Lauschangriff 26/04

Kolumne Tief im Herzen ist Elvis Costello ein Punk, obwohl er noch nie eine Punkplatte gemacht hat. Er wuchs in Liverpool auf, sein Vater war Sänger bei dem ...

Tief im Herzen ist Elvis Costello ein Punk, obwohl er noch nie eine Punkplatte gemacht hat. Er wuchs in Liverpool auf, sein Vater war Sänger bei dem Joe Loss Orchester. Costellos Debütalbum My aim is true, das 1977 auf dem Punk Label Stiff Records erschien, fiel zwar eher in den Bereich Country, aber er zeigte sich von der Attitüde des Punk stark beeinflusst. Inzwischen ist Costello 49 Jahre alt. Das neue Album The Delivery Man ist sein 21. Werk. Costello hat viel erlebt, Erfolg, Misserfolg, Stimmungsschwankungen jeder Art, aber im Moment steht er gewissermaßen wieder da, wo er angefangen hat. Ist es nur Zufall, dass Pedal Steel-Gitarrist John McFee (Ex-Doobie Brothers), der auf dem Album gastiert, damals an My aim is true mitgewirkt hat? Costellos allererste Band, die nie einen Plattenvertrag bekam, hieß Flip City. Es war eine Country Band. Die neue Platte hat er im legendären Tea Recording Studio in Oxford, Mississippi aufgenommen hat, um das Lebensgefühl des amerikanischen Südens einzufangen. Wenn man will, kann man The Delivery Man kurz und bündig beschreiben: Country, Blues, Soul. Costello hat zwei Nashville-Heroinen als Gastsängerinnen engagiert: Emmylou Harris und Lucinda Williams. Allerdings kommt nur Lucinda Williams zur Geltung in dem Duett There´s a story in your voice. Emmylou Harris muss sich bei den Songs Nothing clings like Ivy und Heart shaped bruise mit backing vocals begnügen, die von irgendeiner Sängerin stammen könnten. Aber der Name Emmylou Harris ist eben mit Prestige verbunden.

The Delivery Man erzählt auf eher abstrakte Weise von dem Lieferanten (Delivery Man) Abel, der während seiner Arbeitszeit diverse Affären mit Frauen hat. Gelegenheit macht Diebe: Die vielen Haustür-Bekanntschaften verdankt Abel seiner Tätigkeit. Der LKW des Lieferanten ist auf dem Albumcover abgebildet. Das Album ist ein Konzeptwerk, das letztlich unbefriedigend ausfällt, weil die Songs keine Story erzählen, die man als Hörer nachvollziehen kann. Wenn man einen Roman über einen Mann schreiben wollte, der seine Kundinnen verführt, müsste man alles strenger strukturieren. In der Popmusik hat man dichterische Narrenfreiheit und trotz der konzeptuellen Schlampigkeit sind die Songs spannend. Sie vermitteln eine Atmosphäre latenter Gewalttätigkeit, man spürt die Gefährlichkeit des Spiels, das der Lieferant treibt. Stücke wie Button me up und Bedlam sind rauh und erbost. Costellos Begleitband heißt heutzutage The Imposters. Jahrelang war sie unter dem Namen The Attractions unterwegs. The Imposters sind The Attractions ohne den Bassisten Bruce Thomas. Ihn ersetzt Davey Farragher. Ansonsten ist nach wie vor der Drummer Pete Thomas dabei und Keyboard-Veteran Steve Nieve, der immer eine zentrale Bedeutung für den Sound gehabt hat. Costellos nasale, aber süßliche Stimme und Nieves flüssiges, aber nie geschniegeltes Keyboardspiel passen zusammen wie Honig und Toastbrot. Nieve und Thomas arbeiten mit Costello seit 1978 zusammen und haben oft einen belebenden Einfluss auf ihn gehabt. Die Spielfreude der Band-Musiker verlieh dem Costello-Sound eine Heiterkeit, die manchmal im aufregenden Gegensatz zu der Bitterkeit der Texte stand. Ich hatte immer das Gefühl, dass The Attractions oder The Imposters auch eine gute Hochzeitskapelle wären: Auf Wunsch spielen sie alles, ob Motown auf dem Album Get happy oder Pubrock auf dem Album Trust. Costellos Zusammenarbeit mit Emmylou Harris und Lucinda Williams kommt wenig überraschend, denn er ist für seine Projekte mit renommierten Künstlern berüchtigt. Es gab Alben mit The Brodsky Quartett, Anne Sofie von Otter oder Burt Bacharach. Letzterem verdankte Costello 1998, als das Album Painted from memory entstand, einen Popularitätsschub. Gemeinsam mit Bacharach wurde er etwa ausführlich auf CNN interviewt. Ich bin ihm in dieser Zeit begegnet und er wirkte irritiert, als ich ihn darauf hinwies, dass seine Songs im Laufe der Jahre immer weniger mit ihm zu tun hätten, sondern eher den Eindruck vermittelten, sie basierten auf geliehenen Erfahrungen. Das ist meiner Ansicht nach der einzige Schwachpunkt von Costello. Seine Musik und seine Texte sind klug und raffiniert, aber sein Herz blutet nicht wie das des jungen Punk von 1977. (Elvis Costello: The Delivery Man, Mercury-Universal)


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