Lauschangriff 25/03

Kolumne Was soll ein Punk machen, wenn er zwar Punkmusik mag, aber der Meinung ist, dass Punks schlechte Manieren haben und ihre Musik als Kunstform zu ...

Was soll ein Punk machen, wenn er zwar Punkmusik mag, aber der Meinung ist, dass Punks schlechte Manieren haben und ihre Musik als Kunstform zu primitiv sei? Was soll man tun, wenn man nicht dazu neigt, vulgär zu sein und Bierbecher bei Konzerten durch den Raum zu schleudern? Seit einigen Jahren gibt es "Emo": Eine sensible vornehme Art von Punk. Die Legende lautet, dass das Album Diary der aus Seattle stammenden Band Sunny Day Real Estate von 1994 die erste echte "Emo"-Platte gewesen sei. Manchmal versuchen die Leute zu früh, Geschichtsbücher zu schreiben. Es ist eine Frage der Perspektive, denn es gibt keine genaue Definition für "Emo". EMOtional soll die Musik sein, die Instrumentierung minimalistisch. Die Texte sollen tiefsinniger sein als bei Punk, aber das Innerste nach Außen kehren. Trotzdem dürfen die Songs keine schwere Poesie transportieren, sondern sollten immer noch leicht verständlich sein. Emobands wollen nicht mit Singer/Songwritern verwechselt werden. Ganz wichtig ist der Sänger, der die Pflicht hat, herzzerreißend zu klingen, sonst muss er sofort gefeuert werden.

Der erklärte Star der Stunde in diesem Punkt ist Chris Carabas alias Dashboard Confessional. Er hat jetzt eine richtige Band. Früher war er als "Dashboard Confessional" allein. Nur für Konzerte nahm er ein paar Sessionmusiker mit. Klar war natürlich, dass es sich bei "Dashboard Confessional" um einen Künstlernamen handelt, denn selbst in Amerika ist es nicht möglich, "Armaturenbrettmitwisser" zu heißen. So frei ist das Land dann doch nicht. Chris Carabas kam durch ein eigenes Lied auf diesen Namen: "On my way home, this car hears my confessions - Auf dem Weg nach Hause hört dieses Auto meine Beichte", singt er auf dem Stück The Sharp hint of new tears. Es hat schon erfolgreiche Bands wie Jimmy Eat World, oder At The Drive-In gegeben, die man als "Emo" bezeichnet, aber Chris Carrabas scheint der erste wirkliche Star des Genres zu werden.

Das neue, vierte Dashboard Confessional Album A Mark, A Mission, a Brand, A Scar erreichte gleich in der ersten Woche Platz 2 der amerikanischen Charts. Carrabas könnte es zur amerikanischen Hardcore-Antwort auf Robbie Williams bringen: Er sieht blendend aus, ist Mitte zwanzig, muskulös, tätowiert, mit hochsensiblem Blick. Und - er trinkt kaum Alkohol und ist bekennender Christ. Man darf nicht vergessen, dass Abstinenz und Religiosität in Amerika kaum belächelt werden. In England wäre es das perfekte Rezept für den Misserfolg. Tatsächlich war Carrabas kurze Zeit Mitglied der christlichen Emoband Further Seems Forever. Wie die kommt er aus Florida und war mit ihnen schon befreundet, bevor sie zusammenarbeiteten. Further Seems Forever veröffentlichen ihre Platten auf dem renommierten christlichen Label Tooth Nail, wo Carrabas beinahe gelandet wäre. Nun ist er bei dem profanen Vagrant Records unter Vertrag, vielleicht um den christlichen Hintergrund nicht zu sehr zu betonen.

Seine Texte enthalten keine eindeutigen christlichen Aussagen. Nach der wahren Emotradition handeln sie von schwierigen zwischenmenschlichen Beziehungen. Höchstens zwischen den Zeilen findet man Hinweise auf seinen Glauben, wie beim Lied As lovers go, das möglicherweise eine Frau und Gott thematisiert: "For so long, I thought I was asylum bound, but just seeing you makes me think twice. I´ve been lost but now I believe." (Ich dachte lange Zeit, ich wäre auf dem Weg in die Irrenanstalt, aber wenn ich Dich sehe, sehe ich es anders. Ich war verloren, und nun glaube ich.) Emo ist die perfekte Musik für dramatische Glaubensbekenntnisse jeglicher Art. Und Dashboard Confessional ist heftig und rigoros, zugleich aber hymnenartig und transparent. Den letzten Schliff erhalten Carrabas Songs durch die Arrangements. Er spielt die akustische Gitarre als Hauptinstrument, die stets im Mix heraus zu hören ist. Das ist ungewöhnlich für eine Rockband, und war vielleicht versehentlich der Schlüssel zum Erfolg: Letztes Jahr wurde Dashboard Confessional in der Unplugged Sendung auf MTV eingeladen. Normalerweise ist das eine Sendung für bekanntere Musiker, aber der Regisseur von Unplugged hatte die Band live erlebt und war vor allem davon beeindruckt, wie deutlich die akustische Gitarre bei der Show zu hören war. Die Idee von Emo Unplugged reizte ihn sehr. Ein Mann bei einem Sender, und schon ist Emo salonfähig.


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