Lauschangriff

Musik Es gehört zu den Mythen, die sich um den Jazz ranken, dass es sich bei dieser Musik um politische Musik handelt, die von mehr oder weniger bewusst ...

Es gehört zu den Mythen, die sich um den Jazz ranken, dass es sich bei dieser Musik um politische Musik handelt, die von mehr oder weniger bewusst politisierten Musikern gespielt wird. Und dass sie deshalb per se links steht; Free Jazz, Black Power: je freier desto links. Früher spiegelte sich der Mythos in den Gastspielen von Dixielandkapellen auf Stadtteilfesten, die der SPD-Ortsverein ausrichtete. Bier und Bratwurst waren demnach auch links, versteht sich. Aber selbst ernst zu nehmende Kenner des Jazz wie der Posaunist Albert Mangelsdorff, einer der wenigen deutschen Jazzmusiker, die auch jenseits des Rheins wahrgenommen wurden, zeigten sich sicher, dass die Vorliebe für diese Musik etwas mit politischer Haltung zu tun habe. "Ich bin", so beteuerte Mangelsdorff, "noch keinem Jazzmusiker begegnet, der kein Linker war." Auch eine Generationenfrage. Was Mangelsdorff und seine Kollegen in den fünfziger und sechziger Jahren spielten, war auf der persönlichen Ebene oftmals ein Beitrag zur Überwindung der Last, als Kind von Nazis oder Mitläufern groß geworden zu sein, eine rebellische Geste, die häufig zu großer Musik reifte. Und ein Reflex auf eine besonders kreative Phase des Jazz in seinem Mutterland, als die Geste der Rebellion gerade unter den schwarzen Musikern ihre Energie in die Entwicklung der Kunstform zur "Fire Music" einspeiste: "We Insist! Freedom Now". Doch was für viele Musiker gegolten haben mag, war schon damals nur ein Teil der Wahrheit. Heute ist es das noch mehr.

Die Gruppe von Neotraditionalisten um den Trompeter Wynton Marsalis, die den Jazz in den neunziger Jahren an den Geldtöpfen des New Yorker Lincoln Center musealisierte, mit einem Ausschluss-Diskurs über seine wesentlichen Eigenschaften einzäunte und alles von der Bildfläche räumte, was sich nicht auf die historisch gesicherten Positionen der Säulenheiligen Louis Armstrong und Duke Ellington bezog und über die Dichotomie schwarz-weiß, die das Entstehen des Jazz im Süden der USA ursprünglich antrieb, hinauswies, fasste die politische Dimension der Musik ein Stückchen weniger radikal: Jazz als ein demokratischer Idealzustand, ein Ort freier Rede. Jedes Argument bekam sein Solo und seine Zuhörer. Wenn es von Marsalis und Co. zugelassen wird. Die gemeinsame Sprache sind Blues und Swing, Sprachformen, die als uramerikanische Erbmasse galten, so dass sich jeder Blick über den Atlantik von selbst verbietet. Was sich angesichts der Kreativität der europäischen Szene der letzten Jahrzehnte lange als nützlicher Abwehrreflex erwies.

Nun gerät der Mythos vom politisch linken Jazz in einer verspäteten Nachahmung der Marketingstrategien eines Malcolm McLaren, der seinerzeit dem Auftritt der Sex Pistols Relevanz verschaffte, in dem er die Band in ein Universum von disparaten - und gerne aus guten Gründen tabuisierten - Zeichen stellte, mit Schottenkaros, Sicherheitsnadeln und Hakenkreuzen ein weiteres Mal ins Wanken. Der Aufstand der Zeichen, der Diskurse aufbrechen, neue Spielräume und Freiheiten aufblühen und die Krusten der Klassengesellschaft zu Staub zerfallen lassen sollte, ist schnell versickert, aber seine Wiederholung als Farce ist heute in der Jazzszene en vogue: Jazzpop-Sängerinnen versprechen die "totale Unterhaltung", als stünde der Sportpalast hierfür noch immer zur Verfügung; junge Bands provozieren mit Namen wie The Einmarsch oder Panzerballett und bollern in heftigem Heavy-Metal-Sound. Nur ist hinter den Provokationen nichts zu entdecken als Marketing und hohles Kunsthandwerk. Links und rechts gibt es für diese Musiker nicht mehr, nur noch den Markt und das kleine bisschen Fun. Allerdings, so kann man sich trösten, spielen Rebellion und der gute Jazz heute ohnehin auf anderen Bällen. Dort nämlich, wo die Musik viel und das Marketing wenig zählt. Das ist dann auf seine Art auch politisch. Und links.

Albert Mangelsdorff: Music For Jazz Orchestra, skip. Max Roach: We Insist! Freedom Now, Candid. Archie Shepp: Fire Music, Impulse. Wynton Marsalis: From Plantation To The Penitentiary, Blue Note. The Einmarsch: Howls, Ajabu. Panzerballett: Starke Stücke, ACT

der Freitag digital zum Vorteilspreis

6 Monate mit 25% Rabatt lesen

Geschrieben von

Der Freitag im Oster-Abo Schenken Sie mutigen Qualitätsjournalismus!

Print

Entdecken Sie unsere Osterangebote für die Printzeitung mit Wunschprämie.

Jetzt sichern

Digital

Schenken Sie einen unserer Geschenkgutscheine für ein Digital-Abo.

Jetzt sichern

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden