Lauschangriff 27/08

Musik Marc Minkowski feiert die Provence in seiner aktuellen CD. In deren Mittelpunkt steht Georges Bizets L´Arlésienne-Musik. Im Booklet, das ein feines ...

Marc Minkowski feiert die Provence in seiner aktuellen CD. In deren Mittelpunkt steht Georges Bizets L´Arlésienne-Musik. Im Booklet, das ein feines Büchlein geworden ist, fehlt nichts. Weder van Goghs Bilder noch die Erinnerung ans Parfüm der Provence, jene Mischung aus Lavendel und Rosmarin, Hitze, Leichtigkeit und Licht; auch nicht der helle Schatten der Platanen, Réné Chars Durst, Frédéric Mistrals Anbetung der Zypressen. Es fehlt nur der Bandol, der Wein der Provence, ein dunkler, ausdrucksvoller Roter, den es nur in Südfrankreich gibt.

Der Dirigent Minkowski kommt nicht aus dem Süden. Bereits mit 20 gründete er in Grenoble sein eigenes Ensemble. Die Musiciens du Louvre spielen auf Barockinstrumenten. Historische Aufführungspraxis, es wurde im Lauschangriff bereits öfter darauf hingewiesen, hat längst die Repertoire-Reservate alter, barocker und klassisch-romantischer Musik verlassen. Mit anhaltender Wirkung auch in die nicht-historische Klassikszene ist sie inzwischen in der klassischen Moderne angekommen. Die Instrumente etwa, auf denen Strawinskys skandalumtoster Sacre du Printemps 1913 uraufgeführt würde, sind längst historisch.

Minkowski widmet sich im neuen Projekt mit Georges Bizet noch einmal der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Vom umfangreichen Oeuvre Bizets hat so recht nur die Oper Carmen überdauert. Zum Repertoire, das daneben wenigstens gelegentlich eine Chance bekommt, gehört Bizets Szenenmusik zu Alphonse Daudets Vaudeville-Theaterstück L´Arlésienne von 1872. Daraus entstanden zwei Orchestersuiten für den Konzertsaal. Minkowski hat zwischen beide eine eigene Auswahl aus der Theatermusik platziert. Mit den vom Hirtenklang der Holzflöte und einer alten Érard-Harfe charakterisierten Regionalklängen wie auch mit den die CD einleitenden Instrumentalstücken aus Carmen gelingt dem Dirigenten Überraschendes: Ohrwurmhaft, ja wunschkonzertabgenudelt Altbekanntes leuchtet neu ein. Dem Ohr geht es da wie dem Auge mit einer Sehhilfe: Statt jahrzehntelang durch die Fettschlieren einer verbrauchten Folklorekitsch-Tradition blickt es plötzlich wie durch blank geputzte Brillengläser.

Ähnlich sieht es mit dem anderen Franzosen aus, der, zum Segen der Musik, dem Schatten Beethovens auf grandiose Weise entkam, mit Hector Berlioz. Ein Klangverfeinerer wie Minkowski musste sich dieses Orchesterfarbenmischers annehmen, auch wenn dessen Musik nun gleich gar nichts mit der Provence zu schaffen hat. Für das groß besetzte Orchester der Symphonie Fantastique bietet Minkowski neben seinen Musiciens du Louvre zusätzlich das formidable Mahler Chamber Orchestra auf, vielleicht nur um sich zu beweisen, dass es einem wie ihm möglich ist, noch ein derart riesig besetztes Orchester kammermusikalisch durchhörbar klingen zu lassen. Für den obskuren Ball des zweiten Satzes, die ganz unpausbäckigen, dezent breitwandigen und für Gustav Mahlers Adagio-Erfindungen sicher nicht unwichtigen Szenen auf dem Lande des dritten, vor allem für den abschließenden Hexensabbat und Gerichtstag steht nicht mehr Beethoven und die wienerklassische Sinfonik Modell, sondern Carl Maria von Weber und die Wolfsschlucht. Historisierender Zugriff sorgt auch hier für nicht Erwartetes, für ungezuckertes Vergnügen.

Da wären wir wieder beim Bandol: Es mag charakteristisch ja nicht glatt schmecken, aber es hat Kraft, es hat Charakter und Tiefgang, etwas, das sich heute eher seltener im Angebot findet.

Georges Bizet: Carmen, Vorspiel und Zwischenaktmusiken; L´Arlésienne Orchestersuiten 1 und 2, Szenenmusiken - Les Musiciens du Louvre, Marc Minkowski, Harmonia Mundi France HMF 0822186051306; Hector Berlioz: Symphonie fantastique, Hermine - Les musiciens du Louvre, Mahler Chamber Orchestra, Minkowski, Deutsche Grammophon/Universal Music 474 209-2; Château de Pibarnon Rouge Bandol AOC, 29,90 Euro, www.weinwolf.com

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