Lauschangriff 21/04

Kolumne Mozarts frühe Oper Mitridate, Re di Ponto zählt nicht zu den Spitzenleistungen des Wiener Klassikers, das wäre auch zu viel verlangt. Er war 14, als ...

Mozarts frühe Oper Mitridate, Re di Ponto zählt nicht zu den Spitzenleistungen des Wiener Klassikers, das wäre auch zu viel verlangt. Er war 14, als er die Oper verfasste, und im Frühjahr 1770 nach Mailand gekommen aus dem einen Grund, dort erst einmal zu lernen, wie man große Opern schreibt für schrille Primadonnen und eitle Tenöre, machtbewusste Kastraten und geldgierige Veranstalter.

Dass das Regio Ducal Teatro, Vorläufer der Scala, ihm den Auftrag zu dieser Karnevalsoper erteilte, war indessen fantastisch nicht allein für den genialen Lehrbuben; es war auch riskant für den Veranstalter. Denn der Auftragnehmer konnte als weitgehend unbekannt gelten, er befand sich knapp vor der Pubertät und war - Madonna diavolo! - noch dazu Nichtitaliener. Erstaunlicher als solch impresiarialer Mut dürfte allerdings sein, dass Mozart und seine Berufskollegen sich auf die Opern-Produktionsbedingungen ihrer Zeit einließen. Vertragsabschluss war am 13. März 1770. Das Textbuch erreichte Mozart am 27. Juli. Laut Kontrakt hatte er im Oktober mit den fertig komponierten Rezitativen und Chören des Mitridate in Mailand zu sein, dort den Gesangsstars seiner Oper - Leopold Mozart nannte sie "die virtuosa Canaglia" - auf Zuruf deren Arien in die Gurgel zu komponieren, darauf alles einzustudieren und es, kaum zwei Monate später, in den Mailänder Weihnachtstagen perfekt über die Bühne zu bringen.

Die Opernkomponisten jener Zeit hatten zudem hinzunehmen, dass sie auf den Theaterzetteln und Plakaten nur als Beiwerk eines Unternehmens figurierten, dessen Glanz und Erlös zu 90 Prozent die Spitzenvokalisten und Konzertveranstalter einheimsten. Beides, kostenbedingt atemraubende Produktionsbedingungen sowie vor allem die künstlerische und soziale Marginalisierung derjenigen, die ihren Kopf zu Markte tragen und damit die Pipelines des Kulturbetriebs füllen, erinnert stark an aktuelle Entwicklungen und Zustände.

Wie spätbarocker Schnickschnack wirken dagegen die bis auf den Tag theaterüblichen Intrigen und Machenschaften, mit denen Mozart vonseiten der ortsansässigen Kollegenschaft zu rechnen hatte. Nur die fröhliche Art des Salzburger Opernneulings auf Menschen zuzugehen und schnelle Freundschaften zu schließen, bewog offenbar die Primadonna Antonia Bernasconi zum Verzicht darauf, dem Text statt Mozarts Musik, wie man ihr nahe gelegt hatte, Ariensätze einer kurz zuvor heraus gekommenen Mitiridate-Version Guiseppe Gasparinis zu unterlegen. Mit Hilfe seines in solchen Dingen gewitzten Vaters plus seines Talents, alle kompositorischen Steine, die man ihm in den Weg legte, spielerisch leicht zu umkurven oder zu beseitigen, brachte Mozart am Ende ein kleines Meisterwerk zur Welt.

Während Aufnahmen der Zauberflöte oder des Don Giovanni stapelweise vorliegen, sind Mozarts frühe Opern im Katalog spärlich und wenn, dann nur in Aufnahmen vertreten, die ziemlich alt klingen, nicht nur ihres Aufnahmedatums wegen. Erst die Neugier und der Spürsinn historischer Aufführungspraktiker offenbarte die Klasse auch des jugendlichen Sinfonikers und Opernkomponisten Mozart. So erweist sich in Händen des jungen französischen Dirigenten und Cembalisten Christophe Rousset und seines Ensembles "Les Ta-lents lyriques" der Mitridate, der fast 200 Jahre lang, wenn überhaupt jemanden, dann Musikwissenschaftler interessiert hat, als putzmunterer und noch heute mit Vergnügen und Gewinn hörbarer Beitrag zu einer eigentlich schon 1771 mindestens scheintoten Operngattung, der Opera Seria. Mozart bediente sie im Lauf seines Lebens noch zwei Mal. Der leider viel zu selten als Dirigent zu hörende Rousset und ein Achtung gebietender Sängerset (Natalie Dessay, Cecilia Bartoli, Sandrine Piau, Juan Diego Flóres) vermitteln einen zeitweise berauschenden Eindruck von der Frische, Affektgeladenheit und einer - hier ganz im Sinn Mozarts wie spielerisch eingesetzten - aberwitzigen Virtuosität dieser Musik. Die Musiker scheinen wie infiziert von einer überall lauernden Erregtheit und Aufgeladenheit, die sich mal in repräsentativem Glanz, mal in kunstvoll hochfahrenden Koloraturen entlädt. Der eher schattenbedürftige Mensch kommt auf volle Kosten spätestens, wenn das Horn und gleich darauf Sifare mit großer, Mozart offenbar schon mit 15 zu Gebote stehender Adagiokunst, die viel zu große Ferne ausmessen, in der die Geliebte immer und immer noch weilt (Decca/Universal 460 772-2).


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