere ausgetauscht. Momentan ist die 1. Liga des Rock für Glasvegas in Sicht.

Das unbetitelte Debütalbum von Glasvegas erscheint am 30. Januar bei Col (Sony BMG),

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