Lauschangriff 20/06

Klassik-Kolumne Ballverliebt? Eine Sache des Sports, sollte man denken. Nach Anhören der CD mit neuer Musik von Hans Zender bietet sich eine andere Lesart: Zum ...

Ballverliebt? Eine Sache des Sports, sollte man denken. Nach Anhören der CD mit neuer Musik von Hans Zender bietet sich eine andere Lesart: Zum Verlieben sind nämlich auch die seltsamen Lautgedichte, die der Autor und Bühnenmensch Hugo Ball (1886-1927), er wurde vor allem als Dadaist bekannt, während des Ersten Weltkriegs verfasste.

In seinem Entsetzen und der Trauer über die Katastrophe, die der Krieg auch für die bürgerliche Kultur bedeutete, kam Ball der Glaube an die traditionellen Bindungen und Funktionen der Sprache abhanden. Was er und seine Frau Emmy Hennings im Cabaret Voltaire - so auch der Titel von Balls Zyklus und von Zenders Stück - in der Zürcher Spiegelgasse 12 unter Überschriften wie Totenklage oder Wolken als "authentisches Theater" aufführten, formt per Buchstaben nur mehr Laute, aus denen, so Balls Hoffnung, eine neue Sprache entstehen mochte mit einer neuen, nicht mehr Tod bringenden Bindung an die Dinge.

In Zenders Vertonung (für eine Stimme und acht Instrumente, bevorzugt das Klavier) erscheint kunstvoll die kostbare Kindlichkeit der Methodik des Hoffens in dieser Kunst: Sie spielt in vielfachen Wiederholungen mit Tonfällen, Akzenten, Melodien, mit Lauten und Rhythmen und was noch an Musik in jeglicher Sprache wohnt. Sprache erscheint da als klangliches Ereignis mit Bedeutungen, die nicht länger aus Begriffen kommen, sondern aus der Musik, die in ihr klingt. Für Menschen, die hören können, entfaltet sich mit den Glissandi, dem Kratzen, Staccato, Pianissimo etc. der Instrumente eine Art Semantik der Gefühle und Affekte.

Indes, das Aufspüren dieser Sprachschicht erfordert neues Hören, ein Sicheinlassen auf die Metaebene des Klangs auch da, wo Wortbedeutung im Spiel ist. Zender hat sich in Hölderlin lesen I und II (1976 und 1987) in ähnlicher Weise der Lyrik Friedrich Hölderlins (1770-1843) gewidmet. Auch in Mnemosyne - Hölderlin lesen IV (2000) interagiert Musik mit Sprache - freilich nicht illustrierend, sondern korrespondierend, als Hörhilfe und als gleichberechtigter Kunstfaktor neben der Sprache. "Klang? Wort? Schreiben?" fragt sich Zender. "Wo sind die Grenzen, die Übergänge, die gegenseitigen Beeinflussungen der einzelnen Zeichenregionen?"

So hat er die drei vorhandenen Fassungen der letzten Hymne, die der noch geistesklare Hölderlin schrieb, neu strukturiert, besser: neu komponiert, um sie musikalisch zu vermitteln und zu beziehen auf die sensibel und mit Sinn für Witz und Dramatik akzentuierte und ziselierte, durchsichtig gebaute und pointiert gefärbte Musik eines Streichquartett. Spielt die Stimmkünstlerin Salome Kammer in Cabaret Voltaire gesangähnlich noch mit Tonhöhen und Tonfällen, ist das, was Zender sie mit Hölderlins Versen machen lässt, mehr ein musikalisch aufgeladenes Sprechen. Brecht hat für Hanns Eislers wundervolle Hölderlin-Vertonungen das Bild des Bernstein gefunden, der die Dichtung wie eine Fliege einschließt. Hans Zender ist einer der bedeutenden Tonsetzer der Gegenwart. Sein Hölderlin ist - unbernsteinhaft - leichter und luftiger als der Eislers. Zeilen wie Lang ist / die Zeit, es ereignet sich aber das Wahre transportieren gleichwohl auch bei ihm die Trauer und Schwere einer Dichtung in trostloser Zeit.

Auf einer trostreich heiter und in vertrauten Intervallfolgen daher kommenden CD mit Kammermusik des immer noch unterschätzten Georg Philipp Telemann (1681-1767) ist eine weitere schöne Verbindung von Musik und Sprache zu erleben. Denn die bekennende Gambistin Hille Perl und die Barockgeigerin Petra Müllejans sowie Teile des Freiburger Barockorchesters musizieren Telemanns Sonaten und Konzerte für Gambe (Solo und mit Geige) und Streicher in elementaren Haltungen des Menschen: Sie sprechen und tanzen miteinander, wenn sie musizieren.

Sorgfältig und farbig tun sie es, mit jener Neuartigkeit noch im Ältesten, die sich ergibt, wenn man - wie besonders Perl - radikal mit der Aufführungstradition des 19. Jahrhunderts bricht und auf Usancen wie Vibrato gänzlich verzichtet. Neu auch und hier zu genießen: wie sich in letzter Zeit - wenn es nahe liegt - bei den für extrem rasche Tempi verrufenen Barockmusikern ein Faible für getragene, atmende Tempi entwickelt.

Hans Zender: Cabaret Voltaire, Mnemosyne - Hölderlin lesen IV, Salome Kamer, Klangforum Wien; KAIROS/naxo 0012522KAI; Telemann: Concertos für Viola da Gamba - Hille Perl, Freiburger Barockorchester, Petra Müllejans; deutche harmonia mundi/BMG/sony classical 82876850552


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