Lauschangriff 23/04

Kolumne Was nutzt der Kunst Erklärung, sei sie auch kunstreich, wenn der Eindruck, den sie den Sinnen macht, dahinter zurück bleibt? Das scheint das Problem ...

Was nutzt der Kunst Erklärung, sei sie auch kunstreich, wenn der Eindruck, den sie den Sinnen macht, dahinter zurück bleibt? Das scheint das Problem vor allem vieler so genannter zeitgenössischer Musik. Bereits den ersten Meistern der Moderne, allen voran Arnold Schönberg und seiner Schule, hängt bis heute der Ruf an, sie seien zu kopfig und man müsse vor dem Hören ihrer Werke zunächst die Partitur durchgesehen und begriffen haben, um sie zu "verstehen". In den fünfziger und sechziger Jahren schien bei sehr gewissenhaften Freunden dieser Art Neuer Musik das Studium der Ideen häufig oder ganz und gar wichtiger als die sinnliche Aufnahme der darauf basierenden Musik. Begriff und Praxis des Genusses kamen in diesen Kreisen zeitweilig in Verdacht und Verruf eines populistischen sich Anbiederns ans Publikum. Die bildende Kunst, im Lauf der Geschichte in vielerlei Hinsicht fixer als die Musik, trieb diese Logik auf die Spitze, indem sie die dem Werk zu Grunde liegende Theorie zum Eigentlichen erklärte. Concept Art hieß das Ganze.

So weit ging meines Wissens in der Musik niemand. John Cages berühmtes 4´33´´, ein Stück in drei Sätzen für "variable Instrumente", in dem 4 Minuten und 33 Sekunden lang nichts erklingt als - wenn man so will - die tönende Stille am Konzertort oder die wie auch immer tönende Stille in Kopf und Körper des Zuhörers, kann immerhin als augenzwinkernder Beitrag zu einer Musik mit conceptartigem Selbstverständnis gehört werden. 4´33´´ ist gleichwohl und mit größerer Wahrscheinlichkeit als radikaler Hinweis zu verstehen darauf, dass alles Tönende, Klingende und Hörbare - inklusive das Nichtklingende und Nicht"hör"bare - das Zeug hat, Musik zu sein. Für Cage zudem eine Musik, die nicht unbedingt nur auf dem Notenpapier existiert, als erst mit seiner Aufführung vollständiges "Werk". Sondern als etwas, dessen einzig Wirkliches und Werkhaftes der Moment der Aufführung ist.

Man hört der Musik der finnischen Komponistin Kaija Saariaho (geb. 1952) an, dass sie mit dem Komponieren begann, als die Lagerkämpfe und Dogmenstreitereien der Neuen Musik-Szene in die ersten Regungen eines neuen Anfangs hinein endeten. Scheinbar unberührt vom archaisch anmutenden Nachkriegs-Disput um den rechten Weg zeitgenössischer Musik, führt die Besinnung des Materials auf sich selbst als eine der wichtigsten Voraussetzungen der Moderne bei Saariaho zu einer Freiheit, die sich weder um die Regeln der reinen Lehre, noch um die glitzernden Schlieren des Populismus schert.

Geboren in Finnland, lebt sie seit 20 Jahren in Paris, ein musikalischer Ort, wo Meister wie Claude Debussy oder Olivier Messiaen eine ganz eigene Tradition modernen Komponierens begründeten. Besonders von Messiaen, dessen Interesse an Rhytmisierung des Textes ihr indessen weithin abgeht, hat Saariaho das Fasziniertsein durch Klänge. Sie überlässt sich ihnen, reizt deren Möglichkeiten aus bis zu den heute erreichbaren Rändern. Und vielleicht, weil das Erlebnis der Weiten Finnlands in ihr nachklingt, hat sie nichts dagegen, wenn sich die Klänge in ihrer Musik, immer wieder - und geographisch längst nicht mehr zuzuordnen - mit "Naturlaut" füllen. Geographisch nicht mehr zuzuordnen vor allem, weil Saariaho - mit offensichtlich großen Ohren - auch Asien bereiste. Dort hat sie gelernt, wie sich Ort und Befindlichkeit eines Einzelnen im Klang zu Welt verwandeln lassen. Die Flöte spielt, neben dem Cello, eine außerordentliche Rolle in ihrer Kammermusik.

Saariaho will unabhängig sein von den Zufällen des Orts, an dem ihre Musik aufgeführt wird. Darum lernte sie schon 1982 am Ircam, der Pariser Institution für elektronische Musik, die Möglichkeiten ästhetisch absichtsvoller Manipulation und Dynamisierung von Klängen und Räumen durch neueste Technik kennen. Solocello oder einsame Flöte können sich da selbst begleiten, sich verdoppeln oder kommentieren oder sich mit den Klängen und Rhythmen der Stimme des Solisten mischen. Saariahos Räume und Farben atmen mutuell Natur und Seele. Beides bekommt mit ihrer Musik die Chance, mit bis an Krassheit grenzender Deutlichkeit vor Ohren zu treten. Das macht den Reiz und die Anziehungskraft ihrer Kunst aus. Sie will nichts beweisen. Ihr da Sein ist Beweis genug (Andrea Boettger, Wolpe Trio; KAIROS/HMF 0012412KAI).


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